Solomons Gesicht blieb völlig ausdruckslos, als hätte er nichts gehört, und Angela – Gott sollte sie segnen! – lachte leise. Dodger fand das sehr hilfreich, denn immerhin war sie die Gastgeberin und außerdem sehr reich, und mit ihrem Verhalten machte sie deutlich, dass sie am derzeitigen Geschehen nichts auszusetzen fand. Was für alle anderen bedeutete, dass es auch für sie nichts daran auszusetzen gab, denn wer wollte schon der reichsten Frau der Welt widersprechen?
Ringsum entstand ein entspanntes Summen, als die Gäste ihre Gläser leer tranken und in manchen Fällen mit neuen begannen, und an dieser Stelle bemerkte Dodger, dass er einen gewissen Ort aufsuchen musste, und er hatte keine Ahnung, wo der zu finden war. Zweifellos befand er sich irgendwo unten, im Erdgeschoss, aber mehr wusste Dodger nicht. Und in einer Welt voller Einrichtungen, die man nur selten beim Namen nannte, wollte er keine Lady danach fragen, wo er pinkeln konnte.
Dann blickte er in die Augen von Sir Robert Peel, der an Angela vorbeisah und grinste wie eine Katze, die eine Maus entdeckt hat, und der Anführer der Peeler sagte: »Ah, Mister Dodger, so wie Sie sich umsehen, suchen Sie vermutlich nach einer Räumlichkeit, wo man gewisse Erleichterung findet. Bitte, erlauben Sie mir, Sie dorthin zu führen, denn auch ich verspüre ein Bedürfnis.«
Dodger hielt es für besser, nicht zu widersprechen. Sir Robert nickte Angela zu und dirigierte Dodger aus dem Raum hinaus und eine Treppe hinunter. Schließlich erreichten sie ein Paradies aus Mahagoni, glänzendem Messing und poliertem Kupfer.
Es funkelte überall – dies war ein Palast. Die öffentlichen Klos, die Dodger kannte, waren dunkel und stanken. Besser war’s, wenn man sich draußen erleichterte, was viele auch taten, wodurch es zu einem echten Abenteuer werden konnte, nachts durch eine Gasse zu gehen. Solomon, der auch in dieser Hinsicht recht pingelig war, hatte einen Eimer mit immer sauberem Holzdeckel, für die Momente bestimmt, wenn auch ein Mann sich hinsetzen musste. Eine von Dodgers Aufgaben bestand darin, ihn zur nächsten Senkgrube zu bringen, doch die quollen die meiste Zeit über. Jedenfalls machte der Düngewagen jede Nacht seine Runde, und die Lage verbesserte sich ein wenig, wenn die Arbeiter den ganzen Kram wegschaufelten, auch den Pferdemist. Aber sooft die Düngewagen auch kamen und wie gründlich die Faulbehälter auch geleert wurden, man war nie sehr weit vom Essen des vergangenen Tags entfernt. Aber dieser Ort … Er war wirklich erstaunlich, und obgleich Dodger wusste, was es mit dem Loch im glänzenden Mahagoni auf sich hatte – es erschien ihm wie ein Frevel, Gebrauch davon zu machen. Und was war dies? Papierbogen, bereits zurechtgeschnitten und bereit zur Benutzung, so wie es Solomon mit dem Jewish Chronicle machte. Und es gab auch Spiegel und kleine Seifenstücke in großen Schalen, weich und angenehm duftend. Dodger konnte der Versuchung nicht widerstehen, einige einzustecken – trotz der Gesellschaft, in der er sich befand –, denn es waren so viele.
Eine Zeit lang gab er sich dem Staunen hin, trotz des Drucks auf der Blase und einer gewissen Beunruhigung, weil er sich mit dem Boss der Peeler in einem Raum befand, der, wie er gerade bemerkte, in aller Zufriedenheit auf einem recht teuer wirkenden Stuhl saß und sich eine Zigarre anzündete.
Sir Robert Peel schenkte ihm ein Lächeln und sagte: »Bitte legen Sie keinen Wert auf Förmlichkeiten, Mister Dodger. Ich habe es nicht eilig, und außerdem befinde ich mich, wie Sie vielleicht festgestellt haben, zwischen Ihnen und der Tür.«
Dodger hatte sich gerade der verzierten, glänzenden Schüssel vor ihm zugewandt, doch der Hinweis des Mannes mit der Zigarre hinderte ihn daran, sich dem Grund seines Hierseins zu widmen. Er blickte über die Schulter nach hinten. Sir Robert beobachtete ihn nicht einmal und genoss einfach nur seine Zigarre, wirkte wie ein Mann, der alle Zeit der Welt hatte. Da eigentlich nichts Schlimmes passierte, bekam Dodger sein Problem in den … Griff und bewunderte die Funktionsweise dieser wundervollen neuen Vorrichtung. Als er fertig war, sagte der immer noch sitzende Sir Robert lakonisch: »Ziehen Sie den Porzellanknauf an der Kette links von Ihnen!«
Dodger hatte sich bereits gefragt, wozu der wohl diente. Es war klar, dass er gezogen werden wollte, aber zu welchem Zweck? Um den Leuten mitzuteilen, dass man fertig war? Läutete dadurch eine Glocke, damit andere nicht hereinkamen und einen störten? Wie dem auch sein mochte, vorsichtig und gleichzeitig hoffnungsvoll zog er an dem kleinen Knauf und wich dann von der Schüssel zurück, für den Fall, dass er etwas Falsches getan hatte und dadurch in Schwierigkeiten geriet. Verblüfft beobachtete er, wie Wasser durch die Schüssel strömte und alles sauber zurückließ. Das war wirklich eine nützliche Einrichtung!
Er wandte sich um und sagte: »Ja, Sir. Ich weiß, was es zu tun gilt. Und ich weiß auch, dass Sie ein kleines Spiel mit mir treiben. Ich frage mich, was Sie von mir wollen.«
Sir Robert betrachtete die Spitze seiner Zigarre so, als hätte er sie nie zuvor gesehen, und sagte wie beiläufig: »Ich wüsste gern, wie Sie heute Nachmittag den Mord in der Kanalisation begangen haben.«
In Dodger machten sich der Steinbutt und alle seine kleinen Freunde daran, den sinkenden Dodger zu verlassen, und für einen Moment befürchtete er, auf dem glänzenden Boden eine große Schweinerei zu hinterlassen, bis ihm einfieclass="underline" Ich habe nie jemanden ermordet. Das wollte ich nie, und ich hatte auch gar keine Zeit dazu. Deshalb fragte er: »Von welchem Mord reden Sie?« Und er forderte den Steinbutt auf, sich zu benehmen. »Ich habe nie jemanden ermordet, nie!«
»Komisch, dass Sie das sagen, denn ich glaube Ihnen«, erklärte der oberste Polizist von London munter. »Aber leider haben wir einen Toten im Leichenhaus, und zwei Männer schwören Stein und Bein, dass Sie dafür verantwortlich sind. Und das Lustige ist – Sie können ruhig darüber lachen: Ich glaube ihnen nicht. Es gibt zweifellos eine Leiche, auf die uns ein Herr namens Durstiger Smith hingewiesen hat. Ich nehme an, Sie kennen ihn.«
»Den Durstigen Smith? Er ist ein Säufer und läuft die ganze Zeit mit nasser Hose rum. Für ein Bier würde er jeden verpfeifen. Ich wette, der andere war der Krumme Angus, ein alter Knacker mit anderthalb Beinen.«
Der Mann hatte gesagt, dass er Dodger nicht für den Mörder hielt, und damit war er aus dem Schneider, oder? Ganz und gar. Trotzdem hatte der oberste Peeler diesen besonderen Blick, den man nach einigen Begegnungen mit der Polizei zu erkennen lernte. Er teilte einem mit, dass die Polizei immer die Oberhand gewann und man derzeit besser auf seine Manieren achten sollte, denn man war der Feind der Polizei, bis einem die Polizei sagte, dass man es nicht mehr war.
Mister Peel beobachtete ihn mit einem dünnen Lächeln auf den Lippen – man sollte das Lächeln eines Peelers nie unbeachtet lassen –, und Dodger dachte: Dies ist der König der Peeler, der große Peel höchstpersönlich, und da muss ein Dodger sehr vorsichtig sein. Er behielt das Lächeln im Auge und sagte: »Sie glauben also nicht, dass ich jemanden ermordet habe, aber zwei Männer behaupten, ich hätte es getan, ja? Wer ist der Ermordete? Und warum vertrauen Sie ihrem Wort weniger als meinem?«
Sir Robert entgegnete ganz ruhig: »Ehrlich gesagt, meine Männer kennen die beiden Burschen und meinen, sie nähmen deren Aussagen nicht einmal dann ernst, wenn der Erzengel Gabriel neben ihnen stünde und bestätigte, dass sie die Wahrheit sagen.« Er lächelte das Lächeln eines Polizisten, das nur ein bisschen besser war als das Lächeln eines Tigers, und sagte: »Ihrem Wort vertraue ich keineswegs, Mister Dodger, aber ich bin geneigt, dem Wort von Solomon Cohen Vertrauen zu schenken, der in der jüdischen Gemeinschaft einen guten Ruf genießt. Ich habe heute Abend mit ihm gesprochen – ohne dass er etwas von dem Mord wusste und ohne dass er von mir in irgendeiner Weise darauf hingewiesen wurde –, und er war so freundlich zu erwähnen, dass Sie fast den ganzen Tag in seiner Gesellschaft verbracht haben. Das können einige angesehene Kaufleute bestätigen, unter ihnen mein Schneider, was ich mit eigenen Augen sehe. Ich frage mich: Wenn dieser Mord erst vor einigen Stunden stattfand, wieso erreicht mich diese Anschuldigung fast sofort?«