Выбрать главу

Solomon nahm eins der Papiere vom Stapel. »Und mmm ich bitte dich nur darum, dieses Dokument über den Zaren zu behalten und es vielleicht eines Tages zu nutzen, wenn sich Gelegenheit dazu ergibt, vor allem wenn mein junger Freund Karl noch lebt … Mmm, da fällt mir ein, dass sich unter diesen Dokumenten auch ein Text befindet, der ein Mitglied unserer eigenen königlichen Familie betrifft. Ich denke, ich sollte ihn ins Feuer werfen …« Er zögerte für einen Moment. »Aber vielleicht bewahre ich ihn an einem sicheren Ort auf mmm, damit er nicht die Aufmerksamkeit unfreundlicher Augen erlangt.« Er lächelte erneut. »Natürlich haben Gentlemen wie wir nichts mit solchen Angelegenheiten zu tun, doch es gibt Zeiten, da könnte es nötig werden, ein wenig Druck auszuüben.«

Im Anschluss an diese Worte verstaute Solomon sowohl den Schmuck als auch die wertvollen Dokumente irgendwo in seiner großen Jacke und wandte sich seinem Arbeitstisch zu, während Dodger Platz nahm und ins Leere starrte. Er dachte: Stell Solomon in einen Raum mit lauter Anwälten – wie viele entkommen dann aus dem Zimmer, und in welchem Zustand kriechen sie über den Boden?

Er nutzte diese Gelegenheit. »Solomon, könntest du bitte eine kleine Arbeit für mich erledigen? Wäre es dir möglich, ein wenig Gold aus diesem Haufen einzuschmelzen und einen Ring daraus zu machen? Vielleicht mit einem anständigen Rubin? Und möglicherweise dem einen oder anderen Diamanten als krönendem Abschluss?«

Solomon sah auf. »Mmm, es wäre mir eine Freude, Dodger, und natürlich biete ich dir einen guten Preis.« Er lachte, als er Dodgers Gesicht sah. »Im Ernst, mein Freund, was denkst du nur von mir? Du solltest wissen, dass ich mir einen Scherz erlaubt habe, obwohl ich nicht oft scherze.« Er fügte hinzu: »Mmm, möchtest du vielleicht eine Gravur?« Er wirkte ein wenig hinterlistig, als er sagte: »Vielleicht eine Gravur, die sich auf eine bestimmte junge Dame bezieht? Auf den genauen Wortlaut können wir uns später noch einigen, ja?«

Dodger errötete und fragte: »Kannst du auch Gedanken lesen?«

»Mmm, natürlich! Und du kannst es ebenfalls. Der einzige Unterschied besteht darin, dass ich öfter Gelegenheit hatte, Gedanken zu lesen. Und in einigen der Köpfe, in die ich geblickt habe, ging es ziemlich wirr zu, das kann ich dir versichern.«

Dodger lehnte sich zurück. »Ich habe dich nie zuvor gefragt, aber du weißt so viel und kannst so viel. Warum verbringst du die meiste Zeit damit, in dieser schäbigen Mansarde an altem Schmuck und Teilen von Uhren herumzufummeln? Du könntest dich doch ganz anderen Aufgaben widmen.«

Und Solomon antwortete: »Das ist eine schwierige Frage, aber sicher kennst du die Antwort, mmm? Meine Arbeit gefällt mir, und ich bekomme angemessene Vergütung. Anders ausgedrückt: Man gibt mir Geld für etwas, das mir Spaß macht.« Er seufzte und fuhr fort: »Aber der Hauptgrund lautet vermutlich: Ich kann nicht mehr so schnell laufen wie früher, und der Tod ist so endgültig, weißt du.«

Bei den letzten Worten setzte sich Dodger auf. Aber es war wie ein Ruf zu den Waffen, wie eine Uhr, die plötzlich tickt. Es bedeutete, dass Dodger nicht so frei war, wie er zu sein geglaubt hatte, denn die Zeit gebot über ihn, und deshalb zog er sich rasch an.

Er musste in dieser Angelegenheit überaus vorsichtig sein. Er kannte viele Leute, denen er vertrauen konnte, aber es gab verschiedene Stufen des Vertrauens, beginnend bei Personen, die Vertrauen bei einem Sixpence verdienten, bis hin zu solchen, denen er sein Leben anvertrauen durfte. Der letzten Kategorie ließen sich nicht viele Leute zuordnen, und es war vermutlich eine kluge Entscheidung, ihren guten Willen keinen allzu großen Belastungen auszusetzen, denn a) guter Wille, auf den zu oft zurückgegriffen wurde, neigte dazu, einen Teil seines Glanzes zu verlieren, und b) war es nicht gut, wenn andere zu viel über Dodgers Pläne erfuhren.

Er machte sich noch einmal auf den Weg zu Marie Jos Bude, die um diese Zeit vermutlich nicht allzu viel zu tun hatte, denn die meisten ihrer Kunden waren draußen auf den Straßen damit beschäftigt, zu betteln, zu stehlen oder, wenn alles andere versagte, genug Geld für das Abendessen zu verdienen. Aber Marie Jo war da, zuverlässig wie das Geläut der Glocken von St. Mary-le-Bow, und Dodger achtete auf seine eigene Zuverlässigkeit, indem er ihr die versprochenen Münzen für die Suppe der Kinder gab. Und dann teilte er ihr sein Anliegen mit, leise, obwohl kaum jemand in der Nähe war.

Als sie lachte und etwas Unverständliches auf Französisch erwiderte, sagte er: »Ich kann dir nicht verraten, warum ich das brauche, Marie Jo.«

Sie sah ihn an, lachte erneut und zeigte ihm den Gesichtsausdruck, den manche Frauen bekommen, wenn sie sich einem flotten jungen Herrn wie Dodger gegenübersehen, und er kannte ihn, weil er lange Zeit an der Universität von Dodger studiert hatte. Es war ein Gesicht, in dem sich Vorwurf und Nachsicht miteinander verbanden und ein unentwirrbares Bündel bildeten. Die Augen in diesem Gesicht funkelten, und er wusste, dass Marie Jo alles für ihn tun würde. Aber mit diesem Wissen wurde ihm auch klar, dass er nicht zu viel von ihr verlangen sollte.

Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß und sagte: »Cherchez la femme?« Diese Worte verstand Dodger und gab sich verlegen. Marie Jo lachte einmal mehr, ein Lachen, das irgendwie aus ihrer Kindheit zu kommen schien, und sie bestand darauf, dass er sie an der Bude vertrat und Zwiebeln und Karotten schnitt, während sie den kleinen Auftrag für ihn erledigte. Wie peinlich! Am helllichten Tag sähen die Leute, wie Dodger … ja, Dodger – an einem Verkaufsstand arbeitete. Gut nur, dass kaum jemand unterwegs war.

Zum Glück kehrte Marie Jo schon nach kurzer Zeit mit einem kleinen Paket zurück, das er sorgfältig verstaute, und zum Dank verbrachte Dodger eine weitere halbe Stunde damit, Gemüse zu schneiden. Es war sogar eine recht angenehme Tätigkeit, denn sie gab dem inneren Dodger Gelegenheit, über die nächsten Schritte nachzudenken, die ihn zu den Gebrauchtläden und Pfandleihern führen sollten. Er wusste, was er brauchte, aber es durfte nicht alles aus demselben Laden stammen, obwohl er in einem Geschäft, wo es nach schlampig gewaschener Wäsche roch, Glück hatte, denn dort fand er das Gesuchte, und der Inhaber stank nach Gin und schien ihn gar nicht zu erkennen.

Aber die Uhr tickte noch immer und ließ ihm immer weniger Zeit.

Am Nachmittag, nach einem Abstecher ins Gunner’s Daughter und zwei Pints mit einigen Kumpeln, insbesondere einem – der gute alte Dodger, er vergaß seine Freunde nicht, jetzt, da er nach der Sache mit dem teuflischen Friseur Geld besaß –, war er bereit, obwohl ihm Solomons Kichern nicht gefiel.

Dodger hatte gehört, dass Gott alles beobachtete, obwohl er, was die Slums von London betraf, oft die Augen zu schließen schien. Vielleicht sah Gott an diesem Tag nicht hin, und die Leute nahmen ohnehin nicht viel wahr. Vielleicht hätte nur ein Beobachter auf dem Mond die alte Frau bemerkt – eine bedauernswerte, mitleiderregende Alte, selbst nach den Maßstäben der schmutzigen Viertel –, die sich an einem Seil hinabhangelte, äußerst geschickt auf dem Boden landete und mühsam davonhumpelte.

Was diesen Teil des Plans betraf, machte sich Dodger keine allzu großen Sorgen. Es gab nur wenige Stellen, von denen aus man das Seil sehen konnte, aber leider kam eine gebrechliche alte Frau nur langsam voran. Gebrechliche alte Frauen – ungewaschen obendrein, wie in diesem Fall – hatten gewöhnlich nicht das Geld, mit einer Kutsche zu fahren, aber Dodger wollte nicht den ganzen weiten Weg bis zum Fluss auf diese Weise vorwärtskommen. Indem sie verzweifelt mit ihrem Gehstock winkte, gelang es der Alten, eine Kutsche anzuhalten, und als der Kutscher den erbarmungswürdigen Zustand des alten Mädchens sah, dessen Gesicht dank Marie Jo eine fröhliche Spielwiese für Warzen zu sein schien, dachte er an seine alte Mutter, half ihr beim Einsteigen und gab ihr nicht einmal zu wenig Wechselgeld heraus.