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Dodger erwachte am Boden, in einer Düsternis, die nur von schwach flackerndem Kerzenlicht erhellt wurde. Er wusste nicht, wo er war, bis er seine Umgebung erkannte, zu der auch Missus Sharples in ihrem Sessel gehörte – sie schnarchte noch immer wie ein Mann, der ein Schwein durchzusägen versucht. Aber viel wichtiger war eine leise, zitternde Stimme, die sagte: »Kann ich vielleicht ein bisschen Wasser haben?«

Die Bitte versetzte Dodger kurz in Panik, doch dann entdeckte er den Wasserkrug neben der kleinen Schüssel und füllte ein Glas. Die junge Frau nahm es sehr vorsichtig entgegen, trank und bedeutete ihm, es noch einmal zu füllen. Dodger blickte zu Missus Sharples hinüber, schenkte das Glas erneut voll, reichte es der Unbekannten und flüsterte: »Bitte, nenn mir deinen Namen!«

Die junge Frau sprach nicht, sondern krächzte eher, aber es war ein damenhaftes Krächzen, wie man es vielleicht von einer Froschprinzessin erwarten durfte, und sie sagte: »Es ist besser, wenn ich meinen Namen nicht verrate, aber du bist sehr freundlich.«

Dodger stand förmlich in Flammen. »Warum haben dich die Kerle zusammengeschlagen? Kannst du mir wenigstens ihre Namen nennen?«

Die traurige Stimme erhob sich erneut. »Nein, lieber nicht.«

»Darf ich dann deine Hand halten in dieser kalten Nacht?« Das war angeblich eine christliche Geste – so hatte er jedenfalls gehört. Dennoch erstaunte es ihn ein wenig, als ihm die junge Frau tatsächlich die Hand darbot. Er ergriff sie, betrachtete mit großer Aufmerksamkeit den Ring an ihrem Finger. Das ist ein Haufen Gold, dachte er. Und es zeigte ein Wappen. Oh, mit einem Wappen konnte man schnell in Schwierigkeiten geraten. Auf dem Wappen waren Adler zu sehen, und hinzu kamen einige ausländische Worte. Ein Ring, der etwas bedeutete, hatte Charlie gesagt. Ein Ring, den jemand bestimmt nicht verlieren wollte. Und die Adler wirkten irgendwie böse.

Die junge Frau bemerkte seinen Blick. »Er hat behauptet, dass er mich liebt … mein Ehemann. Dann ließ er mich schlagen. Aber meine Mutter hat immer gesagt, dass man frei ist, wenn man nach England kommt. Bitte, lass nicht zu, dass man mich zurückbringt, Sir! Ich will nicht zurück.«

Dodger beugte sich vor und flüsterte: »Ich bin kein Sir, Miss. Ich bin Dodger.«

»Dodger?«, wiederholte die junge Frau schläfrig, und er glaubte, einen deutschen Akzent herauszuhören. »Kommt das von dodge, von ausweichen und sich hin und her wenden? Ich danke dir, Dodger. Du bist nett, und ich bin müde.«

Dodger fing das Glas auf, als die junge Frau in die Kissen zurücksank. 

2

Dodger begegnet einem Sterbenden, und ein Sterbender sieht die Lady – und Dodger wird König der Tosher

Missus Sharples erwachte, als die Glocken fünf Uhr schlugen, und gab ein Geräusch von sich, das wie Blort! klang. Ihre Augen füllten sich mit Gift, als sie Dodger gewahr wurden, und sofort hielt sie im Zimmer Ausschau nach Anzeichen von Kriminalität.

»Also gut, du junger Schlingel, du hast eine angenehme warme Nacht in einem christlichen Schlafzimmer verbracht, wie es dir versprochen war – vermutlich zum ersten Mal in deinem Leben. Geh und sei gewiss, dass ich wie ein Adler ein Auge auf dich habe, bis du durch die Hintertür verschwunden bist, lass dir das gegart sein.«

Gemein und undankbar waren diese Worte, o ja, und Missus Sharples sprach sie auch noch in einem gemeinen Ton aus, als sie Dodger die dunkle Hintertreppe nach unten und in die Küche brachte, wo sie die Hintertür mit solcher Wucht öffnete, dass diese von der Wand abprallte und wieder zufiel, sehr zur Erheiterung der Köchin, die das Theater beobachtete.

Die Tür hing vorwurfsvoll in den Angeln, als Dodger sich an Missus Sharples wandte. »Sie haben Mister Charlie gehört, Missus, er ist ein sehr wichtiger Mann und gab mir einen Auftrag, und so habe ich jetzt eine Mission, und wer eine Mission hat, bekommt ein ordentliches Frühstück, bevor man ihn nach draußen in die Kälte schickt. Und ich denke, Mister Charlie wäre nicht begeistert, wenn ich ihm von dem Mangel an Gastfreundschaft berichte, den ich hier erfahren habe, Missus Schnappig.«

Er veränderte den Namen der Haushälterin ohne einen bewussten Gedanken, war mit dem Ergebnis aber recht zufrieden. Missus Sharples schien die Verballhornung gar nicht zu bemerken, im Gegensatz zur Köchin, deren Lachen eine gehörige Portion Spott enthielt. Mit Büchern kannte sich Dodger nicht besonders gut aus; andernfalls hätte er das Gesicht der Köchin vielleicht mit einem leicht zu lesenden Buch verglichen. Es war erstaunlich, wie viel man einem Blick, einem kurzen Schnauben oder sogar einem Furz an der richtigen Stelle in einem Gespräch entnehmen konnte. Hier gab es die übliche Sprache und dort die andere, die aus Betonungen, kurzen Blicken und winzigen Bewegungen im Gesicht bestand, aus kleinen Angewohnheiten, von denen der Betreffende nichts wusste. Wer sein Gesicht für eine Maske hielt, die nichts verriet, begriff nicht, dass er seine geheimsten Gedanken für alle jene zur Schau stellte, die die Zeichen zu erkennen verstanden. Und das Zeichen, das gerade wie von einem Engel gehalten mitten in der Luft schwebte, verkündete, dass die Köchin die Haushälterin nicht mochte und sich sogar in Dodgers Beisein über sie lustig machte.

Also veränderte Dodger vorsichtig das eigene Gesicht, damit er etwas müder, schüchterner und auch bittender aussah. Sofort winkte ihn die Köchin zu sich und sagte leise, aber laut genug, damit auch die Haushälterin es hörte: »Also gut, Junge, ich habe Porridge auf dem Herd, davon kannst du was haben. Und Hammelfleisch, das nicht mehr ganz frisch ist, aber ich wette, du hast schon Schlimmeres gegessen, oder?«

Dodger brach in Tränen aus. Es waren gute Tränen – gewissermaßen Tränen mit Leib und Seele –, und dann sank er auf die Knie und faltete die Hände und sagte mit tiefer Aufrichtigkeit: »Gott segne Sie, Missus, Gott segne Sie.«

Diese schamlose Vorstellung brachte ihm einen großen Teller Porridge mit einer durchaus angemessenen Menge an Zucker ein. Das Hammelfleisch hatte noch nicht den Zustand erreicht, in dem es von allein gehen konnte, und so nahm er es dankbar entgegen – immerhin ließ es sich für einen Eintopf verwenden. Es war in Zeitungspapier eingehüllt, und er steckte es rasch in die Tasche, aus Furcht, dass es plötzlich verschwand. Was den Porridge betraf … Er schwang den Löffel, bis nichts mehr übrig war, was bei der Köchin ganz offensichtlich Anklang fand, einer Frau, die überall dort wabbelte, wo etwas wabbeln konnte, das Kinn eingeschlossen.

Dodger hatte sie als Verbündete verzeichnet, zumindest gegen die Haushälterin, die ihn noch immer unheilvoll anstarrte, doch dann ergriff sie plötzlich seine Hand und rief lauter als nötig: »Komm mit mir in die Speisekammer, dann sehen wir, wie viel du gestohlen hast, Bürschchen!«

Dodger versuchte sich aus ihrem Griff zu lösen, aber die Köchin war, wie bereits erwähnt, recht kräftig gebaut, was bei Köchen oft der Fall ist. Als er sich noch hin und her wand, beugte sie sich zu ihm hinüber und flüsterte: »Wehr dich nicht! Bist du etwa ein verdammter Narr? Halt den Mund und tu, was ich dir sage!« Sie öffnete eine Tür und zerrte ihn einige steinerne Stufen hinab in einen Raum, der nach Essig roch. Nachdem sie die Tür geschlossen hatte, entspannte sie sich ein wenig. »Die alte Schrulle von Haushälterin wird Stein und Bein schwören, dass du während der Nacht das eine oder andere gestohlen hast, und du kannst sicher sein, dass sie besagte Dinge selbst hat verschwinden lassen. Wodurch eventuelle Freundschaften, die du hier vielleicht geschlossen hast, wie Morgentau in der Sonne verschwänden. Die hiesige Familie ist recht anständig und hat immer ein offenes Ohr für die traurige Geschichte eines vom Pech verfolgten Handwerkers oder einer gefallenen Frau, die gern wieder aufstehen täte. Ich habe sie kommen und gehen gesehen. Ziemlich viele von ihnen waren keine Schwindler, das kann ich dir flüstern. Ich weiß Bescheid.«