»Tut mir sehr leid um deinen Vater, mein Junge. Ich war schockiert, als mir der Läufer davon berichtete. Das Ungeheuer hat uns seit deinem Fortgang drei Leute entführt.«
»Ich bin zurückgekommen«, sagte Jared schwach, »um meinen Willen zur Verbindung zu bekunden.«
»Verbindung — Quatsch!« fauchte Anselm. »In einer solchen Zeit gibst du dich mit diesen lächerlichen Dingen ab?«
Als Jared schwieg, sagte er: »Entschuldige, mein Junge. Aber wir sind übernervös — die Quellen versiegen der Reihe nach, die Ungeheuer lassen uns überhaupt nicht mehr in Ruhe. Fünf Quellen waren es alleine gestern. Wie ich höre, kämpft ihr mit denselben Schwierigkeiten.«
Jared nickte, ohne sich darum zu kümmern, ob es Anselm hörte.
Anselm brummte eine Weile vor sich hin und fuhr dann fort: »Verbindung! Hat dir der Läufer nicht mitgeteilt, daß ich beschlossen habe, das Ganze aufzuschieben, bis wir uns mit den anderen Problemen auseinandergesetzt haben?«
»Ich habe den Läufer nicht gehört. Wo ist er denn?«
»Ganz früh diese Periode habe ich ihn weggeschickt.«
Jared sank auf der Bank in sich zusammen; sein Körper glühte. Der Läufer war im Unteren Schacht nicht angekommen. Auf dem Weg hierher hatten sie ihn nicht getroffen. Der Tatsache, daß mehrere Angehörige der Eskorte den Geruch des Ungeheuers im Tunnel wahrgenommen hatten, konnte nur verhängnisvolle Bedeutung beigemessen werden.
Seine Lungen schmerzten unter einem Hustenanfall, und als er sich wieder erholt hatte, fühlte er, daß der Berater in die Grotte getreten war und ihn scharf belauschte.
»Nun, Fenton«, sagte Lorenz, »was halten Sie von diesen Schwierigkeiten mit den Ungeheuern?«
Jared wurde von einem Schauer geschüttelt. »Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll.«
»Ich habe dem Boß gesagt, was ich glaube: Die Zerver nehmen zu ihren alten Tricks Zuflucht. Sie verschleppen unsere Leute als Sklaven. Und sie haben sich zu diesem Zweck mit den Zwillingsteufeln verbündet.«
»Und ich sage, das ist albern!« warf Anselm ein. »Wir haben selbst zugehört, als ein Ungeheuer einen Zerver verschleppte!«
»Woher wissen wir, daß das nicht arrangiert war?«
Anselm schnaubte. »Wenn die Zerver sich entschlossen hätten, wieder Sklaven zu fangen, würden sie es ganz einfach tun.«
Lorenz schwieg. Aber man spürte, daß er nicht von seinem Standpunkt abging. Für ihn arbeiteten Zerver und Ungeheuer zusammen. Und Jared begriff auch, worum es ging: Wenn ihn der Berater als Zerver bloßstellen wollte, mußte er dafür sorgen, daß diese Beschuldigung gleichzeitig auch die Verantwortung für das Auftauchen der Ungeheuer Jared zuschob.
»Ich bin sicher, daß Della deine Entscheidung hören möchte, mein Junge.« Anselm nahm den Berater beim Arm und schlug den Vorhang zurück. »Ich schicke sie dir.«
Jared hustete, preßte die Hände gegen die heißen Schläfen und fröstelte. Kurze Zeit später trat das Mädchen ein und atmete schwer, als es mit dem Rücken zum Vorhang stehenblieb.
»Jared!« rief Della besorgt. »Du glühst ja! Was ist denn los?«
Zuerst war er überrascht, daß sie sein Fieber auf diese Entfernung erkannte. Aber Fieber war Wärme. Und Wärme zervten doch diese Zerver, nicht wahr?
»Ich weiß nicht«, stieß er hervor.
Für einen Augenblick hatte er beinahe Interesse an der Tatsache aufbringen können, daß sie hier war und zervte. Und er wußte, daß er jetzt Gelegenheit hatte, genau zuzuhören, um vielleicht in Erfahrung zu bringen, ob irgend etwas um sie herum abnahm, während sie zervte. Aber seine Absicht ging in einem Anfall von Schüttelfrost unter.
Della schloß den Vorhang hinter sich und trat zur Bank. Er wandte das Gesicht ab und hustete. Sie kniete vor ihm nieder, fühlte die Hitze an seinen Armen, im Gesicht. Und er hörte, wie die Besorgnis ihren Ausdruck veränderte.
Aber sie nahm sich zusammen und kam auf ein anderes Thema, das offensichtlich noch wichtiger war. »Jared, der Berater weiß, daß du ein Zerver bist!« flüsterte sie. »Er hat es zwar nicht ausgesprochen, aber er erinnert alle immer wieder daran, wie bemerkenswert deine Fähigkeiten sind!«
Jared schwankte, fing sich wieder, saß zitternd und schwitzend auf der Bank, mit dröhnendem, pochendem Schädel.
»Hörst du denn nicht, warum er dich bei den heißen Quellen auf das Ziel schießen ließ?« fuhr sie fort. »Er weiß, wie sich zuviel Wärme bei einem Zerver auswirkt! Er wollte nur herausfinden, ob du —«
Die Worte des Mädchens verklangen in der Ferne, als er bewußtlos von der Bank stürzte.
Als er schließlich erwachte, hatte er den Geschmack nach Medizinschimmel im Mund und die verschwommene Erinnerung daran, daß man ihn gezwungen hatte, mehrmals von dem breiigen Zeug zu schlucken.
Er spürte auch, daß die Gute Frau während der ganzen Periode — oder war es länger? —, die er hier in Anselms Grotte halb bewußtlos verbracht hatte, bemüht gewesen war, sich in seine Träume mit Gewalt einzumischen. Vielleicht hatte sie es sogar geschafft. Aber er konnte sich weder an ihr erfolgreiches Eindringen noch an die Träume selbst erinnern.
Jetzt fühlte er nur innere Ruhe und Zufriedenheit. Seine Kehle schmerzte nicht mehr, und das pochende Fieber war verschwunden. Auch wenn er noch nicht ganz gesund war, spürte er die Überzeugung, daß er nur warten mußte, bis er wieder Kräfte gewann.
Langsam wurde er sich leiser Atemzüge bewußt, die vom anderen Ende der Grotte herüberdrangen. Er erkannte sie an Rhythmus und Tiefe als Dellas Atmung.
Nervös ging sie zum Vorhang und wieder zurück.
Dann trat sie abrupt zur Schlafbank und schüttelte ihn verzweifelt. »Jared, wach auf!«
Er konnte am drängenden Tonfall erkennen, daß sie schon seit längerer Zeit versuchte, ihn zu wecken. »Ich bin wach.«
»Oh, Licht sei Dank!« Ein paar Haarsträhnen waren aus dem Band geglitten und übers Gesicht gefallen. Sie strich sie zur Seite, und er bekam einen klaren Eindruck von ihren ebenmäßigen Zügen, aus denen die Sorge um ihn sprach.
»Du mußt von hier verschwinden!« flüsterte sie. »Der Berater hat Onkel Noris davon überzeugt, daß du ein Zerver bist! Sie wollen —«
Draußen hörte man Stimmen. Della sah schnell zum Vorhang, wandte dann das Gesicht wieder Jared zu.
»Sie kommen!« warnte sie. »Vielleicht können wir hinausschlüpfen, bevor sie hier sind!«
Er versuchte, sich zu erheben, fiel aber wieder zurück, schwach und verwirrt, als ihm plötzlich klar wurde, daß das Mädchen nicht wie alle anderen Leute ein Ohr den interessanten Lauten zuwandte. Sie richtete vielmehr ihr Gesicht immer genau dorthin, wo ihre Aufmerksamkeit in Anspruch genommen wurde. Das bedeutete also, daß sie nicht mit den Ohren zervte! Womit aber dann?
Die Stimmen waren jetzt durch den Vorhang deutlicher zu vernehmen.
Berater: »Selbstverständlich bin ich absolut sicher, daß er ein Zerver ist! Obwohl er ein hervorragender Scharfschütze ist, konnte er ein ganz harmloses Ziel im Mannagarten nicht treffen. Und Sie wissen so gut wie ich, daß Zerver durch extreme Wärme behindert werden.«
Anselm: »Das klingt sehr belastend.«
Berater: »Und wie steht es mit Aubrey? Wir haben ihn hinausgeschickt, damit er den lautlosen Schall überdeckt, den das Ungeheuer draußen an der Felswand zurückließ. Das war vor zwei Perioden, und seitdem ist er vermißt. Wer hat ihn als letzter gehört?«
Anselm hustend: »Byron berichtete, daß Fenton noch bei Aubrey stand, als er in unsere Welt zurückrannte.«
Berater, nach heftigem Niesen: »Na bitte! Und wenn Sie noch mehr Beweise brauchen, daß Fenton ein Zerver ist, der mit den Ungeheuern zusammenarbeitet, müssen Sie nur an einen unseren unverrückbaren Glaubenssätze denken.«
Anselm: »Den, in dem es heißt, daß jeder Überlebende, der sich mit Kobalt oder Strontium einläßt, todkrank werden wird.« Sie traten auf den Grotteneingang zu.