Als sie eingestiegen waren, sagte Solomon zu dem Mann auf dem Kutschbock: »Lock und Co in der Saint James Street, wenn ich bitten darf.« Dem erstaunten Dodger erklärte er: »Dort gibt es mit ziemlicher Sicherheit einen Hut für dich, mein Junge. Jeder, der jemand ist oder zumindest von anderen für jemanden gehalten wird, kauft dort seine Hüte.«
»Aber ich habe den Hut von Jacob!«
»Das gebrauchte Gebrauchtding? Es sieht aus wie ein Gegenstand, den jemand als Ziehharmonika verwendet und dann einem Clown gegeben hat. Du brauchst den Hut eines Gentlemans.«
»Aber ich bin kein Gentleman«, protestierte Dodger.
»Mit einem eleganten Hut für besondere Gelegenheiten bist du viel näher dran, einer zu werden.«
Und Dodger musste zugeben, dass der Gebrauchthut … nun, gebraucht war. Üblicherweise konnte ein Tosher mit Hüten nicht viel anfangen; viel zu leicht stieß er damit gegen eine Wand oder eine Decke und verlor sie vom Kopf. Oft trug er eine dicke Ledermütze, die verhinderte, dass er sich den Schädel zertrümmerte, wenn er in einem niedrigen Abwasserkanal zu schnell aufstand, und die sich leicht reinigen ließ.
Jeder trug einen Hut oder eine Mütze, aber die Hüte in dem Geschäft, das sie nun betraten, waren außergewöhnlich und manche von ihnen von enormen Ausmaßen. Natürlich deutete Dodger auf den größten, der aussah wie ein Ofenrohr und ihn mit einer Sirenenstimme rief, die nur er hören konnte. Ich glaube, der dort könnte mir gut stehen.
Als er sich im Spiegel betrachtete, dachte er: O ja, ein toller Typ. Um nicht zu sagen: Ein dufter Bursche, der zuvor vor allem Duft gewesen war, denn den wurde ein Tosher nicht los, sosehr man sich auch wusch und schrubbte – der Geruch klebte fest.
Wirklich, mit diesem tollen Hut würde er toll aussehen! Er stellte sich vor, wie beeindruckt Simplicity wäre, wenn er sich ihr damit präsentierte, und in dem neuen Anzug obendrein. Solomon hingegen betrachtete die Sache ein wenig anders, denn er hielt den Preis von 1 £ und 18 Shilling für maßlos übertrieben. Doch Dodger beharrte darauf. Zugegeben, es war eine Menge Geld für eine Kopfbedeckung, die er eigentlich gar nicht brauchte, aber hier ging es ums Prinzip. Er wusste nicht genau, um welches Prinzip, aber es war ein Prinzip, und das genügte. Außerdem hatte Solomon neulich bei der Arbeit an einer seiner kleinen Maschinen gesagt: »Dieses Ding braucht Öl.« Und, fuhr Dodger gnadenlos fort, am Tag vorher hatte der alte Mann darauf hingewiesen, dass dieses kleine Zahnrad Öl wollte.
»Also laufen Wollen und Brauchen aufs Gleiche hinaus«, erklärte Dodger.
Solomon zählte die Münzen sehr langsam und still und erwiderte dann: »Bist du sicher, dass du nicht als Jude geboren bist?«
»Ja, ich bin sicher«, sagte Dodger. »Ich habe nachgesehen. Aber danke für das Kompliment.«
Bevor sie nach Hause zurückkehrten, besuchten sie noch einen Friseur – einen ganz gewöhnlichen und vernünftigen Friseur, bei dem es keine Extras wie durchgeschnittene Kehlen gab. Allerdings geriet der gute Mann ein wenig durcheinander, als Solomon ihm mitteilte: »Es mag Sie beeindrucken, Sir, dass der junge Mann, den Sie gerade rasieren, jener Held ist, der den Taten des ruchlosen Mister Sweeney Todd ein Ende bereitete.«
Dieser Hinweis verursachte bei dem Friseur einen Panikanfall. Zwar dauerte er nur eine Sekunde lang oder weniger, aber so etwas ist nicht ratsam, wenn das scharfe Rasiermesser die Kehle eines Mannes berührt, und das Ergebnis war ein weiteres Tohuwabohu in der Nähe von Dodgers Hals. Der Schnitt war nicht groß, und das daraus hervorquellende Blut stand in keinem Verhältnis dazu. Es bewirkte hektische Aktivität mit Handtüchern und Alaun für die Wunde. Zweifellos würde eine Narbe zurückbleiben, was als Bonus gelten konnte, soweit es Dodger betraf – das Gesicht des Helden der Fleet Street würde ein Mal zeigen, das auf die Ruhmestat hinwies.
Als besagtes Gesicht sauber rasiert sowie das Haar gestutzt war und Solomon mit raschen Verhandlungen – geführt mit freundlicher, aber durchaus fester Stimme – Gratishaarschnitte für sechs Monate vereinbart hatte, ließen sie sich von einer weiteren Kutsche nach Hause bringen. Dort blieb ihnen gerade noch genug Zeit, sich zu waschen, anzuziehen und herauszuputzen.
Während sich Dodger mit einem Schwamm wusch – wobei er auch alle Spalten und Furchen berücksichtigte, denn immerhin war dies eine besondere Gelegenheit –, dachte ein Teil von ihm: Was müsste ich anstellen, um jemanden sterben und wieder auferstehen zu lassen? Auch ohne mich vorher in Gott zu verwandeln, meine ich.
Aus irgendeinem Grund erinnerte sich der Dodger in seinem Hinterkopf an die Würfelspielmänner und an den Mann mit der Erbse, die man nie, nie fand. Und über diesen Erinnerungen erklang Charlies Stimme und wies darauf hin, dass die Wahrheit ein Nebel war, in dem die Menschen sahen, was sie sehen wollten, und er gewann den Eindruck, dass sich um diese kleinen Bilder herum ein Plan entwickelte. Er achtete darauf, ihn nicht zu stören, aber in seinem Kopf war eindeutig etwas in Bewegung geraten, und er musste warten, bis es irgendwo Klick machte.
Wie versprochen passte die neue Kleidung maßgerecht, und Dodger bedauerte, dass er seine neue Pracht nur in einer kleinen Spiegelscherbe betrachten konnte. Dann schob er den Vorhang beiseite, um Solomon nach seiner Meinung zu fragen, und entdeckte einen Solomon in seiner ganzen Herrlichkeit.
Ein Mann, der sonst in bestickten Pantoffeln oder alten Stiefeln herumlief und einen abgewetzten schwarzen Gabardinemantel trug, hatte sich plötzlich in einen zwar altmodischen, aber doch sehr schicken Gentleman verwandelt, der eine feine schwarze Wolljacke, eine dunkelblaue Hose, lange dunkelblaue Strümpfe und alte, aber sehr gepflegte Schuhe mit funkelnden silbernen Schnallen trug. Am meisten beeindruckte Dodger das große dunkelblaue und goldene Medaillon an Solomons Hals. Er wusste, was die Symbole auf dem Medaillon bedeuteten, doch er hatte sie noch nie mit dem alten Mann in Verbindung gebracht. Sie waren das Siegel und das Auge in der Pyramide der Freimaurer. Solomon hatte auch seinen Bart gewaschen und in Form gebracht, und alles zusammen wirkte überaus eindrucksvoll.
Dodger wies mit einigen Worten darauf hin, und Solomon lächelte und sagte: »Mmm, eines Tages, mein Junge, nenne ich dir den Namen der Persönlichkeit, die so freundlich war, mir dies zu überreichen. Und darf ich dir mitteilen, dass du nach dem Waschen wie immer sehr gut aussiehst? Man könnte dich beinahe für einen echten Gentleman halten.«
Sehr vorsichtig gaben sie Onan sein Abendessen, und mit ähnlicher Vorsicht brachten sie ihn nach draußen, damit er dort erledigen konnte, was erledigt werden musste. Mit einem weiteren Knochen ließen sie ihn im Hundehimmel zurück und stiegen, gerade als der Abendnebel aufkam, in eine Kutsche, die sie nach Stratton Street Nummer eins, Mayfair, brachte.
12
Hier verkehrt Dodger mit der Oberklasse, Disraeli nimmt eine Herausforderung an, und Dodger erweist sich als überaus lernfähig
Dodger blickte aus der Kutsche, als sie nach Westen fuhren, und die Worte Ich sehe Simplicity wieder ritzten sich in sein Herz ein – so fühlte es sich zumindest an. Plötzlich stellte er sich Simplicity tot vor: tot und daher für ihre Verfolger kein Problem mehr. Kein Grund, Kriege zu führen, kein Grund für Bösewichte, in mörderischer Absicht durch die Straßen zu schleichen.
Es musste eine Möglichkeit geben! Derzeit war sie eine junge Frau, die niemand wollte. Besser gesagt: niemand außer ihm. Als der Nebel den Gestank der Themse zu seiner Nase trug, wies ein Klicken in seinem Kopf auf einen erfolgreichen Abschluss hin; nun mussten nur noch die Einzelheiten geklärt werden. Das eine oder andere konnte er noch nicht deutlich erkennen, aber mit der Lady zur Seite würde sich der Rest ergeben.