Dodger hatte alle erwähnten Dinge gefunden, nacheinander, von Zeit zu Zeit, manchmal zwei oder drei von ihnen zusammen in einem kleinen Nest, das sich in einem Spalt gebildet hatte. Solche Stellen merkte er sich, er verzeichnete sie in der Karte, die er im Kopf mit sich herumtrug, und natürlich kehrte er dorthin zurück. Es geschah nicht selten, dass er mit Fundgut heimkehrte, über das sich Solomon freute, aber die große Pastete aus Dreck, Schmuck und Geld, die Tür und Tor für ein besseres Leben geöffnet hätte, war bisher noch nicht dabei gewesen.
Doch gab es ein besseres Leben als das Toshen, wenn man ein Dodger war? Die Welt – London, mit anderen Worten – schien wie für ihn geschaffen, nur für ihn. Sie arbeitete für ihn, als hätte die Lady es so bestimmt. Goldener Schmuck und Münzen waren schwer und blieben leicht irgendwo stecken, wohingegen tote Katzen, Ratten und Haufen gern schwammen, was gut war, denn es wäre nicht sehr angenehm gewesen, ständig durch Scheiße stapfen zu müssen. Während sich Dodger fast geistesabwesend an der Mauer des Abwasserkanals entlangtastete, bekannte Fundstellen überprüfte und nach neuen Ausschau hielt, überlegte er, was ein Tosher machen würde, wenn er einen richtigen Tosheroon fand. Er kannte sie alle, die Tosher, und woraus bestand ihre Beute, wenn sie einen guten Tag hatten? Was stellten sie mit dem hart erarbeiteten Geld an, für das sie im Dreck gewühlt hatten? Sie vertranken es, und je größer der Fund, desto mehr tranken sie. Wenn sie vernünftig waren, legten sie etwas beiseite, für eine Mahlzeit und ein Bett für die Nacht – am nächsten Morgen würden sie wieder arm sein.
Etwas klimperte unter seinen Fingern. Es war das Geräusch von zwei Sixpence-Münzen an der Stelle, die er Auf dich ist Verlass nannte – ein guter Anfang.
Dodger wusste, dass er den anderen Toshern überlegen war; deshalb hatte er sich über alle Tosherregeln hinweggesetzt und war während eines Unwetters in die Kanalisation eingestiegen. Sicher hätte er Erfolg gehabt, wenn der Kampf nicht stattgefunden hätte und der ganze Rattenschwanz danach nicht passiert wäre. Wenn man sich ganz auf die Suche konzentrierte, ließen sich in den Tunneln Plätze finden, wo man in einer Luftblase ausharren konnte, während ringsum die Welt tobte. Er hatte einen solchen guten Platz entdeckt. Dort war es zwar recht kalt, aber er hätte von dort aus als Erster die Gunst der Stunde nutzen und die Ernte der Nacht einbringen können. Jetzt musste er sich beeilen, denn andere Tosher kamen durch die Kanalisation auf ihn zu, und plötzlich glänzte etwas in der Düsternis weiter vorn. Der Glanz verschwand sofort wieder, aber er hatte die Stelle in Gedanken markiert und arbeitete sich langsam dorthin vor, wo er das Etwas gesehen hatte. Was er kurz darauf fand, war ein Haufen Unrat auf einer kleinen Sandbank, wo ein kleinerer Abwasserkanal in diesen einmündete. Und dort, in dem noch feuchten Dreck …
Eine tote Ratte lag da, im Maul etwas Glänzendes, das erst nach einem Goldzahn aussah, sich bei genauerem Hinsehen aber glücklicherweise als halber Sovereign erwies, fest eingeklemmt zwischen Herrn Rattes Zähnen. Man berührte nie eine Ratte, wenn man es irgendwie vermeiden konnte, und deshalb nahm Dodger seine kleine Brechstange immer mit nach unten. Er machte zusammen mit seinem Messer Gebrauch davon, hebelte das Maul der Ratte auf und stieß den halben Sovereign heraus. Anschließend balancierte er die Münze auf der Messerklinge und hielt sie ins Wasser, das über die Wand rann – auf diese Weise wusch er sie ein wenig sauber.
Wenn doch nur jeder Tag so gut wäre wie dieser! Wer wollte an einem solchen Tag oben einer Arbeit nachgehen? Ein geschickter Kaminkehrer musste eine Woche schuften, um das Geld zu verdienen, das Dodger gerade gefunden hatte. Oh, ein Tosher zu sein, an einem solchen Tag!
Dann hörte er das Stöhnen …
Dodger schlich an der Ratte vorbei in den kleineren Siel, in dem sich jede Menge Kram angesammelt hatte, ein großer Teil davon Holzteile, manche von ihnen scharf wie Messer. Hinzu kam viel anderes Geröll, von der Flut der vergangenen Nacht hierhergeschwemmt. Aber zu Dodgers großem Erstaunen schien der größte Teil des Schutts aus einem Mann zu bestehen, und dieser Mann sah nicht gesund aus. Wo sich eigentlich ein Auge befinden sollte, gab es nicht mehr viel, und das andere öffnete sich soeben und blickte Dodger unverwandt ins Gesicht. Es stank, das Gesicht, in das Dodger sah, und er schauderte, denn es war ihm vertraut.
»Das bist du, Opa, nicht wahr?«
Der älteste Tosher von London erweckte den Eindruck, gefoltert worden zu sein, und Dodger übergab sich fast, als er den übrigen Körper sah. Er musste allein gearbeitet haben, so wie Dodger, und war dann in die Flut geraten, in der zahlreiche Gegenstände herumgeschwommen waren, die Leute weggeworfen oder verloren hatten, die sie verstecken oder loswerden wollten. Viele dieser Gegenstände waren gegen Opa gekracht, der aufrecht zu sitzen versuchte – trotz der vielen blauen Flecken, des Bluts und der anderen Scheußlichkeiten, die einem nur die Kanalisation bescheren konnte.
Opa spuckte Schlamm – zumindest hoffte Dodger, dass es nur Schlamm war – und sagte: »Oh, du bist’s, Dodger. Freut mich, dich in so guter Verfassung zu sehen. Du bist ein braver Bursche und gescheiter, als ich es jemals gewesen bin. Was ich von dir möchte … Bitte hol mir eine Flasche vom schlechtesten Brandy, den du auftreiben kannst. Bring sie her und kipp sie in die Öffnung, die mal meine Kehle war, ja?«
Dodger versuchte einen Teil des Krams wegzuziehen, unter dem der Alte halb begraben lag. »Mich hat’s ganz schön erwischt, das kannst du mir glauben. Was bin ich doch für ein Narr! In meinem Alter … Ich hätte es besser wissen sollen. Ich schätze, diesmal habe ich zu viel abgekriegt. Wird Zeit für mich abzutreten. Sei ein guter Junge und hol mir den Fusel! In meiner rechten Hand befinden sich ein Sixpence, eine Krone und fünf Pennys. Die Münzen sind noch immer da, denn ich fühle sie, und sie sind alle für dich, du glücklicher Junge.«
»He«, sagte Dodger, »ich nehme nichts von dir, Opa!«
Der alte Tosher schüttelte den Kopf oder was davon übrig war, und sagte: »Zunächst einmal bin ich gar nicht dein Opa. Ihr Jungs habt mir diesen Namen nur deshalb gegeben, weil ich älter bin als ihr. Und bei der Lady – du wirst meine Sachen nehmen, wenn ich hinüber bin, denn du bist ein Tosher, und ein Tosher nimmt sich, was er findet. Nun, ich weiß, wo ich bin, und daher weiß ich auch, dass sich hinter der nächsten Ecke stromaufwärts ein Getränkeladen befindet. Brandy, habe ich gesagt, den schlechtesten, den sie haben, und dann behalt mich in guter Erinnerung. Mach dich auf die Socken, wenn dich nicht der Fluch eines sterbenden Toshers verfolgen soll!«
Dodger kam rennend aus dem nächsten Gully, fand den schmierigen Fuselladen, kaufte zwei Flaschen von einem Brandy, der roch, als könne er einem Mann das Bein abschneiden, und kletterte wieder in die Kanalisation hinab, kurz nachdem das Echo des angedrohten Fluchs verklungen war.
Opa war noch da und sabberte etwas Schreckliches, aber es lag so etwas wie ein Lächeln in seinem entstellten Gesicht, als er Dodger sah, der ihm die erste offene Flasche reichte – er leerte sie mit einem großen, langen Gluck. Einige Tropfen flossen ihm aus dem Mund, als er nach der zweiten Flasche winkte und sagte: »Dies ist genau richtig, so sollte ein Tosher aus dem Leben scheiden, o ja«. Dann senkte er die Stimme zu einem Flüstern, und mit der einen Hand, die noch einigermaßen in Ordnung war, packte er Dodger. »Ich habe sie gesehen, Junge. Die Lady höchstpersönlich. Sie stand dort, wo du jetzt stehst, scharlachrot und golden, und sie leuchtete wie die Sonne auf einem Sovereign. Dann warf sie mir eine Kusshand zu, winkte und verduftete, natürlich auf würdevolle Art, wie es der Lady geziemt.«