Er dachte: Ich glaube, dass Opa so starb, wie er es sich gewünscht hatte. Aber niemand sollte sich einen solchen Tod wünschen, oder? Ich jedenfalls möchte nicht auf diese Weise aus dem Leben scheiden. Ein anderer Gedanke folgte: Was wünsche ich mir, wenn ich nicht so aus dem Leben scheiden möchte? Es war ein überraschend kleiner Gedanke, ein Gedanke, der in einer stillen Ecke wartet und dann plötzlich zum Vorschein kommt wie eine Warze. Er steckte ihn sich hinters Ohr, sozusagen, um ihn später genauer zu untersuchen.
Solomon sprach wieder. »Mmm, was deinen Mister Charlie betrifft, so habe ich in der Synagoge von ihm gehört. Soll ein kluger Bursche sein, soll er, mit einem Verstand, so scharf wie ein Rasiermesser, heißt es. Angeblich braucht er einen nur einmal anzusehen, und schon hat er einen umfassenden Eindruck gewonnen, von den Worten, die man in den Mund nimmt, bis zur Art und Weise, wie man in der Nase bohrt. Soll sich auch gut mit der Polizei verstehen, hat dort dicke Freunde, und deshalb fragt sich der alte Solomon: Warum überträgt ein Mann wie er eine Aufgabe, um die sich eigentlich die Polizei kümmern sollte, einem mmm rotznäsigen Tosher wie dir? Und die Nase ist voller Rotz – ich weiß, dass du weißt, wie man sie richtig putzt mmm. Den Rotz hochzuziehen und dann auszuspucken, ist abscheulich. Hörst du mir zu? Wenn du nicht wie dein armer alter Opa enden willst, dann solltest du besser wie ein anderer Mensch enden, und ein guter Anfang wäre, wie mmm ein anderer Mensch auszusehen, insbesondere wenn du diese Arbeit für Mister Charlie erledigst. Während ich mich also um das Abendessen kümmere, könntest du meinen Freund Jacob aufsuchen, drüben im Gebrauchtladen. Sag ihm, dass ich dich schicke und er dich für einen Shilling von Kopf bis Fuß in neue alte Klamotten kleiden soll, einschließlich Stiefel – die nicht zu vergessen. Vielleicht lässt sich dies als Teil unseres mmm Erbes von Opa betrachten, ja? Und wenn du schon losgehst … Nimm Onan mit, er könnte ein bisschen Bewegung vertragen, der arme Kerl.«
Dodger hatte widersprechen wollen, begriff dann aber, wie unsinnig das gewesen wäre. Solomon hatte recht. Wenn man auf der Straße lebte, starb man auch dort, oder vielleicht darunter, so wie Opa. Und es schien irgendwie richtig zu sein, einen Teil von Opas Geschenk – und der Gaben der Kanalisation – dafür zu verwenden, sich ein wenig herauszuputzen. Es mochte ihm bei der neuen Arbeit helfen, und wenn er sie gut erledigte, erhielt er vielleicht noch mehr Bares von Mister Charlie. Das war eine Vorstellung, die ihm gefiel. Außerdem, wenn er einer Dame in Not helfen wollte, so konnte es nicht schaden, dabei adrett auszusehen.
Er ging los, gefolgt von Onan, der sich sehr darüber freute, am helllichten Tag nach draußen zu dürfen; man konnte nur hoffen, dass er nicht über die Stränge schlug. Alle Hunde rochen, denn dies war eine wichtige Eigenschaft in der Hundewelt, in der es darauf ankam, zu riechen und gerochen zu werden. Aber es muss gesagt werden, dass Onan nicht wie ein Hund roch, sondern wie Onan, was den Geruch erheblich verstärkte.
Sie machten sich auf den Weg zum Gebrauchtladen, um dort mit Jacob zu sprechen, vielleicht auch mit Jacobs seltsamer Frau, deren Perücke nie ganz richtig saß. Jacob führte außer dem Gebrauchtladen noch eine Pfandleihe, und Dodger wusste von Solomons Verdacht, wonach Jacob auch Waren kaufte, ohne sich mit der Frage zu belasten, woher sie stammten. Warum Solomon einen solchen Verdacht hegte, hatte er nie verraten.
Zur Pfandleihe trug man seine Werkzeuge, wenn man keine Arbeit hatte, und dort kaufte man sie zurück, wenn man eine neue Anstellung bekam, denn Brot isst sich leichter als ein Hammer. Wenn man richtig abgebrannt war, verpfändete man auch die nicht unbedingt notwendige Kleidung oder zumindest einen Teil davon. Wenn man sich nie wieder blicken ließ, um sie zurückzukaufen, landeten die Sachen im Gebrauchtladen, wo Jacob und seine Söhne den ganzen Tag nähten, flickten, schnitten und zusammenfügten, womit sie alte Kleidung nicht in neue Kleidung verwandelten, aber wenigstens in etwas Ansehnliches. Dodger fand Jacob und seine Söhne recht nett.
Jacob begrüßte Dodger mit dem herzlichen Lächeln eines Verkäufers, der etwas zu verkaufen hofft. Er sagte: »Oh, da ist ja mein junger Freund, der einst meinem ältesten Freund Solomon das Leben rettete und … Bring den Hund nach draußen!«
Onan wurde in der kleinen Gasse hinter dem Laden angebunden und durfte sich an einem Knochen versuchen. Gewiss kein leichtes Unterfangen, fand Dodger, denn jeder Knochen, den ein Hund in diesem Stadtteil von London vorgesetzt bekam, hatte seine Nährstoffe längst in einem Suppenkochtopf verloren. Das schien Onan kaum zu stören: Er schnüffelte und nagte mit fröhlichem Optimismus, und Dodger kehrte in den Laden zurück, wo er in dem kleinen freien Raum in der Mitte stand und eine Behandlung erfuhr, wie sie sonst nur ein Lord erwarten durfte, der eins der feinen Geschäfte in der Savile Row oder dem Hanover Square besuchte. Obwohl man in jenen Läden vermutlich keine Kleidung angeboten bekam, die bereits vier oder fünf Vorbesitzer gehabt hatte.
Jacob und seine Söhne umschwirrten ihn wie Bienen, richteten kritische Blicke auf ihn, hielten nur leicht vergilbte weiße Hemden hoch und ließen sie dann sofort wieder verschwinden, bevor wie durch Magie der nächste Schneider erschien und eine recht verdächtige Hose präsentierte. Kleidung wirbelte an Dodger vorbei und schien sich in Luft aufzulösen, was aber nicht schlimm war, da immer wieder neue erschien. Es hieß: »Versuch es hiermit! Oder nein, besser nicht!« Und: »Wie wär’s hiermit? Passt bestimmt. O nein, schon gut, wir haben noch mehr für einen Helden.«
Aber er war kein Held gewesen, wenn man es genau betrachtete. Dodger erinnerte sich an einen Zwischenfall vor drei Jahren, als er beim Toshen einen richtig schlechten Nachmittag gehabt hatte. Dann hatte es zu regnen begonnen, und ihm war zu Ohren gekommen, dass jemand dicht vor ihm einen Sovereign gefunden hatte, und er war so enttäuscht, gereizt und zornig gewesen, dass er seine schlechte Laune an jemandem auslassen wollte. Als er jedoch wieder auf den nebligen Straßen unterwegs gewesen war, hatte er zwei Burschen beobachtet, die einen Mann, der auf dem Boden lag, zu Brei traten. Manchmal, wenn der Verdruss groß genug war, konnte es in seinem Kopf Klick machen, wie bei einem kleinen Zahnrad, das in Bewegung gerät, und er verwandelte sich in einen Wirbelwind aus Fäusten und Stiefeln. In diesem Fall hätte ihn das Klick durchaus veranlassen können, den beiden Burschen zu Hilfe zu eilen, nur damit er seinen Zorn loswurde. Aber aus irgendeinem Grund rollte das Zahnrad zur anderen Seite, dem Gedanken entgegen, dass zwei Burschen, die einen stöhnenden alten Knacker zusammentraten, elende Drecksäcke waren, die eine Abreibung verdienten. Und so war er losgelaufen und hatte es ihnen gezeigt, aber ordentlich, er hatte getreten und geschlagen, bis sie klein beigaben und wegliefen, und er war zu erschöpft gewesen, um sie zu verfolgen.
Solcher Wahn entstand aus Enttäuschung und Hunger, obwohl Solomon behauptete, die Hand Gottes stecke dahinter, was Dodger für recht unwahrscheinlich hielt, da man Gott in diesen Straßen nicht sehr häufig antraf. Anschließend hatte er dem Alten nach Hause geholfen, obwohl er ein Ikey Mo war, ein Jude, und Solomon hatte etwas von seiner Suppe erhitzt und ihm überschwänglich gedankt. Da der alte Knabe ganz allein lebte und etwas Platz in seiner Mansarde hatte, bot er Dodger an, bei ihm unterzukommen. Dodger erledigte das eine oder andere für ihn, besorgte Feuerholz und stibitzte Kohle von einem der Themsekähne, wenn sich Gelegenheit bot. Dafür gab ihm Solomon zu essen, wobei er oft kochte, was Dodger irgendwo aufgetrieben hatte – seine Mahlzeiten schmeckten besser als alles, was Dodger in seinem bisherigen Leben gegessen hatte.