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Daniel F. Galouye

Dunkles Universum

1

Jared blieb neben der herabhängenden Felsnadel stehen und schlug mit dem Speer dagegen. Klare Töne pflanzten sich im Stakkato durch den Gang fort.

»Hörst du's?« fragte er. »Genau vor uns.«

»Ich höre nichts.« Owen schob sich langsam vorwärts, stolperte und prallte mit Jared zusammen. »Nichts als Schlamm und hängendes Gestein.«

»Keine Gruben?«

»Keine, die ich hören könnte.«

»Kaum zwanzig Schritte entfernt befindet sich eine. Du bleibst am besten ganz in meiner Nähe.«

Jared schlug wieder gegen die Felsnadel und neigte den Kopf, damit ihm keines der feinen Echos entging. Da war er, ohne jeden Zweifel — massiv und bösartig, an ein schmales Gesims geklammert, ihrem Vordringen lauschend.

Vor ihnen gab es keine Felsnadeln mehr, die er hätte beklopfen können. So viel hatten ihm die letzten Echos verraten. Er holte deswegen ein Paar Echosteine aus seinem Beutel, schlug sie in der hohlen Hand gegeneinander und konzentrierte sich auf die widerhallenden Töne. Zu seiner Rechten konnte er große, übereinandergeschichtete Gesteinsformationen ausmachen, die ein verwirrendes Lautmuster zurückstrahlten.

Als sie weitergingen, packte ihn Owen an der Schulter. »Er ist zu schlau. Wir holen ihn nie ein.«

»Doch, ganz bestimmt. Er wird früher oder später angreifen. Dann braucht man sich mit einem Vampir weniger zu befassen.«

»Aber um Strahlungs willen! Es ist doch vollkommen still! Ich höre nicht einmal, wo ich hintreten soll!«

»Warum benütze ich wohl Echosteine?«

»Ich bin an den Zentralechowerfer gewöhnt.«

Jared lachte. »Da hapert es bei euch Präliminar-Überlebenden. Ihr klammert euch zu sehr an die Gewohnheit.«

Owens sarkastisches Schnauben war berechtigt. Jared war ihm mit seinem Alter von siebenundzwanzig Schwangerschaftsperioden nicht nur um kaum zwei davon voraus, sondern gehörte selbst noch zu den Prälims.

Jared blieb unter dem Sims stehen und nahm seinen Bogen von der Schulter. Dann reichte er Owen den Speer und die Steine. »Bleib hier und schlage die Steine aufeinander — langsam und gleichmäßig.«

Er schlich weiter, mit angelegtem Pfeil; der Sims warf jetzt scharfe Echos zurück. Der Vampir — oder die Fledermaus, wie man das Tier auch nannte — breitete seine gewaltigen ledrigen Flügel aus. Jared blieb stehen und lauschte der scheußlichen Gestalt, die sich deutlich hörbar gegen die glatte Felswand abzeichnete. Ovales Pelzgesicht — doppelt so groß wie sein eigenes. Aufgestellte, spitze Ohren. Riesige Klauen, scharf wie zackiges Gestein, in das sie sich krallten. Und zwei hohe, halblaute Echos vermittelten den Eindruck entblößter Fangzähne.

»Ist er noch da?« flüsterte Owen besorgt.

»Hörst du ihn denn nicht mehr?«

»Nein, aber ich kann ihn riechen. Er —«

Ganz plötzlich ließ sich der Vampir fallen. Jared brauchte keine Echosteine mehr. Das wilde Flattern der Schwingen bot ein unverwechselbares Ziel. Jared spannte seinen Bogen, legte das gefiederte Pfeilende neben seinem Ohr an und ließ die Sehne losschnellen. Das Tier kreischte auf — der Schrei hallte, vielfach verstärkt, durch den Gang.

»Allmächtiges Licht!« rief Owen. »Du hast ihn erwischt!«

»Leider nur den Flügel.« Jared griff nach dem nächsten Pfeil. »Schnell — gib mir noch ein paar Echos!«

Aber es war zu spät. Der rasende Flügelschlag trug die Kreatur einen Seitengang hinunter.

Jared horchte dem verklingenden Flattern nach und befingerte geistesabwesend seinen Bart. Kurz und dicht gewachsen, verlieh er seinem Gesicht Kühnheit und Selbstvertrauen. Jared war größer als die Spannweite einer Bogensehne, kräftig und hochaufgerichtet; sein Haar fiel hinten bis zur Schulter hinab, vorne aber war es kurz geschnitten, so daß die Ohren und das Gesicht völlig frei blieben. Das entsprach auch seiner Vorliebe für geöffnete Augen, die nicht auf religiöser Anschauung beruhte, sondern auf seine Abneigung gegen die bei geschlossenen Augen eintretende Anspannung des Gesichts zurückzuführen war.

Später verengte sich der Seitengang und nahm einen aus dem Boden kommenden Fluß auf, so daß sie nur noch auf einem schmalen, glitschigen Felsband zu gehen vermochten.

Owen packte Jared beim Arm und fragte: »Was gibt es denn da vorne?«

Jared ließ die Echosteine klappern. »Keine Felsblöcke. Keine Gruben. Der Strom fließt unter der Wand hindurch, und der Gang wird wieder breiter.«

Er lauschte jedoch mit größerer Anstrengung anderen, beinahe unhörbaren Echos — schwachen Reflexionen kleiner Wesen, die in den Fluß sprangen, auf. dem Rückzug vor dem störenden Lärm der Echosteine.

»Merk dir diesen Platz«, sagte er. »Es gibt sehr viel Wild hier.«

»Salamander?«

»Zu Hunderten. Das bedeutet Fische von beachtlicher Größe und Krebse.«

Owen lachte. »Ich sehe den Primär-Überlebenden direkt vor mir, wie er eine Jagdexpedition hierher genehmigt. Bis jetzt ist noch nie jemand so weit vorgedrungen.«

»Ich schon.«

»Wann?« fragte der andere skeptisch.

Sie ließen den Fluß hinter sich und erreichten trockenen Boden.

»Vor acht oder neun Perioden.«

»Aber damals warst du doch noch ein Kind! Du bist hierher gekommen — so weit vom unteren Schacht?«

»Mehr als einmal.«

»Warum?«

»Um etwas zu suchen.«

»Was denn?«

»Die Dunkelheit.«

Owen lachte in sich hinein. »Die Dunkelheit findet man nicht. Man begeht sie.«

»Das sagt der Kustos. Er ruft: ›Dunkelheit herrscht in den Welten der Menschen!‹ Und er sagt, es bedeute, daß die Sünde und das Böse übermächtig seien. Aber ich glaube das nicht.«

»Was glaubst du denn?«

»Dunkelheit muß etwas Wirkliches sein. Wir können sie nur nicht erkennen.«

Wieder lachte Owen. »Wenn du sie nicht erkennen kannst, wie willst du sie dann finden?«

Jared ignorierte die Skepsis des anderen. »Es gibt einen Hinweis. Wir wissen, daß wir in der Ursprungswelt — der ersten Welt, die der Mensch nach dem Verlassen des Paradieses bewohnte — dem Allmächtigen Licht näher waren. Mit anderen Worten, es war eine gute Welt. Nehmen wir einmal an, daß zwischen der Sünde und dem Bösen einerseits und dieser Dunkelheit andererseits irgendein Zusammenhang besteht. Das würde bedeuten, daß in der Ursprungswelt weniger Dunkelheit herrscht. Stimmt's?«

»Ich denke schon.«

»Dann brauche ich also nur etwas zu finden, wovon es in der Ursprungswelt weniger gibt.«

Die Echos spürten ein massives Hindernis auf, und Jared verlangsamte seinen Schritt. Er erreichte die Barrikade und tastete sie mit den Fingern ab. Übereinandergetürmte Felsblöcke versperrten den Gang, reichten hinauf bis zu seiner Schulter.

»Hier ist sie«, verkündete er, »— die Barriere.«

Owens Finger schlossen sich fester um seinen Arm. »Die Barriere?«

»Wir kommen leicht hinüber.«

»Aber — das Gesetz! Wir dürfen nicht hinüber!«

Jared zog ihn mit. »Komm nur. Es gibt keine Ungeheuer. Man braucht sich vor nichts zu fürchten — höchstens ein paar Fledermäuse tauchen hier auf.«

»Aber es heißt doch, es sei schlimmer als die Strahlung selbst!«

»Das erzählt man uns.« Jared hatte ihn inzwischen den halben Felswall hinaufgeschleppt, »Man behauptet sogar, daß die beiden Teufel Kobalt und Strontium dort lauern, um dich in die Tiefen der Strahlung zu reißen. Unsinn!«

»Aber die Strafgrube!«

Jared stieg auf der anderen Seite hinunter und klapperte aus mehreren Gründen heftig mit seinen Echosteinen. Sie übertönten nicht nur Owens Proteste, sondern sondierten auch den Schacht. Owen hatte sich irgendwie vor ihn gesetzt, und die nahen Echos übermittelten deutliche Schalleindrücke seines stämmigen Körpers und ausgebreiteter, tastender Arme.