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Angela hatte Solomon mitgeteilt, dass eine Kutsche sie abholen und zum Theater bringen werde. Dodger hielt schon eine Stunde vor der vereinbarten Zeit nach ihr Ausschau, und als sie schließlich kam, stellte er zufrieden fest, dass zwei geschniegelte, aber recht muskulöse Lakaien sie begleiteten. Ihre steinernen Mienen und wissenden Blicke machten deutlich, dass sie es mit jedem aufzunehmen gedachten, der sich der Kutsche unerlaubt näherte.

Solomon stieg als Erster ein. Als Dodger ihm folgte, musste er zu seiner großen Enttäuschung zur Kenntnis nehmen, dass Simplicity nicht im Innern der Kutsche saß. Einer der Kutschenmänner spähte zum Fenster herein, schenkte ihm ein unerwartetes Lächeln und sagte: »Die Damen bereiten sich noch vor, Sir. Wir wurden angewiesen, Sie vorher abzuholen. Ich darf Ihnen auch mitteilen, dass es Erfrischungen gibt, die Sie unterwegs genießen können.« Die Stimme veränderte sich, und in weniger noblem Tonfall fügte der Mann hinzu: »Dieser Bursche hat Sweeney Todd erledigt. Ich kann’s gar nicht abwarten, meiner alten Mutter davon zu erzählen.«

Während Solomon die gut ausgestattete Bar in der Kutsche einer kritischen Inspektion unterzog – sie fand seine Anerkennung, wie sich herausstellte –, dachte Dodger angestrengt nach. Es ging nicht unbedingt um den Ausländer, sondern um etwas, das sich irgendwo in seinem Hinterkopf verbarg. Immer wieder rief er sich die Worte ins Gedächtnis zurück, die Missus Holland an ihn gerichtet hatte. Etwas klang nicht richtig, eher wie eine Geschichte, so wie die über Sweeney Todds Rasiermesser, und Dodger kannte die Wahrheit über Sweeney Todds Rasiermesser, oder? Zugegeben, einen Teil dieser Geschichte hatte er selbst geschaffen, und deshalb war er nun für viele Leute ein tapferer Krieger, obwohl er tief in seinem Herzen wusste, dass er nur ein gescheiter junger Mann war.

Schnell wie ein Messer kehrte der Gedanke zurück. Wie viel Wahrheit steckte hinter der Geschichte über den Ausländer? Für den Mann mit den vielen Frauen? Klang das echt?, fragte sich Dodger. Er gab sich selbst die Antwort: Nein – selbst Missus Holland hat ziemliche Angst vor ihm, und vielleicht hat der Ausländer einen kleinen Zauber gesponnen, der ihn größer und gefährlicher macht, als er in Wirklichkeit ist. Diese Möglichkeit sorgte dafür, dass sich Dodger etwas besser fühlte. Es ging um so etwas wie geschickte Zurschaustellung; darum ging es immer. Und Dodger plante seine eigene Schau.

Er erinnerte sich, dass er ein äußerst wichtiges Gespräch mit Miss Coutts führen musste, mit der lieben Miss Coutts. Er wusste, dass sie eine ungewöhnliche Frau war, mit mehr Geld als jeder andere Mensch und ohne Ehemann, und er lächelte vor sich hin und dachte: Hm, eine Frau mit reichlich Geld, die keinen Mann braucht. Wenn man Geld hat, eigenes Geld, dann ist ein Mann eigentlich nur im Weg. Solomon hatte ihm erzählt, dass Miss Coutts einmal dem Herzog von Wellington einen Heiratsantrag gemacht hatte. Wellington, als guter Taktiker bekannt, hatte behutsam und respektvoll abgelehnt. Dodger dachte: Der Herzog scheint gewusst zu haben, dass er diesen einen Kampf nie gewinnen kann.

Mit einem glücklichen Seufzer stellte Solomon eine Karaffe mit Brandy zurück, und Dodger sagte: »Solomon, ich muss dir etwas sagen.«

Weniger als eine Viertelstunde Fahrt trennte die Kutsche von ihrem Ziel, und einen großen Teil dieser Zeit verbrachte Dodger damit, beunruhigte Blicke auf Solomon zu richten, der offenbar tief in Gedanken versunken war, bis er schließlich sagte: »Mmm, ich muss sagen, dass du sehr gründlich bist, Dodger. Du siehst hier einen Mann, der heute alt und gebrechlich sein mag, aber einmal aus dem Gefängnis entkam, indem er einen Wärter mit seinen Schnürsenkeln erdrosselte. Inzwischen bedaure ich das fast, aber ich denke auch, dass ich heute nur deshalb hier bin und dir davon erzählen kann. Und um ganz ehrlich zu sein, der Mistkerl hat es nicht anders verdient, wenn man bedenkt, wie er die Gefangenen behandelte. Mein Volk ist nicht unbedingt dafür bekannt, Krieger hervorgebracht zu haben, aber wenn es sich nicht vermeiden lässt, versuchen wir, gute Kämpfer zu sein. Was deinen Plan betrifft … Er ist kühn und wagemutig, und so, wie du ihn beschreibst, könnte er sogar durchführbar sein. Aber denk daran, mein Freund: Du brauchst dafür Angelas Zustimmung, die sich derzeit als Simplicitys Beschützerin betrachtet.«

Die Kutsche wurde langsamer, und Dodger sagte: »Ich weiß, was du meinst, aber die einzige Person, die Simplicity nach den geltenden Regeln Befehle erteilen kann, ist ihr Mann, und eins steht fest: Was er sagt, spielt keine Rolle, denn er ist ein echter Miesling von einem Prinzen.«

Ein weiterer Lakai öffnete die Tür, noch bevor Solomons Hand sie berührte, und man führte Solomon und Dodger in einen Salon, in dem sich zwar Angela aufhielt, leider aber ohne Simplicity. Angela bemerkte Dodgers Enttäuschung ohne Zweifel, denn sie sagte munter: »Simplicity lässt sich Zeit, Mister Dodger, weil sie mit Ihnen das Theater besucht.« Sie klopfte neben sich aufs Sofa. »Nehmen Sie Platz!«

Und so saßen sie zu dritt in der sonderbaren Stille von Menschen, die warten, ohne sich viel zu sagen zu haben. Schließlich öffnete sich eine Tür, ein Dienstmädchen trat ein und zupfte hier und dort an Simplicitys Kleid, die lächelte, als sie Dodger sah, woraufhin die ganze Welt golden glänzte.

»Wie schön, Sie so hübsch zu sehen, meine Liebe«, sagte Miss Coutts, »aber ich fürchte, wir kommen zu spät zu Julius Cäsar, wenn wir uns nicht sputen. Zwar steht uns im Theater eine Loge zur Verfügung, doch ich halte es nach wie vor für eine Unhöflichkeit, zu spät zu kommen.«

Dodger durfte in der Kutsche neben Simplicity sitzen. Derzeit sagte sie nicht viel und schien voller Aufregung an den bevorstehenden Theaterbesuch zu denken, und Dodger dachte zum Beispieclass="underline" Eine Loge, meine Güte! Es bedeutet, dass viele Leute sie sehen können.

Aber kurz nachdem sie das Theater erreicht hatten, und zwar rechtzeitig genug, um niemanden in Verlegenheit zu bringen, nahmen die beiden Lakaien – oder zwei andere, die genauso aussahen – ihre Plätze hinter ihnen ein. Es mussten dieselben sein, denn als sich Dodger umwandte, erkannte er den Mann, der es nicht abwarten konnte, seiner alten Mutter von Dodger zu erzählen. Als sich ihre Blicke trafen, lächelte der Mann kurz und zeigte einen großen Schlagring, der gleich darauf wie durch Magie wieder verschwand. Nun ja, immerhin etwas.

Dodger hatte schon vorher Schauspielhäuser besucht, inoffiziell, doch es dauerte eine Weile, bis er begriff, was auf der Bühne geschah. Solomon hatte zuvor versucht, ihm eine Vorstellung davon zu vermitteln, was es mit Julius Cäsar auf sich hatte, und Dodger glaubte, es mit einem Bandenkrieg zu tun zu haben, bei dem alle viel zu viel redeten. Die Worte flogen über seinen Kopf hinweg, und er bemühte sich, sie festzuhalten, und nach einer Weile dämmerte ihm langsam, worum es bei diesem Stück ging. Wenn man sich erst einmal an die Sprechweise und die vielen Bettlaken und alles andere gewöhnt hatte, wurde klar: Das Geschehen betraf scheußliche Leute. Als Dodger das dachte und sich fragte, welcher Seite er seine Sympathien schenken sollte, fiel ihm plötzlich ein, dass diese römischen Typen die Kanalisation gebaut und die Lady Cloacina genannt hatten.

Obwohl Julius Cäsar und die anderen Figuren auf der Bühne keine Anstalten machten, irgendwelche Abwasserkanäle zu konstruieren, fragte sich Dodger, ob er der Lady gegenüber den Namen verwenden sollte, den ihr die Römer gegeben hatten; vielleicht war es einen Versuch wert. Während die Reden auf der Bühne über ihn hinwegzogen, schloss er die Augen und versuchte sein Glück bei der römischen Göttin der Latrinen. Er hob die Lider wieder, als eine Stimme verkündete: »Es gibt Gezeiten für der Menschen Treiben; nimmt man die Flut wahr, führt sie uns zum Glück.« Mit großen Augen beobachtete Dodger die Schauspieler. Also, wenn man sich ein Zeichen wünschte, so war dies zweifellos besser als eine Ratte, die einem über den Stiefel lief!