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Bei jeder Abschweifung zu diesen unerheblichen Themen machte er sich einer Verletzung der für die Klausurperiode geltenden Regeln schuldig. Das wußte er. Aber wenn man den Rahmen etwas weiter zog, ließen sich diese Spekulationen mit dem Problem der bevorstehenden Verbindung in Einklang bringen.

Eine weitere mögliche Ablenkung ersparte er sich, indem er dem Primär das Auftauchen der Ungeheuer im Oberen Schacht verschwieg. Dadurch wäre sein Vordringen in die Ursprungswelt nur um so schärfer verurteilt worden.

In der vierten Wachperiode riß ihn große Aufregung in der Welt draußen aus seiner Versunkenheit. Anfangs glaubte er an einen Überfall durch die Ungeheuer. Aber aus den Stimmen der zum Garten drängenden Personen klang weniger Entsetzen als vielmehr Bestürzung.

Als er sich entschloß, seine Klausur aufzugeben, waren alle Wohngrotten verlassen. Er ging den Leuten nach. Aber auf halbem Wege vermittelten ihm die Töne des Echowerfers Eindrücke vom Primär und Senior Haverty, die ihm entgegenkamen.

»Wie lange hast du denn gehofft, es geheimhalten zu können?« fragte Haverty.

»Zumindest so lange, bis mir eingefallen wäre, was zu tun ist«, erwiderte der Primär bedrückt.

»Wie? Was? Ich meine, was kann man denn dagegen überhaupt unternehmen?«

Aber der andere hatte Jared entdeckt. »Du hast also die Klausur gebrochen«, bemerkte er. »Na ja, ist vielleicht ganz gut.«

Haverty verabschiedete sich, um bei Senior Maxwell in Erfahrung zu bringen, welche Maßnahmen zu empfehlen seien.

»Was ist geschehen?« fragte Jared, nachdem der andere gegangen war.

»Neun heiße Quellen sind ausgetrocknet.« Der Primär schlug den Weg zur Wohngrotte ein.

»Oh. Ich dachte schon, Fledermäuse oder Zerver wären über uns hergefallen«, sagte Jared erleichtert.

»Mir wäre wohler, wenn wir uns nur mit solchen Problemen zu befassen hätten.«

In der von der Außenwelt abgeschlossenen Grotte ging der Primär erregt hin und her. »Die Lage ist sehr kritisch, Jared!«

»Vielleicht beginnen die Quellen wieder von selbst zu fließen.«

»Die anderen drei ausgetrockneten sind auch nicht wiedergekommen. Ich fürchte, daß wir da vergeblich hoffen.«

Jared zuckte die Achseln. »Dann müssen wir eben ohne sie auskommen.«

»Hörst du denn nicht, wie ernst das alles ist? Wir haben es mit einem empfindlichen Gleichgewicht zu tun. Dieser Vorfall jetzt kann bedeuten, daß einige von uns nicht zu überleben vermögen!«

Jared überlegte sich eine optimistische Antwort. Aber plötzlich überfiel ihn eine dunkle Angst. Gehörte dieses unangenehme Ereignis zu den Strafen, die er durch die Herausforderung der Ungeheuer in der Ursprungswelt heraufbeschworen hatte? Heißquellen versiegten in der Oberen und Unteren Welt, bösartige Wesen überstiegen die Barriere — handelte es sich dabei um die rächende Hand des erzürnten Allmächtigen Lichts?

»Was meinst du damit?« fragte er besorgt.

»Denk doch einmal nach. Jede heiße Quelle nährt im Höchstfall die Wurzeln von hundertfünfundzwanzig Mannapflanzen. Neun versiegte Quellen ergeben also beinahe zwölfhundert Pflanzen weniger.«

»Aber das ist doch nur ein Bruchteil —«

»Jeder Bruchteil, der das Überlebenspotential schmälert, wird zu einem kritischen Faktor. Wenn wir weiterrechnen, kommen wir darauf, daß bei neun Quellen weniger nur vierunddreißig Stück Vieh anstatt vierzig gehalten werden können. Alle anderen Herden müssen in entsprechendem Maß verringert werden. Auf lange Sicht bedeutet es, daß siebzehn Personen weniger existieren können!«

»Wir müssen eben durch mehr erlegtes Wild einen Ausgleich schaffen.«

»Es wird sogar Wild geben — und mehr räubernde Riesenfledermäuse in den Gängen.«

Der Primär blieb stehen und atmete schwer. Jared brauchte nicht die Echos seiner Klicksteine, um zu erkennen, daß sein Vater sehr niedergeschlagen war, daß sich tiefere Falten in seine Stirn gegraben hatten.

Jared vermochte ein Gefühl der Hilflosigkeit nicht abzuschütteln, als er daran dachte, wie sehr die Menschen von den Mannapflanzen abhingen. Tatsächlich standen sie zwischen den Überlebenden und dem Tod, denn sie lieferten Nahrung für Mensch und Tier, gehaltvolle Säfte, Fasern, die von den Frauen zu Stoffen, Seilen und Fischernetzen verwebt werden konnten, Fruchthülsen, die sich in zwei Hälften spalten und als Behälter verwenden ließen, Halme, die man trocknen und zu Speeren oder Pfeilen machen konnte.

Beinahe mit Bitterkeit rief er sich die Stimme seines Vaters ins Gedächtnis, mit der dieser vor langer Zeit respektvoll und nachdenklich eine der Legenden erzählt hatte:

»Unsere Mannabäume sind Abbilder der herrlichen Pflanzen, die Licht im Paradies erschaffen hatte — traurige Abbilder. Die Schöpfung Lichts wurde gekrönt von Tausenden graziöser, seidiger Dinge, die im Wind schwankten und wisperten, während sie ständig mit dem Allmächtigen in Verbindung waren. Sie saugten seine Energie auf und verwendeten sie dann dazu, das Wasser mit Bodenteilchen und der von den Menschen und Tieren ausgeatmeten Luft zu mischen. Sie verwandelten dies alles für Mensch und Tier in Nahrung und reine Luft.

Aber die Pflanze war nicht gut genug. Es scheint, als hätten wir geglaubt, einen Baum ohne die zarten, wispernden Dinge hervorbringen zu müssen — einen Baum, der statt dessen über große Massen schwerfälliger Fühler verfügte, die tief in die kochenden Krater hineinwachsen. Dort ziehen sie aus der Wärme des Wassers Energie und verwandeln die stickige, verbrauchte Luft der Welten und Tunnel und die Elemente von Abfall in Fasern und Knollen, Früchte und frische Luft.«

Das war die Mannapflanze.

»Was unternehmen wir jetzt?« fragte Jared schließlich.

»Wie weit bist du mit deiner Klausur?«

»Ich habe das Problem von allen Seiten durchdacht.«

»Das ist günstig.« Der Primär legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich habe das Gefühl, daß wir in allernächster Zeit dringend auf die Hilfe der Oberen Welt angewiesen sein werden. Du wirst inzwischen sicher begriffen haben, daß dir trotz der Klausurperiode kaum eine Wahl bleibt. Gegen diese Verbindung kann unter den gegebenen Umständen einfach nichts sprechen.«

»Nein, du hast wohl recht.«

Der Primär lächelte. »Du wirst nach Ablauf der sieben Klausurperioden sofort zur Oberen Schachtwelt zurückkehren.«

Draußen wurde die tiefe Stille, die sich über die Welt gebreitet hatte, von den ersten Worten der Litanei des Lichts durchbrochen. Die inbrünstige Stimme des Kustos schwankte unter dem Eindruck der Leidenschaft. Leise, aber ebenso ehrfürchtig klangen die Responsorien der Gläubigen auf.

Jared dachte daran, daß die Zeremonie nach dem Eintrocknen der ersten drei Quellen keinen Erfolg gebracht hatte, schob den Vorhang beiseite und schlug den Weg zum Versammlungsplatz ein, um an der Zeremonie teilzunehmen. Daß ihn hier eine neue Erfahrung erwartete, vermochte seine Begeisterung nur mäßig anzufachen.

Er hielt sich am Rande der Schar von Andächtigen. Bei der ersten Teilnahme an einer solchen Zeremonie sich ganz vorne aufzustellen, hätten Kustos und Senioren gleichermaßen abgelenkt. Und er wurde noch verlegener, als ein Kind mit scharfem Gehör in seiner Nähe den Arm der Mutter packte und rief:

»Es ist Jared, Mutter! Jared Fenton!«

»Sei still und hör dem Kustos zu«, mahnte die Frau.

Kustos Philar schritt von einem Andächtigen zum anderen; seine Worte wurden klar von dem Gegenstand zurückgeworfen, den er an seine Brust preßte.

»Berührt diese Heilige Birne«, rief er. »Laßt euch auf den Weg der Tugend bringen. Stoßen wir die Dunkelheit zurück. Nur durch die Ablehnung des Bösen können wir unseren Pflichten als Überlebende genügen und der herrlichen Zeit entgegenlauschen, in der wir uns mit dem Allmächtigen Licht wieder vereinigen!«

Der Kustos gehörte zweifellos zu den hagersten Männern im Unteren Schacht, dachte Jared. Die von seinem Körper zurückgeworfenen Echos verrieten, daß sich Haut über scharf gezeichneten Knochen spannte. Sein Bart war so dünn, daß er beinahe unhörbar blieb. Aber die auffälligsten Merkmale seines abgezehrten Gesichts waren tief in den Höhlen liegende Augen und so fest zusammengepreßte Lider, daß man daran zweifeln mochte, ob sie jemals geöffnet gewesen waren.