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»Della, sag mir — was denkst du über die Dunkelheit?«

Und er konnte durch die Echos ihr Stirnrunzeln hören, als sie die Frage wiederholte und unsicher meinte: »Dunkelheit erfüllt die Welten —«

»Die Sünde und das Böse, ohne Zweifel.«

»Selbstverständlich. Was sonst?«

Es war klar, daß sie nichts von der Dunkelheit wußte. Und selbst wenn sie Dunkelheit erkennen konnte, begriff sie nicht, was sie vor sich hatte.

»Warum zerbrichst du dir über die Dunkelheit so sehr den Kopf?« fragte sie.

»Ich dachte gerade«, improvisierte er, »daß das Zerven etwas der Dunkelheit Entgegengesetztes sein muß — etwas Gutes.«

»Natürlich ist es gut«, versicherte sie und folgte ihm am Ufer eines plötzlich aufgetauchten Flusses entlang. »Wie könnte etwas so Schönes schlecht sein?«

»Es ist — schön?« Er bemühte sich, im letzten Augenblick den Frageton zu unterdrücken. Aber trotzdem klang der Satz eher wißbegierig als feststellend.

»Dieser Felsen dort vorne — zerv, wie er sich gegen den Hintergrund kühler Erde abzeichnet, wie warm und sanft er ist«, schilderte sie angeregt. »Jetzt ist er nicht mehr da, aber nur für einen Herzschlag — bis dieser Schwall warmer Luft vorüberzieht. Hier kommt er wieder.«

Sein Mund stand offen. Wie konnte der Felsen hier und im nächsten Moment verschwunden sein? Er hatte doch die ganze Zeit die Echos seiner Steine zurückgeworfen. Nicht um die Breite eines Fingers war der Felsen von der Stelle gewichen!

Jared hörte, daß der Tunnel breit war und gerade verlief. Er legte die Steine wieder in den Beutel.

»Du zervst jetzt, nicht wahr, Jared? Was kannst du zerven?«

Er zögerte zunächst, sagte dann impulsiv: »Dort — mitten im Fluß — zerve ich einen Fisch. Einen großen, der sich gegen das kühle Flußbett abhebt.«

»Wie ist das möglich?« fragte sie skeptisch. »Ich kann ihn nicht zerven.«

Aber der Fisch war doch da! Er konnte die Bewegung der Flossen im Wasser hören. »Er ist aber da.«

»Ein Fisch ist doch nicht wärmer oder kälter als das Wasser, in dem er schwimmt. Außerdem habe ich weder Steine noch irgend etwas anderes in Wasser zerven können — nicht einmal, wenn ich es selbst eben erst hineingeworfen hatte.«

Jetzt konnte nur noch Kühnheit helfen. »Ich kann Fische zerven. Vielleicht zerve ich anders als du.«

Sie war hörbar erregt. »Daran habe ich nicht gedacht. Oh, Jared, wenn ich nun gar kein richtiger Zerver bin!«

»Du bist schon einer, keine Angst.« Er versank in grübelndes Schweigen. Wie konnte man jemals hoffen, daß sich ein Zerver überlisten ließ?

Das erschreckende Flattern ledriger Flügel erreichte ihn, und er staunte darüber, daß etwas so deutlich Vernehmbares der Aufmerksamkeit Dellas entging. Die Bestien hatten ein Teilstück des Tunnels mit größerem Durchmesser erreicht und schossen jetzt mit zunehmender Geschwindigkeit dahin.

Er blieb stehen und lauschte. Sie wurden nicht mehr von nur zwei Vampiren verfolgt. Man hörte deutlich, daß sich ihre Zahl inzwischen mindestens verdoppelt haben mußte.

»Was ist denn, Jared?« erkundigte sich Della.

Eine der Bestien ließ ihren kreischenden Ruf hören.

»Vampire!« erschrak Della.

»Nur einer.« Er durfte sie nicht ängstigen, solange eine Chance bestand, den Fledermäusen ungeschoren zu entrinnen. »Geh du voran. Ich bleibe ab jetzt hinter dir — für den Fall, daß die Vampire angreifen.«

Er freute sich, aus der Situation vorübergehend einen Vorteil gewonnen zu haben. Solange sie vorausging, brauchte er nicht von Zeit zu Zeit den Beweis dafür zu liefern, daß er zervte. Sie hatte seine Hand gefaßt, und er hatte nur zu folgen. Trotzdem waren die Echos von Worten nützlicher, weshalb er wieder ein Gespräch anfing.

»Wenn du mich so bei der Hand führst«, sagte er scherzhaft, »erinnerst du mich an die Gute Frau.«

»Wer ist denn das?«

Er berichtete von der Frau, die ihn in seinen Kindheitsträumen zu dem Jungen geführt hatte, der bei ihr lebte.

»Kleiner Lauscher?« wiederholte sie. »So wurde der Junge genannt?«

»In meinen Träumen. Er konnte nichts als die lautlosen Geräusche hören, die manche Grillen hervorbrachten.«

»Wenn sie lautlos waren, woher weißt du denn, daß die Grillen überhaupt Töne von sich gaben?« Sie führte ihn über einen schmalen Spalt.

»Soweit ich mich erinnern kann, erzählte mir die Frau, daß solche Geräusche existieren. Aber nur der Junge konnte sie hören. Sie vernahm sie jedoch auch, wenn sie seine Gedanken belauschte.«

»Das konnte sie?«

»Ohne Anstrengung.« Sein Lachen stellte klar, daß ihn die Albernheit seiner Phantasie belustigte. »Auf diese Weise konnte sie auch mit mir Kontakt aufnehmen. Ich erinnere mich, wie sie zu sagen pflegte, daß sie überall die Gedanken beinahe jedes Menschen belauschen könnte — nur nicht die eines Zervers.«

Della blieb neben einer Felssäule stehen. »Aber du bist doch ein Zerver. Sie konnte dich erreichen. Wie erklärst du dir das?«

Da! Er hatte sich wieder verplappert. Und ausgerechnet bei einer harmlosen Unterhaltung, die er nur angefangen hatte, um Echos zu gewinnen. Aber er faßte sich sofort. »Oh, ich war auch der einzige Zerver, dessen Gedanken sie zu hören vermochte. Nimm das alles nicht zu ernst. Träume sind selten logisch.«

Sie erreichten eine breitere Tunnelstrecke. »Bei dir zum Teil schon.«

»Was meinst du?«

»Wenn ich dir nun sage, daß ich von einem Säugling weiß, der in die Richtung lauschte, aus der eine Stimme kam; sobald aber seine Mutter ihn zur Wand horchen hörte, fand sie dort eine Grille.«

Irgendwie kam ihm das bekannt vor. »Hat es dieses Kind wirklich gegeben?«

»Im Oberen Schacht — bevor ich zur Welt kam.«

»Was wurde aus ihm?«

»Man entschied, daß der Junge andersartig sei. Er war noch nicht einmal vier Schwangerschaftsperioden alt, als man ihn forttrieb.«

Jetzt erinnerte sich Jared dunkel, daß ihm seine Eltern dieselbe Geschichte über das andersartige Kind im Oberen Schacht erzählt hatten.

»Woran denkst du, Jared?«

Er schwieg lange Zeit. Schließlich lachte er. »Daran, daß ich endlich verstehe, warum ich von einem Kleinen Lauscher zu träumen pflegte. Hörst du nicht? Man hatte mir von einer solchen Person tatsächlich erzählt. Aber die Erinnerung drang nicht an die Oberfläche.«

»Und deine — Gute Frau?«

Wieder hob sich ein Schleier von einem Winkel des Gedächtnisses. »Ich kann mich jetzt sogar entsinnen, die Geschichte einer Andersartigen gehört zu haben, die lange vor meiner Geburt aus dem Unteren Schacht verbannt worden war — eine junge Frau, die immer zu wissen schien, was andere Leute dachten!«

»Na, also!« Della führte Jared um eine Biegung. »Jetzt sind ja alle deine seltsamen Träume erklärt.«

Beinahe. Der psychologische Ursprung des Ewigen Mannes in seinen Träumen blieb noch aufzufinden.

Er konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf den Weg vor ihnen und lauschte einer fernen, riesigen Hohlheit, in der das Dröhnen eines Wasserfalls vernehmbar wurde. Sie näherten sich dem Tunnelende, und vor ihnen lag eine riesige Welt, dessen war er sicher — die Zerverwelt? Er bezweifelte es, denn der Zervergeruch war längst nicht mehr wahrnehmbar.

»Es ist schrecklich, wie die Leute Andersartige einfach verstoßen«, meinte Della nachdenklich.

»Der erste Zerver war ein Andersartiger.« Er übernahm wieder die Führung und bediente sich seiner Echosteine. »Aber als man ihn verbannte, war er schon alt genug, zurückzuschleichen und sich eine Partnerin zu holen.«

Sie traten aus dem Tunnel, und Jared hörte den Strom durch ebenen Grund fließen, zur fernen Felswand hinüber. Er rief laut, und die Echos hallten von unglaublich hohen Gewölben zurück. Die Worte wurden von vereinzelten bizarren Felsgebilden hin- und hergejagt, zu schrillen Mißtönen vereinigt.