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Als er sich verabschiedete, wurde sie plötzlich ernst. »Mir scheint, du hast in ein Wespennest gestochen, mein kleiner Junge. Und es gibt da einige Leute, die ich nicht mag, von denen ich aber höre, und einer von ihnen ist ein Typ, den man den Ausländer nennt. Sagt dir der Name irgendetwas?«

Dodger schüttelte den Kopf, und Missus Hollands Gesicht zeigte plötzlich Unbehagen. Sie blickte kurz zu ihrem Mann hinüber und wandte sich dann erneut an Dodger. »Ich weiß nicht, ob ich ihm je begegnet bin, ich weiß auch nicht, wie er aussieht, aber nach allem, was man hört, ist er ein eiskalter, eisenharter Killer. Vielleicht befindet er sich zum ersten Mal in England, und wie mir zu Ohren kam, fragt er nach jemandem namens Dodger und einer jungen Frau. Es ist kaum etwas über ihn bekannt. Manche behaupten, er sei Holländer, für andere ist er ein Schweizer. Aber immer ist er ein Killer, der aus dem Dunkel kommt, den Auftrag erledigt, sein Geld nimmt und wieder im Dunkel verschwindet. Angeblich lässt er sich ständig von einer Frau begleiten, und es soll immer eine andere sein.« Missus Holland runzelte die Stirn. »Keine Ahnung, warum ich ihn hier noch nicht gesehen habe, obwohl er Frauen so sehr mag. Vielleicht erscheint er irgendwann. Oder er war schon mal hier, und wir haben ihn nicht erkannt, denn niemand weiß, wie er aussieht. Manche behaupten, ihm begegnet zu sein, und in ihren Erzählungen ist er groß und schlank, doch in anderen Berichten ist von einem recht kleinen Burschen die Rede. Alles deutet auf einen Meister der Tarnung hin. Und wenn er mit einem reden will, schickt er eine seiner Frauen mit einer Botschaft.«

Missus Holland blickte in das rauchende kleine Kaminfeuer und wirkte ungewöhnlich besorgt. »Ich kann nicht behaupten, dass ich Leute wie den Ausländer kennenlernen möchte. Er scheint mir ein scheußlicher Albtraum zu sein. Die meiste Zeit über bleibt er in Europa, wo man Schurken wie ihn verdient hat, und es gefällt mir gar nicht, dass er nun bei uns aufkreuzt. Ich mag dich, Dodger, das weißt du. Aber wenn dir der Ausländer im Nacken sitzt, brauchst du einige zusätzliche Portionen Cleverness.«

Dodger achtete darauf, dass sein Gesicht fröhlich blieb, als er fragte: »Und niemand hat ihn jemals richtig gesehen?«

»Nein«, erklärte Missus Holland. »Viele scheinen ihn gesehen zu haben, aber ihre Beschreibungen betreffen jedes Mal einen anderen Mann.«

Ihre Sorge war greifbar, Dodger fühlte sie deutlich. Und dies war eine Frau, die einen betrunkenen Seemann ohne große Skrupel in ein wahrscheinlich wässeriges Grab geschickt hätte. Offenbar gab es gewisse Umstände, die selbst sie beunruhigten, und sie sagte: »Vielleicht überrascht es dich, mein Junge, dass eine grässliche alte Schachtel wie ich ein gewisses Niveau hat, und deshalb sage ich dir: An deiner Stelle hielte ich die Augen selbst im Schlaf offen. Und jetzt gib mir einen dicken Kuss, denn es könnte der letzte sein, denn ich von dir bekomme.«

Dodger kam der Aufforderung nach, zur großen Belustigung von Bang, und er achtete darauf, sein Gesicht erst abzuwischen, als er ein ganzes Stück entfernt war. Dann kehrte er so weit wie möglich durch die Kanalisation nach Hause zurück.

Jemand, den niemand beschreiben konnte, trieb sich dort draußen herum und hatte es auf ihn und Simplicity abgesehen …

Nun, er musste sich in der Schlange anstellen. 

14

Ein Kahnführer ist überrascht, eine alte Frau verschwindet, und Dodger weiß nichts, hört nichts und, was kaum überrascht, war nicht einmal da

Es gibt noch so viel zu tun, dachte Dodger, als er nach Hause eilte. Er musste sich auf den Theaterbesuch vorbereiten, aber vorher, und das war noch wichtiger, musste er beten. Zur Lady.

Dodger war dann und wann in der Kirche gewesen, aber im Allgemeinen hielt sich das Volk der Straße von Kirchen fern, es sei denn, man bekam umsonst zu essen – für einen vollen Magen ließ man viele Hallelujas und Kommt zu Jesus über sich ergehen. Deshalb befand er sich in seinen geliebten Abwasserkanälen und überlegte, wie er das mit dem Gebet anstellen sollte.

Er hatte die Lady nie gesehen, obwohl Opa immer von ihr gesprochen hatte, als sei sie eine gute Freundin. Und Opa hatte sie gesehen, bevor er gestorben war, und wenn man einem Sterbenden nicht vertrauen konnte, wem dann? Oh, Dodger hatte das eine oder andere halbherzige Wort an die Lady gerichtet, wie man das so machte, aber so richtig gebetet, mit Herz und Seele, das hatte er noch nie. Und als er so dastand, umgeben von den Geräuschen Londons, die ihm gedämpft durch die Abflussgitter ans Ohr drangen, mit einem Mörder auf den Fersen … Da verspürte er das Bedürfnis nach einem Gebet.

Er begann auf die altehrwürdige Weise, indem er sich räusperte, und er wollte auch noch ausspucken, zögerte aber, denn unter den gegebenen Umständen wollte er niemanden beleidigen. In der Kanalisation war es besser, nicht niederzuknien, und so straffte er die Gestalt und sagte: »Entschuldige, ich weiß nicht recht, was ich sagen soll, Lady, und das ist die Wahrheit. Ich meine, es ist nicht so, dass ich ein Mörder bin, oder? Und ich verspreche dir, wenn Simplicity nichts zustößt, bekommt das arme Mädchen im Leichenhaus von Four Farthings ein Begräbnis in Lavender Hill. Ich kümmere mich persönlich darum, auch um Blumen.« Er zögerte und fuhr dann fort: »Und sie wird auch einen Namen bekommen, damit ich mich an sie erinnern kann, und das wär’s, Lady, denn die Welt ist ziemlich übel und äußerst beschwerlich. Man kann nur versuchen, immer sein Bestes zu geben, und ich bin nur Dodger.«

Ein leises Geräusch folgte. Dodger senkte den Blick und sah eine Ratte, die ihm über den Stiefel lief. War das ein Zeichen? Er wünschte sich eins. Es sollte Zeichen geben, und wenn es ein Zeichen gab, sollte es vielleicht ein Schild tragen mit dem Hinweis, dass es sich um ein Zeichen handelte. War es ein Zeichen oder einfach nur eine Ratte? Gab es da überhaupt einen Unterschied? Die Lady war immer von Ratten umgeben, und Dodger hoffte insgeheim, ein wunderschönes Gesicht zu sehen, das vor den nassen Backsteinen der Kanalwand erschien.

Oben rasselte und klapperte der Verkehr, und die gelegentliche Stille blieb still, weshalb Dodger nach einer Weile hinzufügte: »Opa, von dem du bestimmt gehört hast, erzählte mir, dass du immer Schuhe trägst. Ich meine, keine Stiefel, sondern richtige Schuhe. Wenn du dich also entschließen könntest, mir zu helfen … Dann schenke ich dir das beste Paar Schuhe, das man mit Geld kaufen kann. Danke im Voraus, dein Dodger.«

An jenem Nachmittag zeigte sich Solomon erstaunt angesichts der Sorgfalt, mit der sich Dodger auf das Theater vorbereitete.

Er schrubbte sich besonders gründlich ab, selbst die Stellen, die nur schwer zugänglich waren, und dachte dabei an den Ausländer. Er hatte nie zuvor von ihm gehört, aber man musste auch nicht über alle Leute Bescheid wissen, und ein Anschlag im Theater war eher unwahrscheinlich, oder? Doch später, in seiner privaten Welt hinter dem Vorhang, als Solomon seine eigenen Waschungen mit erstaunlich viel Geplätscher und Gebrumm erledigte, holte Dodger vorsichtig Sweeney Todds Rasiermesser aus dem Versteck und betrachtete es.

Es war ein Rasiermesser, nur ein Rasiermesser. Aber es bedeutete auch Furcht und war zu einer Legende geworden. Er konnte es ganz leicht einstecken. Izzy hatte hervorragende Arbeit geleistet – die Jacke hatte eine Innentasche in genau der richtigen Größe. Da die Jacke ursprünglich für Sir Robert Peel vorgesehen gewesen war, fragte sich Dodger, ob der oberste Peeler sie für die Gegenstände gebraucht hatte, die ein Gentleman, der auf bestimmten Straßen unterwegs war, manchmal schnell zur Hand nehmen musste, zum Beispiel einen Schlagring.

Er seufzte und legte das Rasiermesser ins Versteck zurück, denn er wusste nicht, ob er mit dem Ding in der Tasche neben Simplicity sitzen wollte. Dieser Gedanke bestürzte ihn ein wenig, und er dachte: Sweeney Todd hat Menschen ermordet, aber er ist eigentlich kein Mörder. Der Krieg hat ihn um den Verstand gebracht; andernfalls wäre er vielleicht ein ganz gewöhnlicher Friseur gewesen, der seinen Kunden nicht die Kehle durchschnitt. Aber von welcher Seite Dodger die Sache auch betrachtete: Dies war nicht der geeignete Tag für Sweeney Todds Rasiermesser, Dodger auf der Straße Gesellschaft zu leisten.