Womit sich Dodger anschließend beschäftigte, sah niemand, aber gegen Mittag stand er auf der London Bridge und sah den Schiffen nach, als eine junge Frau mit langem Haar und einer Stimme, bei der es ihm im Nacken prickelte, ihn ansprach und fragte: »Entschuldigen Sie, Mister, können Sie mir vielleicht den Weg nach Seven Dials zeigen, wo meine Tante wohnt?«
Ein Beobachter – und sie wurden beobachtet – hätte gesehen, wie sich Dodgers Miene erhellte, und vielleicht hätte er auch gehört, wie er sagte: »Sind Sie neu in der Stadt? Prächtig! Bitte erlauben Sie mir, Sie ein wenig herumzuführen, es wäre mir ein Vergnügen.«
In diesem Moment hielt eine Kutsche an, sehr zum Ärger der Kutscher dahinter, aber die recht kräftig gebauten Männer auf dem Kutschbock dieser Kutsche scherten sich nicht darum. Eine Frau stieg aus, schenkte Dodger ein Lächeln, musterte die junge Dame aus Somerset und sagte nach einer fast forensischen Untersuchung: »Meine Güte, welche Überraschung, mein Freund, man könnte diese junge Dame fast für Simplicity halten! Aber leider wissen wir beide, dass sie unter schrecklichen Umständen ums Leben kam. Aber Sie, Mister Dodger, sind ganz offensichtlich ein ausgesprochen unverwüstlicher Gentleman. Da wir drei uns seltsamerweise auf dieser Brücke begegnen, erlauben Sie mir vielleicht, Sie und Ihre neue Freundin zum Friedhof von Lavender Hill zu bringen, denn dorthin wollte ich heute, da der Steinmetz den Grabstein für die arme Simplicity fertiggestellt hat.« Sie sah die junge Frau an und fragte: »Wie heißen Sie, junge Dame?«
Die Fremde lächelte und antwortete: »Serendipity, Missus.« Und Angela musste sich den Mund zuhalten, um nicht zu lachen.
Und so machten sie sich auf den Weg nach Lavender Hill, wo Blumen auf ein Grab gelegt und – was nicht überraschend kam – Tränen vergossen wurden. Und dann wurden Dodger und die junge Frau Serendipity bei einer anderen Brücke abgesetzt, wo der Glückliche-Familie-Mann seinen seltsamen Wagen aufgestellt hatte.
Der Wagen war eigentlich ein großer Käfig, der einen Hund, eine Katze, einen kleinen Pavian, eine Maus, zwei Vögel und eine Schlange enthielt, und alle lebten friedlich miteinander wie gute Christen, betonte der Mann.
»Warum in aller Welt frisst die Katze die Maus nicht, Dodger?«, fragte Serendipity.
»Nun«, sagte er, »der Alte ist bestimmt nicht geneigt, seine Geheimnisse zu verraten, aber wenn man die Tiere friedlich miteinander aufwachsen lässt, werden sie, so heißt es, zu einer glücklichen Familie. Aber es heißt auch: Sollte eine Maus, die der Schlange noch nicht vorgestellt wurde, durch dieses Gitter schlüpfen, würde sie schnell zu einer Mahlzeit der Schlange.«
Serendipity nahm Dodgers Hand, und sie gingen über die Brücken und sahen sich alle Darbietungen an: den Mann, der schwere Gewichte hob, die Würfelspieler und den Mann, der auf den Händen stehen konnte. Als London im goldenen Abendlicht schließlich zu einem heidnischen Tempel aus glänzender Bronze zu werden schien und die Themse sich gleichsam in einen zweiten Ganges verwandelte, gingen sie nach Hause, ohne dem Kasperletheater Beachtung zu schenken.
Der nächste Morgen begann mit einem ziemlichen Lärm auf der Straße. Als Dodger schlaftrunken zum Fenster wankte und hinabblickte, entdeckte er zwei Männer mit federgeschmückten Helmen und einen kleineren Mann, der einerseits wichtigtuerisch wirkte und sich andererseits in der Gegend zu fürchten schien, in der er sich befand. Dodger schaffte es, das Fenster zu öffnen, und rief: »Was wollen Sie, Mister?« Der kleinere Mann gefiel ihm nicht. Offenbar war er der Boss, denn wann immer man einen kleinen Mann zusammen mit einem großen sah, hatte der große nichts zu melden. Der kleine Mann fragte nun: »Kennen Sie einen Gentleman namens … Mister Dodger?«
Dodger schluckte und erwiderte: »Hab nie von ihm gehört.«
Der Mann sah zu ihm hoch. »Bedaure sehr, das zu hören, Sir. Aber wenn Sie vielleicht besagtem Mister Dodger begegnen, so richten Sie ihm bitte aus, dass Ihre Majestät Königin Viktoria ihn morgen Nachmittag im Buckingham Palace erwartet!«
Hinter Dodger sagte Solomon schläfrig: »Mmm, Dodger, einen Ruf Ihrer Majestät kann man nicht überhören.«
Und so gab es für Dodger kein Entkommen, weshalb er die Treppe hinunterstieg und auf die Straße trat. Dort kamen bereits Menschen zusammen, sehr zum Verdruss der beiden Männer mit den federgeschmückten Helmen, denn es kursierte das Gerücht, dass Dodger zum Galgen gebracht werden sollte, und hier und dort wurden Stimmen laut, die dazu aufforderten, dergleichen zu verhindern. Und außerdem: Wenn ein Gerücht die Runde machte, so blieb es nicht lange allein, denn Gerüchte lieben die Gesellschaft weiterer Gerüchte.
Dodger stand da, blinzelte und sagte: »Na schön, Mister, und jetzt sagen Sie mir die Wahrheit!«
Der inzwischen recht beunruhigte kleine Mann versuchte, Würde in einer Welt zu zeigen, die gar keine Würde kannte. Er reichte Dodger ein Dokument. »Finden Sie sich morgen um vier Uhr dreißig am Tor des Buckingham Palace ein. Sie können insgesamt drei Mitglieder Ihrer Familie mitbringen. Ich werde Ihrer Majestät natürlich mitteilen, dass Sie sich demütigst einverstanden erklären.«
Es folgte ein seltsamer, geheimnisvoller Tag, selbst als die Leute das Interesse verloren und ihren eigenen Angelegenheiten nachgingen – oder in einigen Fällen so vielen Angelegenheiten anderer Leute, wie sie stehlen konnten. Dodger begann ihn, indem er einen Spaziergang unternahm. Diesmal streifte er nicht durch die Kanalisation, sondern ging kreuz und quer durch London, und zwar in Begleitung von Onan, der voller Freude neben ihm hertappte und sich riesig freute, so lange draußen unterwegs sein zu dürfen. Schließlich führte der Weg, den Dodgers Beine beschritten – und die ihn besser kannten als er sich selbst – durch Covent Garden zur Fleet Street.
Charlie war nicht da, aber als Dodger um ein Gespräch mit dem Herausgeber bat und sagte, wer er war, wurde er sogleich nach oben geführt und erfuhr dort, dass seinem Konto weitere sieben Guineen gutgeschrieben worden waren. Woraufhin Dodger den Wunsch äußerte, das übrige Geld der Sammlung dafür zu verwenden, das Leben für Mister Todd erträglicher zu machen, der, soweit er wusste, im Hospital von Bedlam einsaß, einer Örtlichkeit, die sich nicht unbedingt für empfindliche Gemüter eignete.
Mister Doyle erklärte sich einverstanden und wollte darüber hinaus dafür sorgen, dass das Geld tatsächlich seiner Bestimmung zugeführt wurde. Dadurch fühlte sich Dodger besser. Nach diesem Gespräch setzte er seine Wanderung fort und unterbrach sie nur, um beim Metzger einen Knochen für Onan zu kaufen. Anschließend besuchte er einen Getränkeladen, besorgte sich dort eine Flasche mit gutem Brandy und ging damit zum Fluss, wo er sich von einem Fährmann zum Kai bei Four Farthings übersetzen ließ.
Der Coroner war nicht anwesend, aber sein Beamter versicherte, er werde das Geschenk weiterreichen, das angeblich von einer Alten stammte, die die Hilfe des Coroners empfangen und versprochen hatte, sich dafür erkenntlich zu zeigen. Was den Beamten zu der Bemerkung veranlasste, dass es um die Welt besser bestellt wäre, wenn alle Menschen ihr Wort halten würden. In Four Farthings gab es nicht viel, das nicht bald in den größeren Bezirken aufgehen würde, aber Dodger sah sich die Kirche von St. Never an, gewidmet einem wenig bekannten Heiligen, der für Belange zuständig war, die nie geschahen, vermutlich einer der Gründe, warum hier so viele junge Frauen beteten. Er warf einen Shilling in den Opferstock, hörte aber, wie die Münze auf Holz traf; vermutlich würde sie in dem Kasten lange Zeit allein bleiben.
Er fand genug Zeit für einen Umweg, der ihn zu Mister und Missus Mayhew führte, denen er die Hand schüttelte, ihnen für ihr Beileid und auch für die Hilfe dankte, die sie der kürzlich verstorbenen armen Simplicity gewährt hatten. Und die, wie Dodger betonte, zweifellos sehr dankbar gewesen wäre, wenn das Schicksal sie vor dem viel zu frühen Tod bewahrt hätte. In dieser Hinsicht sei er völlig sicher, fügte er hinzu, als hätte er es aus ihrem eigenen Mund gehört. Als ihn die Mayhews durch den Flur zur vorderen Tür führten, beschloss er einen weiteren Umweg und machte einen Abstecher zur Küche, wo er sogar für Missus Sharples ein fröhliches Lächeln erübrigte und einen dicken Kuss von Missus Quickly empfing.