Disraeli und Charlie wechselten einen Blick, und Disraeli sagte: »Ja, Madam, das nehmen wir an.«
»Aber wissen Sie, Sir, es gibt noch einen weiteren Beweis für die Ehe. Damit meine ich mich selbst, Sir. Ich werde auf keinen Fall zurückkehren, denn ich weiß, dass ich dann einfach verschwinden könnte. Falls ich überhaupt die Reise überleben würde. Eine Reise per Schiff, meine Herren. Und nachdem ich der einzige übrig gebliebene Ehebeweis bin … wie leicht wäre es dann, ihn bei der Überfahrt im Meer zu versenken.«
Simplicity steckte sich den Ring wieder an den Finger und wandte sich mit großem Ernst an Disraeli und Charlie. »Zwei sehr nette Menschen hier in England, die meinen wahren Namen nicht kennen, nannten mich Simplicity, aber ich bin erheblich komplizierter. Ich weiß, dass mein Schwiegervater überaus zornig war, als er erfuhr, dass sein Sohn und Erbe geheiratet hatte, angeblich aus Liebe, eine Frau, die nicht einmal zur Zofe taugte, geschweige denn zur Prinzessin. Nun, meine Herren, so steht es in Märchen geschrieben, und bei der ersten Begegnung mit meinem Mann dachte ich, für mich ginge ein Märchen in Erfüllung. Bald musste ich mich folgender Wahrheit stellen: Prinzen und Prinzessinnen spielen in der europäischen Politik eine gewisse Rolle, wenn es um Staatsangelegenheiten geht. Die Leute glauben, wenn unsere Prinzessin euren Prinzen heiratet, dann gibt es keinen Krieg zwischen zwei Ländern, die sonst vielleicht ihre Truppen in Marsch gesetzt hätten. Und mein eitler, dummer Mann – und meine Dummheit, weil ich ihm glaubte – vereitelten eine gute Gelegenheit für Friedensverhandlungen.«
Dodger starrte Simplicity mit offenem Mund an. Eine Prinzessin? Man musste Ritter oder ein ähnlich feiner Pinkel sein, um eine Prinzessin zu retten, oder etwa nicht? Charlie und Disraeli bewegten sich unruhig in ihren Sesseln. In diesem Moment klopfte es leise an der Tür, und ein Mann mit Kaffee und kleinen Kuchenstücken trat ein.
»Ich glaube, Sir, ich bin so etwas wie ein politischer Flüchtling«, sagte Simplicity, als sie wieder allein waren. »Und es gibt Leute in diesem Land, die mir Böses wollen. Zweimal seit meiner Ankunft in England haben sie versucht, mich zu entführen, und ich verdanke es Dodger – und auch Ihnen, Mister Dickens –, dass ich heute hier bin und nicht auf einem Schiff, das mich zu meinem Mann zurückbringt. Meine Mutter, die tatsächlich Engländerin war, hat mir erzählt, dass in England alle Menschen frei sind. Ich bliebe sehr gern hier, Sir, und ich glaube, ich kann auch hier eine Person von gewissem Wert sein, obgleich ich selbst in diesem Land um meine Sicherheit fürchten muss. Doch für den Fall, dass ich zur Rückkehr gezwungen bin, rechne ich mit dem Schlimmsten. Ich bin nirgends sicher, meine Herren, weshalb ich mich recht hilflos fühle. Selbst hier in England bin ich bedroht, in einem Land, in dem angeblich kein Mann Sklave sein muss. Ich hoffe, meine Herren, das gilt auch für Frauen.«
Charlie trat an den Kamin, lehnte sich gegen den Sims und fragte: »Was hältst du davon, Ben?«
Mister Disraeli wirkte wie ein Mensch, der einen Schlag auf den Kopf bekommen hatte. Seine scharfe Zunge schien ein wenig an Schärfe eingebüßt zu haben, denn er zögerte, bevor er sagte: »Nun, Madam, ich bedauere sehr, dass Sie sich in einer solchen Lage befinden. Aber uns, das heißt der britischen Regierung, wurde versichert, dass Ihnen niemand ein Leid zufügt, wenn Sie zurückkehren.«
Dodger erhob sich unvermittelt. »Kann man solchen Versicherungen trauen?«, warf er ein. »Außerdem ist ein Leid zufügen eine Sache und einsperren, wo einen niemand sieht eine andere. Ich meine, ihr Typen kennt euch doch mit Worten aus. Es lauert jede Menge Unheil hinter kein Leid zufügen.«
»Aber wie sollen wir Miss Simplicitys Sicherheit garantieren, solange sie in unserem Land weilt?«, fragte Disraeli. »Weder die Regierung, von der wir hier sprechen, noch unsere eigene können bei dieser Angelegenheit so ohne Weiteres intervenieren. Was aber keineswegs bedeutet, dass beide Seiten nicht auf die Dienste Dritter zurückgreifen, um, sagen wir, ihre Interessen wahrzunehmen. Wenn Miss Simplicity zu Schaden käme, während sie sich in unserem Land aufhält, würden sich dadurch … Probleme für die Beziehungen zwischen den beiden betroffenen Regierungen ergeben.« Er schluckte und schien zu fürchten, zu viel gesagt zu haben.
Dodger wandte sich an Charlie. »Deshalb habe ich … ich meine, haben wir uns die Freiheit genommen, Simplicity aus dem Haus von Mister und Missus Mayhew zu holen und fortzubringen. Es war sehr freundlich von den Mayhews, Simplicity zu helfen, und wir möchten vermeiden, dass ihnen etwas zustößt. Wer auch immer die Leute sind, die nach Simplicity suchen – ich glaube nicht, dass es sich um besonders nette Zeitgenossen handelt. Und ich darf Ihnen versichern, Sir, dass ich diese Sache nicht ruhen lasse. Wenn ich die Kerle finde, die sie so grausam misshandelt haben, und wenn sie dafür bezahlen … Dann muss Simplicity nicht zurück, oder? Ich beschütze sie.«
Mister Disraeli rutschte in seinem Sessel hin und her und warf Charlie einen kurzen Blick zu, bevor er erwiderte: »Nun, wissen Sie, junger Mann, es ist alles ziemlich kompliziert. Die fragliche Regierung verlangt die Rückkehr der jungen Dame, die schließlich verheiratet und somit rechtmäßiger Besitz ihres Mannes ist. Es gibt hier bei uns, das will ich nicht verhehlen, gewisse Leute, die es für vernünftig halten, sie um des Friedens zwischen unseren Nationen willen zurückzuschicken.« Er sah, wie Dodger den Mund öffnete, um zu protestieren. »Sie sollten wissen, Mister Dodger, dass wir in letzter Zeit genug Kriege geführt haben – was Ihnen insbesondere nach der Begegnung mit Mister Todd klar sein dürfte –, und zu viele dieser Kriege brachen aufgrund irgendwelcher Nichtigkeiten aus. Bestimmt verstehen Sie, warum diese Angelegenheit so schwierig ist.«
Schwierig?, dachte Dodger. Ärger brodelte in ihm auf. Diese Männer behandelten Simplicity nicht wie eine lebendige Person, sondern wie eine Figur auf dem Spielbrett der Politik. Selbst beim Würfeln gab es größere Aussichten auf Gewinn! Plötzlich befand sich sein Gesicht dicht vor dem von Benjamin Disraeli, der sich in seinem Sessel so weit wie möglich zurücklehnte. »Hier ist nichts schwierig, Sir, überhaupt nichts!«, rief er. »Eine Frau, die von ihrem Alten verprügelt wurde und nicht erneut verprügelt werden will, kehrt nicht dorthin zurück, wo sie weitere Prügel riskiert. Meine Güte, bei uns passiert das dauernd, und niemand wackelt mit dem Finger und erwartet vom Alten, dass er seine Unterhosen plötzlich selbst wäscht.«
Bevor Disraeli etwas sagen konnte, kam ein Kommentar von Charlie. »Ben, es sollte dir möglich sein, die Entscheidung darüber noch etwas hinauszuzögern und uns allen Gelegenheit zu geben, über unsere nächsten Schritte nachzudenken. Aber es gibt einen Punkt, der sofort geklärt werden muss. Dodger wohnt in Seven Dials bei einem älteren Herrn und einem … bemerkenswerten Hund. Die Unterkunft ist kein geeigneter Aufenthaltsort für eine junge Dame, und es besteht kein Zweifel, dass wir es mit einer Dame zu tun haben. Noch dazu mit einer Dame, die um ihr Leben fürchtet. Im schlimmsten Fall könnte sie sogar am helllichten Tag umgebracht werden, denn unser Dodger ist zwar schnell, aber nicht imstande, überall gleichzeitig zu sein. Deshalb müssen wir auf der Stelle entscheiden, verstehst du? Wir müssen entscheiden, Ben, wo diese Dame – eine Prinzessin, Ben – abends ihren Kopf zur Ruhe bettet, in der Gewissheit, dass sie am nächsten Morgen noch einen hat. Wir beide kennen da eine Person, an die wir uns unter solchen Umständen wenden können.«