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Mister Tenniel wich verblüfft einen Schritt zurück, als Solomon lachte und sagte: »Nun, Mister Dickens ist zumindest ein guter Menschenkenner, und bei Leuten wie ihm finde ich Direktheit bewundernswert. Aber sollten Sie ihm vor mir begegnen, so richten Sie ihm bitte aus, dass Solomon Cohen dafür sorgen wird, dass sich die erste Möglichkeit durchsetzt. Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für uns genommen haben, Sir, aber bitte entschuldigen Sie uns jetzt, denn ich muss diesen jungen Halunken zu einer Örtlichkeit begleiten, wo er sauberer wird als jemals zuvor in seinem Leben, denn heute Abend erwartet man uns bei einer sehr wichtigen Dinnerparty in West End. Guten Tag, Sir, und danke, aber wir müssen wirklich los.«

Als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, sagte Solomon: »Vergeuden wir keine Zeit, Dodger! Weißt du, wie erpicht ich aufs Baden bin? Nun, heute genehmigen wir uns ein türkisches Bad mit allem Drum und Dran.«

Das war neu für Dodger, aber Solomons Weisheit in Hinsicht auf elementare Hygiene hatte ihn bisher am Leben erhalten, und deshalb kam es für ihn nicht infrage, den alten Knaben in dieser Angelegenheit zu enttäuschen. Er widersprach auch deshalb nicht, weil er einen Ausbruch rechtschaffener Entrüstung vermeiden wollte, der vielleicht dazu geführt hätte, dass er am Ohr durch die Straßen gezogen worden wäre. Er mochte nicht zum Gespött des ganzen Viertels werden und hielt es deshalb für geraten, sich zu fügen. Also machte er gute Miene zum bösen Spiel und folgte Solomon hinaus in den schmutzigen Nieselregen, zunächst zu einem Laternenpfahl, an dem sie Onan festgebunden hatten, in dem sicheren Wissen, dass niemand auf den Gedanken kam, ihn zu stehlen.

Dodger fühlte sich besser, als er über das Wort türkisch nachdachte. Jemand, vielleicht Ginny-Komm-Spät – ein Mädchen mit einem Lachen, bei dem man erröten konnte (sie waren sich einmal sehr nahe gewesen) –, hatte ihm einmal von der Türkei erzählt, ihm Vorstellungen von tanzenden Mädchen und sehr leicht bekleideten dunkelhäutigen Frauen vermittelt. Offenbar erteilten sie Massagen mit besonderer Präsenz, was sehr verlockend klang, obwohl … Ginny-Komm-Spät konnte praktisch alles als sehr verlockend schildern. Als er Solomon darauf angesprochen hatte – zu jenem Zeitpunkt war Dodger viel jünger und naiver gewesen –, hatte der alte Mann erwidert: »In den Ländern des Orients bin ich nicht weit herumgekommen, aber ich fürchte, in Hinsicht auf die besondere Präsenz versprichst du dir zu viel. Vermutlich meinst du Essenz, was sich auf angenehm duftende Salben und Öle beziehen dürfte. Warum fragst du danach?«

Der junge Dodger hatte erwidert: »Oh, nur so. Irgendjemand hat darüber gesprochen.« Doch wie man es auch drehte und wendete, derzeit weckte das Wort türkisch Vorstellungen von orientalischen Verlockungen, und deshalb war er recht optimistisch, als sie sich den türkischen Bädern in der Commercial Road näherten.

Natürlich gab es überall Badehäuser, die oft sogar von den ganz Armen benutzt wurden, wenn man »die Dreckkruste loswerden musste«, wie es einmal eine alte Frau Dodger gegenüber genannt hatte. Oft ging es mit den Bädern ebenso zu wie überall auf der Welt, im Sinne von: Je mehr man bezahlte, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass man das heißeste und sauberste Wasser bekam und dass es durchsichtig war, bevor die Seife hinzugegeben wurde. Dodger wusste: Das Wasser, in dem die feinen Leute gebadet hatten, gelangte manchmal in die Becken, die für die Mittelschicht bestimmt waren. Anschließend setzte es die Reise zu den großen Gemeinschaftsbecken für die Unterschicht fort, wo es zumindest noch mit etwas Seife ankam, was eine Ersparnis bedeutete, wenn man es von der positiven Seite betrachtete. Zwar würde man wahrscheinlich nie mit Bürgermeistern, Rittern und Baronen an einem Tisch sitzen, aber wenigstens teilte man das Bad mit ihnen und war deshalb ein stolzer Londoner.

Aus dem Nieseln wurde richtiger Londoner Regen, der schmutzig war, bevor er den Boden erreichte und der Stadt zurückgab, was zuvor aus ihren Schornsteinen aufgestiegen war. Die Luft schmeckte so, als lecke man einen dreckigen Penny ab.

Einige Stufen führten zur Tür des Badehauses hinauf, und sonst wies nichts auf irgendeine Besonderheit hin, leider auch nicht auf freizügige Präsenzen irgendeiner Art. Doch im Innern des Gebäudes wurden sie von einer Dame begrüßt, was Dodgers Stimmung wieder hob, obwohl der Umstand, dass sie recht alt war und ihre Oberlippe den Anflug eines Schnurrbarts zeigte, sein Hochgefühl sogleich wieder dämpfte. Zwischen ihr und Solomon fand ein kurzes, leises Gespräch statt. Der alte Knabe feilschte selbst über den Preis für ein Brötchen, doch in der alten Frau schien er seinesgleichen gefunden zu haben, denn ihr Gesichtsausdruck wies darauf hin, dass der Preis zur bekannten Kategorie Entweder du bezahlst, oder du kannst gehen gehörte und dass Solomon, soweit es sie betraf, ruhig gehen konnte, und zwar möglichst weit weg.

Solomon musste bei seinen Bemühungen, bei allem einen möglichst geringen Preis herauszuschlagen, nur selten Niederlagen hinnehmen, und Dodger hörte ihn »Isebel« murmeln, bevor er für die Schlüssel von zwei Spinden bezahlte. Natürlich geschah es nicht zum ersten Mal, dass Dodger ein öffentliches Bad aufsuchte, aber er hoffte, dass sich dies als abenteuerlicher herausstellte – er wäre durchaus bereit gewesen, sich mit Öl massieren zu lassen.

In große Handtücher gehüllt, schritten sie über einen marmornen Boden und betraten einen großen Raum, der einer Hölle glich, entworfen von einem Baumeister, der den Menschen eine zweite Chance geben wollte. Die Halle war voller seltsamer Echos, die entstanden, wenn Dampf, Stein und Menschen zusammentrafen. Dodger musste enttäuscht feststellen, dass sich weit und breit keine leicht bekleideten Orientalinnen blicken ließen, wohl aber die schattenhaften Gestalten von Männern, die undeutlich durch den Dampf zu erkennen waren. An dieser Stelle legte ihm Solomon eine Hand auf die Schulter und flüsterte: »Wenn ich dir einen Rat geben darf … Gib auf die warmen Jungs acht! Oder gib besser nicht auf sie acht, wenn du verstehst, was ich meine.«

Dodger verstand den Hinweis nicht, bis bei ihm der Groschen – beziehungsweise der Penny – fiel. Als sie ins nächste Becken traten, sagte er: »Ich bin nicht zum ersten Mal in einem öffentlichen Bad, aber ich glaube, dies ist das beste. Und die warmen Jungs haben mich bisher nicht gestört.«

»Gott scheint sie nicht leiden zu können«, erklärte Salomon, als ihnen heißes Wasser an den Beinen hochstieg. »Der Grund dafür ist mir nicht ganz klar, denn mir scheint, dass sie einem kleinen Planeten einen Gefallen erweisen, indem sie ihn nicht mit unnötig vielen Menschen bevölkern.«

Es gab nicht nur ein Bad im Badehaus, sondern mehrere: Schwitzbäder, kalte Bäder und heiße Bäder. Mit ihnen in das Becken trat ein ebenfalls in Handtücher gehüllter Mann mit Armmuskeln, so dick wie mancher Oberschenkel, und fragte mit einer Stimme wie eine Schleifmühle: »Wünscht jemand der Herren eine Massage? Sehr gut, sehr gründlich, tut gut, und nachher fühlen Sie sich pudelwohl, ja?«

Dodger sah Solomon an, der ihm riet: »Du solltest es versuchen, unbedingt. Sie gehen hier recht forsch zu Werke, aber nachher fühlst du dich tatsächlich besser.« Er nickte dem Mann zu. »Ich nehme die Massage zusammen mit meinem jungen Freund. Wir können uns gemeinsam entspannen und dabei unterhalten.«

Letztendlich empfand Dodger die Massage gar nicht als entspannend, es sei denn, er berücksichtigte die Erleichterung, als sie schließlich vorbei war. Während die beiden Masseure kneteten und trommelten, ohne sich ansonsten um ihre Opfer zu kümmern, lud er seine Gedanken bei Solomon ab, gelegentlich untermalt von einem »Autsch«.

»Ich bin froh, dass Simplicity in Sicherheit ist«, sagte er. »Aber sie wird sich jedes Mal in Gefahr begeben, wenn sie das Haus verlässt, und so, wie ich das sehe, will ihr vonseiten der Regierung keiner wirklich helfen (au!).«