Выбрать главу

»Du willst, daß ich Primär werde?«

»Sobald wie möglich. Die Vorbereitung ist sehr langwierig. Aber ich unterstütze dich mit allen Kräften.«

Noch vor ein paar Perioden wäre Jared mit dieser Entwicklung nicht einverstanden gewesen. Aber jetzt schien sie nur eine unwesentliche Ausweitung des Lebens der opfervollen Hingabe, das zu führen er sich geschworen hatte.

»Ich höre keine Einwendungen«, sagte der Primär erfreut.

»Du wirst sie auch nicht zu hören bekommen, wenn du beschlossen hast, daß ich dein Nachfolger werden soll.«

»Gut! Im Laufe der nächsten Perioden werde ich dir einiges von dem erklären, was getan werden muß. Sobald du vom Oberen Schacht zurück bist, beginnen wir dann mit der formellen Ausbildung.«

»Wie werden es die Senioren aufnehmen?«

»Nachdem sie gehört haben, was zwischen dir und Kustos Philar vorgefallen ist, gibt es sicherlich keine Einwendungen.«

Früh in der nächsten Periode — noch bevor der Zentralechowerfer eingeschaltet worden war — riß man Jared unsanft aus dem Schlaf.

»Wach auf! Es ist etwas Furchtbares geschehen!«

Senior Averyman stand an seinem Bett. Sein Eindringen in eine private Grotte deutete darauf hin, daß es sich um etwas Ernstes handeln mußte.

Jared sprang auf. Er hörte, daß sich sein Bruder regte.

»Was ist los?« fragte er.

»Der Primär!« Averyman hastete zum Eingang. »Komm mit — schnell!«

Jared rannte ihm nach, wobei er gleichzeitig bemerkte, daß die Schlafbank seines Vaters leer war und daß Romel erwachte. Am Zugang zur Welt erreichte er den Senior. »Wohin gehen wir?«

Aber Averyman keuchte nur. Daß etwas Schreckliches im Gange sein mußte, ergab sich nicht nur aus dem Verhalten des Seniors. Überall hörte man Stimmengewirr. Und Jared lauschte einigen Personen, die offensichtlich schon wußten, was geschehen war, da sie dem Eingang zuliefen.

»Der Primär!« stieß Averyman hervor. »Wir machten einen Frühspaziergang. Und er erzählte mir, daß er dich als seinen Nachfolger einsetzen will. Als wir am Eingang vorbeikamen —« Er taumelte, und Jared prallte mit ihm zusammen.

Jemand schaltete den Echowerfer ein. Jared orientierte sich, als die Einzelheiten seiner Welt hörbar wurden. Unter den vielen Eindrücken zeigte sich auch Romel, der ihnen nacheilte.

Senior Averyman atmete immer noch schwer. »Es war furchtbar! Dieses Wesen stürzte vom Tunnel herein, stinkend und gräßlich! Dein Vater und ich konnten uns vor Entsetzen nicht rühren —«

Der Geruch des Ungeheuers lag in der Luft. Jared fing ihn auf und rannte los.

»Dann zischte es«, hörte er hinter sich Averymans Stimme. »Und der Primär brach zusammen. Er bewegte sich nicht — auch nicht, als ihn das Ungeheuer holte!«

Jared erreichte den Eingang, drängte sich an ein paar Männern vorbei, die einander fragten, was geschehen sei.

Im Tunnel war der Geruch noch aufdringlicher, und er nahm in Richtung Ursprungswelt an Stärke zu. Der vertraute Geruch des Primars hatte sich damit vermischt. In einer Entfernung von wenigen Schritten schien sich der Geruch besonders deutlich zu halten. Jared erreichte die Stelle, bückte sich und hob etwas Weiches, Schlaffes auf.

Ungefähr zweimal so groß wie seine Hand, fühlte es sich wie Stoff aus Mannafasern an. Das Gewebe war jedoch viel feiner. Und an jeder Ecke baumelte ein Band aus demselben Material.

Dieser Gegenstand verlangte nach genauerer Überprüfung. Solange er jedoch nach dem Ungeheuer roch, konnte er ihn nicht in seine Welt mitbringen, ohne einen Skandal zu erregen. Er legte das Gewebe wieder auf den Boden, scharrte Erde darüber und prägte sich die Stelle ein.

Auf dem Rückweg prallte er beinahe mit seinem Bruder zusammen, der sich durch den Tunnel tastete.

»Du wirst also früher Primär, als wir alle gedacht haben«, sagte Romel nicht ohne eine Spur von Neid.

6

»… Wir schließen uns unter neuer Führerschaft zusammen und erflehen dazu den Segen des Allmächtigen Lichts.«

Senior Averyman kam als Seniorenältester mit seiner Rede zu Ende und lauschte über die Versammlung hinweg.

Jared, der hinter ihm stand, hörte gleichfalls die nur von vielen Atemzügen durchbrochene Stille. Es war eher ein besorgtes Schweigen, als daß es Respekt für die Zeremonien der Amtseinsetzung ausgedrückt hätte.

Auch er konnte nicht allzuviel Aufmerksamkeit für die Worte des Seniors aufbringen. Seine Gedanken waren mit Bitterkeit überbürdet. Es lag nicht so sehr daran, daß das Licht das Bündnis verletzt, als vielmehr, daß es mit solcher Brutalität eingegriffen hatte.

Die Tatsache, daß der Primär für immer aus der Welt der Menschen verschwunden war, bedeutete für Jared eine Tragödie. In den vergangenen beiden Perioden wäre er bei verschiedenen Gelegenheiten den Tunnel entlanggestürmt, wenn nicht die entfernte Möglichkeit bestanden hätte, daß er seinen Vater nur vorübergehend verloren hatte, zur Prüfung der Ehrlichkeit seiner Reue. Außerdem hatte man am Eingang Wachen aufgestellt, so daß er schon aus diesem Grund dem Ungeheuer nicht nachspüren konnte.

Er nieste und schneuzte sich. Senior Averyman machte entrüstet eine Pause. Dann fuhr er fort. »Wir dürfen von unserem neuen Primär nicht das Vorausgehör und die Weisheit erwarten, die seinen dahingegangenen Vater auszeichneten. Denn was läßt sich mit einer so tiefen Erkenntnis vergleichen, die ihn die Notwendigkeit der sofortigen Schulung seines Nachfolgers voraushören ließ?«

Jared horchte ungeduldig zum bewachten Eingang hinüber. Es gab noch einen Grund, warum er auf der Suche nach seinem Vater nicht die Barriere übersteigen durfte. Er würde damit den Zorn der Senioren erregen und sicherstellen, daß sie Romel zum Primär machten — was die Welt in Chaos stürzen mußte.

Jemand drängte ihn vor, und plötzlich stand er vor dem Kustos.

»Sprich mir nach«, sagte Philar ernst. »›Ich schwöre, daß ich alles tun werde, das Leben der Menschen in dieser Welt zu schützen und zu fördern.‹« Jared sprach den Eid nach, mußte sich aber wieder schneuzen.

»›Ich widme mich den Nöten aller, die sich auf mich verlassen‹, fuhr der Kustos fort, »›und ich werde mich bemühen, den Vorhang der Dunkelheit zu öffnen — so wahr mir das Licht helfe!‹«

Jared unterstrich die letzten Worte mit einem Niesen.

Nach der Amtseinsetzung empfing er vor der Regierungsgrotte die Glückwünsche der Anwesenden.

Romel erschien als letzter. »Jetzt kann ja der Spaß anfangen«, sagte er scherzhaft. Aber die Worte klangen nicht so harmlos, wie man es wünschen mochte, und sie gaben keinen Hinweis darauf, welche Miene sich hinter dem dichten Haar verbarg.

»Ich werde viel Hilfe brauchen«, gab Jared zu. »Ich habe es gewiß nicht leicht.«

»Allerdings.« Romel konnte seine Mißgunst nicht völlig verbergen. »Selbstverständlich müssen wir als erstes die Untersuchung zu Ende bringen.«

Sie wurde von den Senioren durchgeführt, war nur durch die Amtseinsetzung unterbrochen worden und ging Jared eigentlich nichts an. Die Männer betraten eben wieder die Amtsgrotte. Und es gab keinen Zweifel, daß mit der Erwähnung irgendeine Absicht verbunden war. Für einen kurzen Augenblick glaubte Jared das vertraute Zischen des Wurfseils, gezielt auf seine Beine, zu hören.

»Glaubst du, daß das Ungeheuer, dem der Primär zum Opfer gefallen ist, der Bestie glich, die du in der Ursprungswelt gehört hast?« fuhr Romel mit unnatürlich lauter Stimme fort.

Nun klatschte das Seil um die Knöchel. Romel würde nicht zulassen, daß die Verletzung des Barrieretabus durch Jared in Vergessenheit geriet. Das Wurfseil erschlaffte. Der heftige Ruck würde später kommen.

»Ich habe keine Ahnung«, fauchte Jared und betrat hinter dem letzten Zeugen die Grotte.