»Das hat mit Theologie nichts zu tun«, versicherte er. »Ich bin nur der Meinung, daß Licht und Dunkelheit nicht das sind, wofür wir sie halten.«
Er entdeckte, daß ihre Verwirrung leichtem Zweifel gewichen war — einer Weigerung, zu glauben, daß diese simple Erklärung wirklich auch zutraf.
»Aber wo liegt da der Sinn?« fragte sie. »Jedermann weiß, was Licht ist, was Dunkelheit ist.«
»Dann lassen wir es dabei und sagen einfach, daß ich eine andere Idee habe.«
Sie schwieg eine Weile. »Ich begreife es nicht.«
»Zerbrich dir nicht den Kopf darüber.«
»Aber der Ewige Mann — Dunkelheit war für ihn etwas ganz anderes. Er ängstigte sich nicht davor, daß das ›Böse‹ rings um uns existierte, er hatte vor etwas anderem Angst, nicht wahr?«
»Ich denke schon.«
»Wovor?«
»Ich weiß es nicht.«
Wieder sagte sie lange Zeit nichts, bis sie an mehreren Seitentunnels vorbeigekommen waren. »Jared, hat das alles damit zu tun, daß wir zur Zerverwelt gehen?«
Er hatte das Gefühl, bis zu einem gewissen Grad offen sein zu dürfen, ohne seine Zerverschaft weiteren Zweifeln auszusetzen. »In gewisser Beziehung, ja. Wie das Zerven mit den Augen zusammenhängt, haben Licht und Dunkelheit meiner Meinung nach ebenfalls mit den Augen zu tun. Und —«
»Und du glaubst, daß du in der Zerverwelt mehr darüber herausfinden kannst?«
»Allerdings.«
»Ist das der einzige Grund, warum du hinwillst?«
»Nein. Ich bin ein Zerver wie du; dort gehöre ich hin.«
Er hörte die plötzliche Erleichterung des Mädchens — ein Nachlassen der Anspannung, die Beruhigung des Herzschlages. Seine Offenheit hatte wohl ihre Bedenken verscheucht. Sie konnte jetzt seine Suche als Laune abtun, vor der ihre Interessen sich nicht bedroht zu Fühlen brauchten.
Sie schob ihre Hand in die seine, und sie wanderten um eine Biegung. Aber er blieb abrupt stehen, als er den Geruch der Ungeheuer auffing. Gleichzeitig zuckte er vor der Felswand zur Linken zurück. Denn während er noch der ungegliederten Oberfläche lauschte, begann ein Fleck lautloser Echos über das feuchte Gestein zu tanzen.
Diesmal war er auf die unheimliche Empfindung beinahe vorbereitet. Probeweise schloß er die Augen; sofort bemerkte er den tanzenden Laut nicht mehr. Er öffnete sie wieder, und die geräuschlosen Reflexionen kehrten schlagartig wieder — der sanften Berührung eines lauten Flüsterns gleich, das sich, auf einer glatten Felswand schwächer werdend, ausbreitete.
»Die Ungeheuer kommen!« rief Della. »Ich zerve ihre Eindrücke — dort an der Wand!«
Er fuhr herum. »Du zervst sie?«
»Es ist beinahe wie zerven. Jared, wir müssen weg hier!«
Er stand da und konzentrierte sich auf den seltsamen, lautlosen Schall, der an der Wand hin- und herflutete, ohne jemals seine Ohren zu erreichen; seine Augen fühlten sich an, als hätte jemand kochendes Wasser hineingegossen. Sie hatte gesagt, daß sie die Eindrücke zerven konnte. Bedeutete das, daß Zerven so ähnlich war wie das, was jetzt mit ihm geschah?«
Dann lauschte er den rein hörbaren Eindrücken, die sich hinter der Biegung näherten. Nur ein Ungeheuer war unterwegs. »Geh du zurück und warte im ersten Seitentunnel.«
»Nein, Jared, du kannst doch nicht —«
Aber er schob sie weg und verbarg sich in einer Wandvertiefung. Als er hörte, daß er nicht genug Platz hatte, mit dem Speer auszuholen, legte er ihn auf den Boden. Dann schloß er die Augen und sperrte die ablenkenden Eindrücke aus, die das Ungeheuer vor sich herwarf.
Das Wesen hatte die Biegung erreicht, und Jared hörte, wie es sich an der Wand entlangbewegte. Er preßte sich in die Nische.
Der fürchterliche, fremdartige Gestank des Ungeheuers drohte ihn zu überwältigen. Und deutlich hörbar waren auch die zahlreichen Fleischstreifen — falls es sich um solche handelte —, die um seinen Leib flatterten. Wenn Herzschlag und Atmung in Stärke und Rhythmus denen normaler Menschen ähnelten, mußte das Ungeheuer sein Versteck erreicht haben — jetzt! Er stürzte hinaus und knallte seine Faust in die Gegend, die er für den Bauch des Ungeheuers hielt.
Luft fauchte aus den Lungen des Wesens, als es nach vorne kippte und auf Jared zufiel. Er schlug ihm die Faust ins Gesicht, instinktiv schleimigen Widerstand erwartend.
Angstvoll riß er die Augen auf, als er das Ungeheuer zusammensinken hörte. Er hatte halb erwartet, daß kein seltsamer, lautloser Lärm von dem jetzt bewußtlosen Wesen mehr ausgehen würde. Und er hatte recht.
Er kniete nieder und betastete das Wesen mit Widerstreben. Und er entdeckte, daß keine Fleischstreifen an dessen Leib baumelten. Vielmehr waren die Arme, Beine und der Rumpf mit lose hängendem Stoff bedeckt, dessen Gewebe noch feiner war als das jener Stücke, die er am Eingang zum Unteren Schacht gefunden hatte. Kein Wunder, daß sich ihm der Eindruck hängenden, faltigen Fleischs vermittelt hatte! Wo gab es denn Brustbekleidung oder Lendenschurze, die nicht hauteng paßten?
Seine Hände tasteten sich aufwärts und stießen auf ein Duplikat des gröberen Stoffes, den er im Tunnel vor seiner Welt vergraben hatte. Das Gewebe war straff vor das Gesicht des Ungeheuers gespannt und mit geknüpften Bändern am Hinterkopf befestigt.
Er riß den Stoff herunter und berührte mit seinen Fingern — ein normales menschliches Gesicht! Es glich in vielem dem einer Frau oder eines Kindes, glatt und völlig haarlos! Aber die Züge waren männlicher Art.
Das Ungeheuer war menschlich!
Jared erhob sich, und sein Fuß stieß gegen etwas Hartes. Bevor er es berührte, bückte er sich und schnippte mehrmals mit den Fingern. Es fiel ihm nicht schwer, das Ding zu erkennen. Es war mit den röhrenförmigen Objekten identisch, die die Ungeheuer in beiden Schächten zurückgelassen hatten.
Das Wesen regte sich; Jared ließ den Gegenstand fallen und hob schnell seinen Speer auf.
Della kam in diesem Augenblick herbeigerannt. »Noch mehr Ungeheuer — von der anderen Seite kommen sie!«
Jared lauschte. Hinter der Biegung konnte er sie herannahen hören. Und er fühlte, wie sie die stummen Laute an der rechten Felswand entlangspielen ließen.
Er packte Della bei der Hand und raste den Tunnel hinauf, von Zeit zu Zeit den Speer auf den Boden stoßend, um Echotöne zu gewinnen.
Vorne tauchte der Eindruck eines kleineren Seitentunnels auf. Er verlangsamte seine Geschwindigkeit und bog vorsichtig in diesen Korridor ein.
»Gehen wir einstweilen in dieser Richtung«, schlug er vor. »Ich glaube, es ist sicherer.«
»Ist der Zervergeruch hier auch deutlich wahrzunehmen?«
»Nein. Aber wir finden ihn schon wieder. Diese kleinen Tunnels führen meist wieder zum Haupteingang zurück.«
»Also gut«, erwiderte sie. »Jedenfalls brauchen wir hier keine Angst vor Ungeheuern zu haben.«
»Das sind keine Ungeheuer.« Er nahm an, daß die Zerver trotz ihren Fähigkeiten nicht zwischen loser Bekleidung und Fleisch zu unterscheiden vermochten. »Es sind Menschen.«
Er hörte ihre überraschte Miene. »Wie kann denn das sein?«
»Ich nehme an, daß sie Andersartige sind — mit wesentlicheren Abweichungen als alle übrigen zusammen. Sogar den Zervern überlegen.«
Er ließ das Mädchen vorangehen und beschäftigte sich wieder mit den rätselhaften Wesen. Vielleicht waren sie doch Teufel! Man sprach allgemein von den Zwillingsteufeln. Aber manche der zweitrangigen Legenden erwähnten nicht zwei, sondern viele Dämonen, die in der Strahlung wohnten. Selbst jetzt konnte er sich an mehrere davon erinnern, die alle in personifizierter Form auftraten. Da gab es Karbon 14; die beiden U — 235 und 238; Plutonium vom Grad 239, und das gewaltige, lauernde, bösartige Wesen der thermonuklearen Tiefen — Wasserstoff.