Della schloß sich eng an ihn an und bot ihm Freundschaft in so verschwenderischem Maß, daß er oft ihre Hand in der seinen fühlte, wenn sie mit ihm durch die Wohnquartiere ging, um ihn mit den Leuten bekannt zu machen.
Bei einer bestimmten Gelegenheit vertiefte sich das Geheimnis noch, als sie stehenblieb und flüsterte: »Jared, verbirgst du etwas?« — »Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Ich bin selbst eine recht gute Schützin, findest du nicht?«
»Mit Kieselsteinen — ja.« Er beschloß, sie ein wenig anzustacheln.
»Ich habe auch das von den Ungeheuern zurückgelassene Ding gefunden.«
»Und?«
Ihr Gesicht war ihm voll Eifer zugewandt; er studierte es mit Hilfe der vom Echowerfer ausgesandten Töne. Als er schwieg, seufzte sie enttäuscht.
Sie wandte sich ab, aber er packte sie am Arm. »Was verberge ich deiner Meinung nach, Della?«
Aber ihre Stimmung hatte sich gewandelt. »Ob du dich nun entschlossen hast oder nicht, deine Absicht zur dauernden Verbindung mit mir zu erklären.«
Daß sie log, stand außer Zweifel.
Die beiden letzten Wachperioden hindurch schien sie jedoch buchstäblich an seinen Lippen zu hängen, als könnten seine nächsten Worte jene sein, die sie hören wollte. Bis zum Augenblick seiner Verabschiedung konnte sie ihre gespannte Erwartung kaum verbergen.
Sie standen beim Mannagarten, seine Begleitergruppe wartete am Eingang, und sie sagte vorwurfsvolclass="underline" »Jared, es ist nicht fair, etwas geheimzuhalten.«
»Was meinst du?«
»Zum Beispiel den Grund, warum du so gut — hören kannst.«
»Der Primär hat seine ganze Zeit damit zugebracht, mich auszubilden —«
»Das hast du mir alles schon erzählt«, unterbrach sie ihn. »Jared, wenn wir nach der Überlegungsperiode einer Meinung sind, werden wir miteinander verbunden. Dann wäre es gewiß nicht richtig, Geheimnisse zu haben.«
Als er sie eben zu fragen im Begriff war, worauf sie eigentlich hinauswollte, trat Lorenz hinzu, einen Bogen über die Schulter gehängt. »Bevor Sie gehen, möchte ich Sie noch um ein paar Tips fürs Bogenschießen bitten«, sagte er.
Jared nahm Bogen und Köcher und fragte sich, warum Lorenz plötzlich seine Schießfertigkeit zu verbessern wünschte. »Wie Sie wollen — gehen wir zum Schießplatz.«
»Oh, dort spielen in Kürze die Kinder«, lehnte der Berater ab. »Hören Sie sich im Garten um. Bemerken Sie die große Mannapflanze genau vor Ihnen, etwa vierzig Schritte entfernt?«
»Ich höre sie.«
»Auf dem höchsten Halm befindet sich eine Frucht. Sie könnte ein gutes Ziel abgeben.«
Jared trat außer Reichweite der Dämpfe des nächstgelegenen kochenden Kraters und holte seine Echosteine hervor. »Bei einem unbeweglichen Ziel muß man zuerst genaue Ortungen vornehmen«, erklärte er. »Der Zentralechowerfer vermittelt keine präzisen Eindrücke.«
Er setzte einen Pfeil auf die Bogensehne. »Wichtig ist auch, daß man die Beine nicht bewegt, um die ursprüngliche Zielrichtung beizubehalten.«
Er ließ die Sehne los und lauschte dem Pfeil, der zwei Armlängen über der Fruchthülse dahinflog.
Erstaunt über einen derart krassen Fehlschuß, bediente er sich wieder der Echosteine. Aber am Rande fing er Lorenz' Reaktion auf. Der Gesichtsausdruck des Beraters verriet gewaltige Erregung. Auch Dellas Gesicht trug einen beinahe ekstatischen Zug.
Warum diese maßlose Freude, wenn er verfehlte? Verwirrt nahm er einen zweiten Pfeil aus dem Köcher und schoß ihn ab.
Wieder daneben — erneut um zwei Armlängen.
Der Berater und Della schienen innerlich zu jubeln. Aber bei Lorenz war es Triumph, während bei Della ehrliche Freude mitschlug.
Er verfehlte mit zwei weiteren Schüssen, bevor er dieses unbegreiflichen Spiels überdrüssig wurde. Verärgert warf er den Bogen fort und ging zum Eingang, wo die Begleiter geduldig warteten. Nach ein paar Schritten begriff er, warum er danebengeschossen hatte. Die Spannung der Bogensehnen hier war wesentlich stärker als in seiner Welt! Ganz einfach also. Es fiel ihm ein, daß sich die Sehne straffer angefühlt hatte.
Dann blieb er wie angewurzelt stehen. Plötzlich hörte er ganz klar. Er wußte, warum Lorenz so reagiert hatte — er wußte sogar, warum die Schießprobe überhaupt arrangiert worden war.
Um seine Stellung als Berater zu retten, sann Lorenz darauf, seine Verbindung mit Della zu hintertreiben. Was gab es für einen besseren Weg, als zu beweisen, daß Jared ein Zerver war?
Der Berater mußte gewußt haben, daß Zerver in der Wärme eines Heißquellengebiets nicht zerven konnten. Da Jared dort ständig sein Ziel verfehlt hatte, mußte Lorenz jetzt davon überzeugt sein, einen Zerver am Werk gehört zu haben.
Aber wie stand es bei dem Mädchen? Es wußte offensichtlich auch von der für die Zerver geltenden Beschränkung. Und sie hatte erkannt, was der Test beweisen sollte, wenn sie auch vielleicht nicht geahnt haben mochte, daß er nur zu diesem Zweck arrangiert worden war.
Aber seine Fehlschüsse hatten sie sogar in Begeisterung versetzt! Warum?
»Jared! Jared!«
Er hörte, wie ihm Della nachrannte.
Sie packte ihn beim Arm. »Du brauchst es mir jetzt nicht mehr zu sagen. Ich weiß. O Jared, Jared! Ich hätte mir nie träumen lassen, daß es dazu kommen würde!«
Sie zog seinen Kopf zu sich herab und küßte ihn.
»Du weißt — was?« fragte er.
Sie erwiderte eifrig: »Hörst du denn nicht, daß ich es von Anfang an vermutet habe — von dem Augenblick an, als du zum Speerwerfen antratest? Und als ich dir die Röhre von den Ungeheuern brachte, sagte ich dir beinahe ganz deutlich, daß ich es durch die von ihr ausgehende Wärme gefunden hatte. Ich wollte aber nicht den ersten Zug machen — nicht, bis ich sicher war, daß du auch ein Zerver bist.«
Aus den Tiefen seines Staunens mühte er sich die Frage ab: »Auch?«
»Ja, Jared. Ich bin ein Zerver — genau wie du.«
Der Captain der offiziellen Eskorte kam herüber. »Wir können uns auf den Weg machen, wenn es Ihnen recht ist.«
5
Die Klausur verlangte strengste Selbstdisziplin, da eine derart lebenswichtige Entscheidung nur nach ehrlicher Gewissensforschung getroffen werden durfte. Eine Verbindung bedeutete automatisch auch Übernahme aller Rechte und Pflichten eines Überlebenden — eine doppelt große Verantwortung also. Hinzu kam noch, daß man sich in Gedanken bereits mit den Fragen der Nachkommenschaft zu befassen hatte.
Betrachtungen solcher Art lagen Jared jedoch höchst fern, als er während der nächsten Wachperioden in der Stille seiner mit schweren Vorhängen abgeteilten Grotte nachdachte. Gewiß — seine Gedanken kreisten um Della. Aber sie hingen nicht mit den Vor- und Nachteilen einer Verbindung zusammen, sondern konzentrierten sich auf die Tatsache, daß Della zu den Zervern gehörte. Wie war es ihr gelungen, das geheimzuhalten? Und was waren ihre Absichten?
Dabei gebrach es der Situation nicht an einer komischen Seite. Lorenz betrieb mit Eifer seine Zerverjagd. Und die ganze Zeit hatte er eines dieser verhaßten Wesen neben sich! Für Jared ließ sich das Mädchen gut zu Abwehrzwecken gebrauchen, falls der Berater so weit gehen sollte, ihn als Zerver zu brandmarken.
Es lag in Jareds Hand, Della jederzeit bloßzustellen. Aber was gewann er damit? Es war jedenfalls sehr interessant, daß sie ihn für einen Zerver hielt. Die weitere Entwicklung mußte man eben abwarten.
Dieser Gedankengang führte unweigerlich zu Vermutungen über die Natur des Zervens. Welche magische Macht erlaubte es, Objekte trotz völliger Stille und des Fehlens von Gerüchen zu erkennen? Oder hörten die Zerver, wie sein nur in der Vorstellung existierender Kleiner Lauscher, irgendeine Art von lautlosen Geräuschen, die alle Dinge, lebende und tote, hervorbrachten? Dann fiel ihm ein, daß sie ja gar nicht Laute, sondern Wärme zervten.