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Beim nächsten Schwimmzug berührte seine Hand Dellas Haar, das auf dem Wasser lag, und er griff zu. Die Strömung hatte sie bereits in den unterirdischen Kanal gerissen und gewaltige Wellenberge nachgesaugt.

12

Wilde Unterströmungen schleuderten ihn nach links, nach rechts und zogen ihn schließlich in die Tiefe. Er prallte gegen das Flußbett, schoß wieder empor. Jared fand keine Luft für seine dem Zerreißen nahen Lungen, als er mit dem Kopf gegen die Decke stieß, aber er ließ Dellas Haar nicht los.

Immer wieder prallte das Mädchen gegen ihn, während er die erschreckende Erkenntnis hinunterwürgte, daß der Strom endlos durch Fels fließen mochte, ohne jemals wieder in eine luftgefüllte Welt emporzutauchen.

Als er den Atem nicht mehr länger anhalten konnte, streifte sein Kopf an einem letzten Stück der Decke entlang, rutschte unter einem Sims durch und tauchte an die Oberfläche. Er zerrte Della hoch und pumpte verzweifelt Luft in seine Lungen. Er spürte die Nähe des Ufers, packte einen halb aus dem Wasser ragenden Stein und hielt sich daran fest, während er sie an Land schob. Als er hörte, daß sie noch atmete, kroch er hinaus und brach neben ihr zusammen.

Eine Ewigkeit später, nachdem sein hämmernder Herzschlag ruhiger geworden war, hörte er das Rauschen eines nahen Wasserfalls. Der Lärm und die fernen Reflexionen zeigten die großen Umrisse einer hochgewölbten Welt. Er zuckte zusammen, als er eine Reihe anderer Geräusche vernahm, die den Lautvorhang des rauschenden Wassers kaum durchdrangen — das schwache Klappern von Mannaschalen, das Knirschen von Stein gegen Stein, das Blöken eines Schafes, Stimmen, viele Stimmen, fern und kaum vernehmbar.

Verblüfft nieste er Wasser aus seiner Nase. Er stand auf, stieß gegen einen Kiesel und lauschte seinem Poltern, einen Abhang hinunter, der sich neben dem Wasserfall befand. Dann fing er einen kräftigen, unverwechselbaren Duft auf.

»Jared!« Della stand auf. »Wir sind in der Zerverwelt! Zerv nur! Es ist genauso, wie ich es mir vorgestellt habe!«

Er lauschte angestrengt, aber der Eindruck war undeutlich und verwirrend. Dabei konnte er die weichen, fasrigen Laute eines Mannagartens zu seiner Linken hören, einen gähnenden Eingang zur Rechten, weit entfernt. Und er entdeckte viele seltsame, gleichgestaltete Formen in der Mitte der Welt. Sie waren in Reihen nebeneinander aufgestellt und wie Würfel geformt, mit rechteckigen Öffnungen an den Seiten. Er wußte, worum es sich handelte — Wohnquartiere, den Originalen in der Ursprungswelt nachgebildet und vermutlich aus zusammengebundenen Mannastämmen erbaut.

Della beschleunigte ihre Schritte. »Ist das nicht eine wunderbare Welt? Und zerv die Zerver — es gibt so viele!«

Ohne auch nur im geringsten die Begeisterung des Mädchens zu teilen, folgte er ihr den Abhang hinunter, seine Eindrücke von der Umgebung durch die Echos des Wasserfalls gewinnend.

Es war wirklich eine seltsame Welt. Er hatte inzwischen zahlreiche Zerver bei der Arbeit und beim Spiel belauschen können; andere schleppten Humus und Gestein, häuften ihre Lasten am Eingang auf. Aber diese Geschäftigkeit verlieh ohne die beruhigenden Töne eines Echowerfers der Welt einen unheimlichen Anstrich.

Überdies war er maßlos enttäuscht. Er hatte gehofft, beim Betreten der Zerverwelt den Unterschied augenblicklich zu entdecken, nachdem er sein ganzes Leben geforscht hatte. Oh, es war ja so einfach! Die Zerver hatten Augen, und indem sie sie gebrauchten, wirkten sie auf die allumfassende Dunkelheit dergestalt ein, daß sie sozusagen Löcher hineinfraßen — wie das Hören von Geräuschen Löcher in die Stille fraß. Und einfach dadurch, daß er erkannte, wovon es hier weniger gab, würde er Dunkelheit identifizieren.

Aber er konnte gar nichts Ungewöhnliches hören. Viele Personen da unten zervten. Dabei war alles genauso wie in irgendeiner anderen Welt, abgesehen vom Fehlen eines Echowerfers und der Spürbarkeit des durchdringenden Zervergeruchs.

Della fing an zu laufen, aber er hielt sie zurück. »Wir wollen sie nicht erschrecken.«

»Mach dir keine Sorgen. Wir sind beide Zerver.«

Er folgte dem Mädchen am Mannagarten und einer Reihe von Ställen vorbei. Man entdeckte sie schließlich, als sie sich einer Gruppe von Leuten näherten, die nicht weit von einem der Wohnquartiere entfernt ihre Arbeit verrichtete. Jared hörte, wie es merkwürdig still wurde; alle Gesichter wandten sich ihm und Della zu.

»Wir sind Zerver«, rief Della zuversichtlich. »Wir sind gekommen, weil wir hierher gehören.«

Die Männer kamen schweigend näher, schwärmten aus, um sie von mehreren Seiten einschließen zu können.

»Mogan!« schrie einer von ihnen. »Komm her — schnell!«

Mehrere Zerver stürmten los, packten Jareds Arme und drehten sie nach hinten. Della ging es genauso, konnte er hören.

»Wir sind nicht bewaffnet«, protestierte er.

Inzwischen hatten sich auch andere versammelt, und Jared war für das aufgeregte Stimmengemurmel dankbar, das ihm anstelle des Echowerfers Eindrücke der Szene vermittelte.

Zwei Gesichter kamen ganz nahe heran, und er lauschte Augen, die weit offenstanden. Er sorgte dafür, daß auch seine Augen geöffnet waren.

»Das Mädchen zervt«, rief jemand.

Eine Hand fuhr plötzlich vor Jareds Gesicht auf und ab; er konnte nicht verhindern, daß seine Lider zuckten.

»Der da wohl auch«, bestätigte der Besitzer dieser Hand. »Jedenfalls sind seine Augen offen.«

Jared und Della wurden zwischen den Wohnzellen hindurchgeführt, während sich Zerver aus der ganzen Welt versammelten. Plötzlich schob sich eine riesige Gestalt durch die Menge. Jared erkannte Mogan, den Zerverführer.

»Wer hat sie hereingelassen?« fragte Mogan.

»Sie sind nicht durch den Eingang hereingekommen«, versicherte jemand.

»Sie behaupten, Zerver zu sein«, erklärte ein anderer.

»Sind sie es?« erkundigte sich Mogan.

»Sie haben beide offene Augen.«

»Was tust du hier?« wandte sich Mogan plötzlich dröhnend an Jared. »Wie seid ihr hereingekommen?«

Della kam Jared zuvor. »Wir gehören hierher.«

»Jenseits der Felswand wurden wir von Vampiren angegriffen«, erklärte Jared. »Wir sprangen in den Fluß und wurden hierhergeschwemmt.«

Mogans Stimme verlor etwas an Strenge. »Ihr müßt allerhand durchgemacht haben. Ich bin der einzige, der auf diesem Weg herkam.« Dann prahlend: »Ich habe es auch ein paarmal gegen die Strömung geschafft. Was hattet ihr da draußen zu schaffen?«

»Wir suchten diese Welt«, erwiderte Della. »Wir sind beide Zerver.«

»Ausgeschlossen!« fauchte Mogan. »Es hat nur einen einzigen Originalzerver gegeben. Wir alle hier sind seine Nachkommen. Ihr nicht. Ihr stammt aus einem der Schächte.«

»Richtig«, gab sie zu. »Aber mein Vater war ein Zerver — Nathan Bradley.«

Irgendwo im Hintergrund fuhr ein Zerver auf und trat vor. Seine Atemzüge verrieten ihn als älteren Mann.

»Nathan!« rief er. »Mein Sohn!«

Aber man hielt ihn zurück.

»Nathan Bradley?« wiederholte einer der Männer neben Jared unsicher.

»Gewiß«, erwiderte ein anderer. »Du hast doch schon von ihm gehört. Er trieb sich ständig in den Tunnels herum — bis er verschwand.«

Mogan wandte sich wieder an Jared. »Was ist mit dir?«

»Er ist ein Originalzerver«, erklärte Della.

»Und ich bin der Onkel eines Vampirs!« platzte Mogan heraus.

Jared zweifelte immer mehr daran, sich auf die Dauer hinter der Maske eines Zervers verbergen zu können. Verzweifelt suchte er nach einem Einfall und sagte schließlich: »Vielleicht bin ich auch kein Originalzerver. Von Zeit zu Zeit verlassen Leute eure Welt, die dann an anderer Stelle Nachkommen in die Welt setzen. Denkt an Nathan, an Estel —«

»Estel?« rief eine Frau und drängte sich durch die Menge. »Was weißt du über meine Tochter?«