Simplicitys Holzstück hatte die Ausländerin ziemlich hart getroffen. Dodger fühlte noch einen Puls, aber auch ein bisschen Blut hier und dort. Die Mörderin würde so schnell nicht wieder aufstehen. Im Gegensatz zu dem Mann, der wieder auf die Beine kam, wenn auch ohne große Begeisterung, was daran liegen mochte, dass er den Mund voller Dreck hatte. Er stöhnte, schwankte und sabberte grünen Schleim.
Dodger packte ihn. »Sprechen Sie Englisch?« Die Antwort verstand er nicht, aber Simplicity trat vor und sagte nach einem kurzen Verhör: »Er kommt aus einem der deutschen Länder, aus Hamburg, und scheint sich sehr zu fürchten.«
»Gut, sag ihm, dass er seine Heimat vielleicht wiedersieht, wenn er brav ist und alles tut, was wir ihm sagen. Erzähl ihm nicht, dass ihn daheim vermutlich der Galgen erwartet, denn ich will vermeiden, dass er sich Sorgen macht. Derzeit möchte ich natürlich ein Freund dieses armen Burschen sein, der von einer bösen Frau auf die schiefe Bahn geführt wurde. Und da ich sein Freund sein möchte, dürfte er bereit sein, mir zu helfen, oder? Na schön, sag ihm das, und sag ihm außerdem, dass er die Hose ausziehen soll, und zwar fix!« Es war eine ausländische Hose von guter Qualität, aber während der Mann dort nackt saß, zerriss ihm Dodger die deutsche Hose, nahm die Stoffstreifen und fesselte damit die Ausländerin und ihren Assistenten.
Simplicity lächelte die ganze Zeit über, doch dann fiel ein Schatten auf ihr Gesicht, und sie fragte: »Was jetzt, Dodger?« Und er antwortete: »Es läuft alles nach Plan. Denk an den Ort, von dem ich dir erzählt habe. Wir nennen ihn Kessel, weil es dort bei einem ordentlichen Regenguss ziemlich wild zugeht, aber es bedeutet auch, dass der Kessel sauberer ist als viele andere Bereiche hier unten. Erinnerst du dich an die helleren Ziegel? Sie zeigen den Weg. Es gibt dort etwas zu essen und eine Flasche Wasser. Und Leute werden herbeilaufen, wenn sie den Schuss hören.« Er reichte ihr Solomons Pistole. »Weißt du, wie man damit umgeht?«
»Ich habe Männer beim Schießen mit meinem … Gatten beobachtet. Ja, ich glaube, ich komme damit klar.«
»Gut«, sagte Dodger. »Richte das offene Ende auf jemanden, den du nicht magst – das genügt gewöhnlich. Wenn alles klappt, sollte ich gegen Mitternacht in der Lage sein, zu dir zu kommen. Mach dir keine Sorgen! Das Schlimmste hier unten bin derzeit ich, und ich stehe auf deiner Seite. Du wirst Stimmen hören, aber bleib still und im Verborgenen. Ich pfeife, wenn ich zu dir komme, daran erkennst du mich. Wir gehen vor wie geplant …«
Sie küsste ihn und sagte: »Weißt du, Dodger, bestimmt wäre auch dein erster Plan gelungen.« Demonstrativ streifte sie den Ring über, den sie beim Toshen gefunden hatte, und dann ging sie und ließ sich von den etwas helleren Ziegeln den Weg durch die Dunkelheit weisen.
Dodger machte sich schnell ans Werk. Er lief durch die Kanalisation zu der Stelle zurück, wo er Charlie mit großem Nachdruck daran gehindert hatte, eine Abzweigung zu nehmen. Was er dort aus einem Versteck holte, von Lavendelbüscheln umgeben, waren die sterblichen Überreste der blonden jungen Frau, die genauso gekleidet war wie Simplicity. Er schob ihr den goldenen Ring auf den Finger, den wundervollen Ring mit den Adlern im Wappen.
Jetzt kam der üble Teil. Er holte die Pistole der Ausländerin hervor, atmete mehrmals tief durch und schoss der Leiche zweimal ins Herz, denn der Ausländer würde, um auf Nummer sicher zu gehen, zweimal schießen. Dann schoss er ein drittes Mal, fast ohne hinzusehen: auf die eine Seite des Gesichts, wo die Ratten damit begonnen hatten … das zu tun, was Ratten bei einer leckeren Leiche zu tun pflegten. »Es tut mir leid«, flüsterte er. Dann wandte er sich einem anderen Versteck hinter dem Unrat zu, der sich in diesem Kanal angesammelt hatte, und holte einen Eimer mit Schweineblut hervor. Er kippte ihn aus und versuchte dabei, nicht anwesend zu sein, zu einem tanzenden Phantom zu werden, das beobachtete, wie jemand tat, was er tat, denn: Sooft er sich auch sagte, dass dies eigentlich nichts Unrechtes war – ein Teil von ihm widersprach.
Und dann eilte er durch den Tunnel zurück, setzte sich und weinte und hörte ein Platschen, verursacht von Leuten, die durchs Abwasser liefen. Interessanterweise war es Charlie, gefolgt von einem Constable, Mister Disraeli und dem jungen Joseph Bazalgette. Sie fanden Dodger in Tränen aufgelöst, in Tränen, die von ganz allein kamen.
»Ja«, sagte Dodger und schluchzte. »Sie ist tot, sie ist wirklich tot. Ich habe alles versucht und mein Bestes gegeben, aber …«
Eine Hand legte sich auf Dodgers Nacken, und Charlie fragte: »Tot?«
Dodger blickte auf seine Stiefel. »Ja, Charlie, sie wurde erschossen. Ich konnte es nicht verhindern. Es war … der Ausländer, ein wahrer Mörder.« Er blickte auf, und die Tränen in seinen Augen glänzten im Laternenschein. »Was sollte ich gegen einen berufsmäßigen Mörder ausrichten?«
Charlie musterte Dodger zornig. »Sagst du mir die Wahrheit, Dodger?«
Daraufhin hob Dodger den Kopf noch etwas höher. »Es geschah alles so schnell, dass es wie in einem Nebel war.«
Charlies Gesicht befand sich plötzlich dicht vor Dodgers Nase. »In einem Nebel, sagst du?«
»Ja, in dem Nebel, in dem die Leute sehen, was sie sehen wollen.« Entdeckte er etwa die Andeutung eines Lächelns in Charlies Augen? Dodger hoffte es.
Doch der Mann fragte: »Aber es gibt eine Leiche?«
Dodger nickte traurig. »Ja, die gibt es leider. Ich kann dich zu ihr bringen, ja, ich glaube, das sollte ich sofort tun.«
Charlie senkte die Stimme. »Diese Leiche …«
Dodger seufzte: »Die Leiche einer armen jungen Frau … Ich werde die Schuldigen finden und mit deiner Hilfe zur Rechenschaft ziehen, aber was Simplicity betrifft … Ich fürchte, du wirst sie niemals lebend wiedersehen.«
Er sprach diese Worte langsam und bedächtig aus, behielt dabei Charlie im Auge, der erwiderte: »Ich kann nicht behaupten, von deinen Worten begeistert zu sein, Dodger, aber hier ist ein Constable. Zeig uns den Weg!« Er wandte sich an Disraeli, der fast zurückwich, und sagte: »Komm, Ben, als Säule des Parlaments solltest du dies mit eigenen Augen sehen.« In diesen Worten lag fast die Schärfe eines Befehls, und einige Minuten später erreichten sie die Leiche, die in Schlamm und Blut lag.
»Gütiger Gott!«, stieß Mister Disraeli hervor und gab sich alle Mühe, entsetzt zu wirken. »Mir scheint, Angelas Bediensteter ist tatsächlich … Miss Simplicity gewesen.«
»Wenn Sie gestatten, Sir … Warum hat sich hier unten eine als Mann verkleidete junge Frau herumgetrieben?«, fragte der Constable, denn er war Polizist, obwohl er derzeit wie ein Constable aussah, der sich in einer Situation befand, die mindestens einen Sergeanten erforderte.
Charlie wandte sich zu ihm um. »Ich glaube, Miss Simplicity war eine junge Frau, die wusste, was sie wollte. Aber ich bitte Sie alle, um Miss Coutts willen … Es soll nicht bekannt werden, dass Simplicity so gekleidet war, als sie starb.«
»Auf keinen Fall«, verkündete Mister Disraeli. »Dass eine junge Frau ermordet wurde, ist schlimm genug, aber noch dazu eine, die Hosen trug … Wohin soll das noch führen?« Aus diesen Worten sprach ein Politiker, der sich fragte: Was denkt die Öffentlichkeit bloß von mir, wenn sie erfährt, dass ich mich hier unten aufhalte und in diese Affäre verwickelt bin?
»Bestens geeignet für eine arbeitende junge Frau«, sagte Dodger. »Wenn Sie wüssten! Ich habe Frauen auf den Kohlekähnen arbeiten gesehen, und es waren stramme, starke Frauen. Niemand traut sich, es ihnen zu verbieten, und das war auch besser so, denn einige von ihnen besaßen Fäuste, die jeden Mann umgehauen hätten.«
Charlie wandte sich wieder der Leiche zu. »Nun«, sagte er, »wir sind uns alle einig, dass diese Dame, die eine Hose trägt, Miss Simplicity ist. Aber ihr Tod … Was meinen Sie, Constable?«