So höflich wie möglich versuchte Dodger die Hände der Köchin von seiner Person zu entfernen. Sie schien ihn gründlicher abzuklopfen, als unbedingt nötig war. Ein gewisser Enthusiasmus kam darin zum Ausdruck, begleitet von einem Glanz in den Augen.
Sie bemerkte seinen Gesichtsausdruck und sagte: »Ich bin nicht immer die dicke alte Schachtel von heute gewesen. Einmal bin ich gefallen, vom Boden abgeprallt und wieder auf die Beine gekommen. So muss man das sehen, Junge. Jeder kann hochkommen, genug Hefe vorausgesetzt. Ich war nicht immer so, o nein. Du wärst erstaunt und wahrscheinlich auch belustigt, in ein, zwei Fällen vielleicht sogar verlegen.«
»Ja, Missus«, sagte Dodger. »Und würden Sie bitte damit aufhören, mich abzuklopfen!«
Die Köchin lachte, was ihr Mehrfachkinn in Bewegung versetzte, und dann sagte sie erheblich ernster: »Vom Küchenmädchen habe ich gehört, was man sich über dich erzählt. Angeblich hast du letzte Nacht ein süßes Mädchen vor Schlägern gerettet, und ich weiß – ich weiß es einfach –, dass man dir irgendetwas vorwerfen wird, wenn ich dir nicht zeige, wo’s langgeht. Also, Bürschchen, gib Tante Quickly alles, womit du dich aus dem Staub machen wolltest, und ich sorge dafür, dass es dorthin zurückkehrt, wohin es gehört. Ich mag diese Familie und möchte nicht, dass sie bestohlen wird, nicht einmal von einem so aufgeweckten Jungen wie dir. Wenn du also alle Sünden bekennst, so wird dir vergeben, und dann kannst du dieses Haus ohne einen Schandfleck verlassen, was ich gern auch von deinen anderen Flecken behaupten würde.« Sie rümpfte die Nase, als sie den Zustand seiner Hose begutachtete.
Dodger grinste, reichte ihr einen silbernen Löffel und sagte: »Ein Löffel – nur weil ich ihn in der Hand hielt, als Sie mich hier heruntergezogen haben«, sagte er. Dann holte er das Kartenspiel hervor. »Und dies, Missus, habe ich von Mister Dickens bekommen.«
Trotzdem klopfte ihn die Köchin noch einmal ab, wenn auch mit einem gutmütigen Lächeln, fand dabei sein Messer, den Schlagring und die Brechstange. Sie schenkte diesen Dingen demonstrativ keine Beachtung und forderte ihn auf, die Schuhe auszuziehen, woraufhin sie angesichts des Geruchs eine Grimasse schnitt und ihm zu verstehen gab, dass er die Schuhe schnell wieder anziehen solle. »Du hast doch nichts im Hintern, oder? Wärst nicht der Erste, der es auf diese Weise versuchen täte. Nein, ich werde nicht nachsehen, keine Sorge. Du hast mehr Fleisch auf den Rippen als die meisten anderen Jungen deiner Sorte, was bedeutet, dass du entweder sehr unschuldig oder sehr clever bist. Ich tippe auf Letzteres – es würde mich sehr überraschen, wenn Ersteres der Fall wäre. Als Nächstes wird Folgendes geschehen: Ich zerre dich die Treppe hoch und schimpfe dich als den Dreckskerl aus, der du bist, und zwar so laut, dass es die alte Schrulle nicht überhören kann. Ich werde rufen, dass ich dich gründlich durchsucht habe, trotz der Gefahr für meine Gesundheit, und dass ich dich mit völlig leeren Händen hinauswerfe. Anschließend versetze ich dir einen Tritt durch die Hintertür, damit alles echt aussieht, und dann setze ich meine Arbeit fort, die mir beim Gedanken daran, dass die alte Zicke vor Wut schäumt, viel mehr Spaß machen wird als vorher.« Sie maß Dodger mit einem langen Blick und sagte: »Du bist ein Tosher, nicht wahr, ein Dreckwühler?«
»Ja, Missus.«
»Viel Arbeit für wenig Geld, habe ich gehört.«
Man gebe so wenig wie möglich preis, dachte Dodger und erwiderte: »Oh, na ja, ich weiß nicht, Missus, ich komme irgendwie über die Runden.«
»Ach, lassen wir das Theater für die Leute, die Gefallen an so etwas finden tun! Hinaus mit dir, aber denk dran: Komm und besuch Missus Quickly, wenn du eine Freundin brauchst. Ich meine, was ich sage – du brauchst nur zu pfeifen, schon bin ich für dich da. Und wenn ich in schweren Zeiten an deine Tür klopfe, so lass sie nicht verschlossen.«
Draußen war die Sonne in der Mischung aus Rauch, Dunst und Nebel kaum zu erkennen, aber für einen wie Dodger bedeutete es helles Tageslicht. Gegen ein bisschen Sonnenschein gab es nichts einzuwenden, fand er, denn es half, die Kleidung zu trocknen, doch er liebte vor allem die Schatten, und wenn möglich die Kanalisation, und derzeit verlangte es ihn nach dem Trost der Dunkelheit.
Also hebelte er mit seiner Brechstange den nächsten Gullydeckel hoch, kletterte hinab und stand wenige Sekunden später auf einer Oberfläche, die eigentlich gar nicht so übel war. Das Unwetter der vergangenen Nacht war so freundlich gewesen, die Kanalisationstunnel in einen etwas erträglicheren Ort zu verwandeln. Natürlich waren hier unten andere Tosher unterwegs, aber Dodger hatte einen Riecher für Gold und Silber.
Solomon behauptete, sein Hund Onan besitze eine Spürnase für Schmuck. Dodger gestand ihm das gern zu, denn ihm tat der arme Hund leid, der manchmal ganz schön peinlich sein konnte. Doch aus irgendeinem Grund schien Onans spitze kleine Schnauze regelrecht aufzuglühen, wenn er Rubine roch. Manchmal nahm Dodger ihn mit in die Finsternis, und wenn Onan dann irgendwo im Dunkeln etwas von Wert entdeckte, bekam er dabei von Solomon zur Belohnung eine zusätzliche Portion Hühnergekröse.
Dodger bedauerte, dass ihn der Hund diesmal nicht begleitete, denn Onan hatte so gute Ohren, dass er einen plötzlichen Schauer meilenweit stromaufwärts hörte und mit einem Bellen darauf hinwies. Aber er begann seine Tour an der falschen Stelle und hatte keine Zeit, den Hund zu holen, was bedeutete, dass er allein zurechtkommen musste, und darauf verstand er sich gut. Wenn man gescheit und flink war wie Dodger, dann befand man sich schon wieder oben an der frischen Luft, wenn der erste Schwall Flutwasser kam.
Doch das Gewitter der vergangenen Nacht schien den Himmel geleert zu haben. An diesem Tag war es in dem Tunnel völlig ruhig. Es gab nur ein paar Pfützen hier und dort sowie ein kleines Rinnsal in der Mitte. Nach dem Unwetter roch es nach … nun, nach nassen toten Dingen, nach verfaulten Kartoffeln … und neuerdings auch nach Scheiße. Das ärgerte Dodger immer. Solomon hatte ihm erzählt, dass Typen namens Römer die Kanalisation gebaut hatten, damit der Regen zur Themse floss und nicht in die Häuser der Bewohner. Aber heutzutage legten feine Pinkel hier und dort Leitungen von den Senkgruben zu den Abwasserkanälen, und das hielt Dodger für eine Unverschämtheit. Mit den Ratten hier unten war es schlimm genug, auch ohne dass man ständig darauf achten musste, nicht in einen Haufen zu treten, die manchmal auch wie Würste aussahen, allerdings kaum damit verwechselt werden konnten – der Geruch war Warnung genug.
Dodger wusste nicht viel über die Römer, aber die von ihnen erbaute Kanalisation war alt und dem Verfall preisgegeben. Oh, gelegentlich kamen Arbeitstrupps, um das eine oder andere zusammenzuflicken, aber der allgemeine Zustand der Röhren und Tunnel veränderte sich dadurch kaum. Die Arbeiter, die manchmal in amtlichem Auftrag unterwegs waren und notwendige Reparaturen vornahmen, machten Jagd auf Tosher, wenn sie welche fanden, doch sie waren nicht so jung wie Dodger, der ihnen leicht entkam. Außerdem waren es Leute mit festen Arbeitszeiten, und ein Tosher arbeitete manchmal die ganze Nacht lang, wenn die Nacht gut war, suchte dort, wo Mauersteine fehlten oder wo der Boden nicht ganz eben war. Am besten waren die Stellen, wo das Wasser kleine Strudel bildete, denn dort sammelten sich Münzen an: Pennys, Sixpences, Viertelpennys, halbe Viertelpennys und – wenn man großes Glück hatte – sogar Sovereigns, halbe Sovereigns und Kronen. Gelegentlich verirrten sich auch Broschen, silberne Hutnadeln, Monokel, Uhren und goldene Ringe dorthin. Sie alle drehten sich in dem dunklen Karussell, Teil eines klebrigen großen Schlammballs. Und wenn du ein guter Tosher warst und an die Lady der Tosher glaubtest, dann konntest du – ja, du – vielleicht das Glück haben, eines Tages einen Schlammball wie einen großen Plumpudding zu finden, von den Toshern Tosheroon genannt: einen Ball, der ein Vermögen enthielt, genug für ein ganzes Leben.