Er beschäftigte sich mit der Verzweiflung, die aus der Erkenntnis entstand, daß er hier nichts finden würde, was ›anders‹ war — nichts, was die Fortsetzung seiner Jagd nach Dunkelheit und Licht rechtfertigte.
Unter den deutlicher vernehmbaren Lauten erkannte er Dellas Stimme, die aus der Hütte nebenan zu ihm drang. Es war eine glückliche, aufgeregte Stimme, die von Thema zu Thema sprang und von Zeit zu Zeit durch die Worte anderer Frauen verdeckt wurde. Aus dem Gespräch konnte er entnehmen, daß es ihr schnell gelungen war, ihre Zerververwandten zu entdecken.
Die Vorhänge teilten sich, und Mogan stand im Eingang. Er winkte Jared. »Es wird Zeit, daß wir feststellen, ob du wirklich zu uns gehörst.«
Jared zuckte die Achseln und verließ die Hütte.
Mogan ging voraus, entlang an den Gebäuden. Ihnen schlossen sich viele Zerver an.
Sie erreichten eine Lichtung, und der Anführer blieb stehen. »Wir tragen jetzt einen Zweikampf aus — du und ich.«
Jared runzelte die Stirn.
»Das ist der sicherste Weg, herauszufinden, ob du wirklich zervst, meinst du nicht auch?« sagte Mogan und spreizte die Hände.
Jared hörte, daß es riesige Hände waren. »Ich denke schon«, erwiderte er mit gespielter Gleichgültigkeit.
Eine Gestalt löste sich aus der Menge, und er erkannte Della, als sie mit besorgter Miene auf ihn zuging. Aber jemand ergriff ihren Arm und zog sie zurück.
»Fertig?« fragte Mogan.
Jared nahm seinen ganzen Mut zusammen. »Fertig.«
Aber anscheinend war der Zerverführer nicht bereit — noch nicht.
»Ich brauche völlige Ruhe da drüben, Owlson«, rief Mogan den Männern zu, die am Eingang arbeiteten.
Dann wandte er sich an die Umstehenden. »Niemand muckst sich — verstanden?«
Jared verbarg seine Hoffnungslosigkeit und sagte sarkastisch: »Du vergißt, daß ich noch riechen kann.« Er bemerkte dankbar, daß Mogan auch den Lärm des Wasserfalls vergessen hatte, der sich nicht abstellen ließ.
»Oh, wir sind noch nicht ganz fertig«, meinte der andere lachend. Mehrere Zerver ergriffen Jareds Arme, während ein anderer sein Haar packte und ihm den Kopf nach hinten drehte. Dann wurden Jared Pfropfen eines rauhen, feuchten Materials in die Ohren und in die Nasenlöcher gestopft — Lehm.
Zurückgelassen in einer geruchlosen, lautlosen Leere, hob er die Hände ans Gesicht. Bevor er jedoch den Lehm aus den Ohren kratzen konnte, stürzte sich Mogan auf ihn und umklammerte seinen Hals mit eisenhartem Griff. Jared wurde von den Beinen gerissen und zu Boden geschleudert.
Desorientiert, da ihn weder Laute noch Gerüche leiteten, sprang er auf und holte zu einem Schlag aus, der im Leeren landete und nur dazu diente, ihn wieder des Gleichgewichts zu berauben.
Ganz schwach hörte er Gelächter durch die Lehmpfropfen dringen. Aber das Geräusch war zu undeutlich, als daß es ihm verraten hätte können, wo sich Mogan befand. Mit wirbelnden Fäusten taumelte er umher — bis ihn der Zerverführer aufs Genick schlug und wieder zu Boden brachte.
Als er diesmal aufzustehen versuchte, knallte eine Faust in sein Gesicht, die ihm den Kopf abzureißen schien. Jared wäre überzeugt davon gewesen, daß der nächste Schlag diesen Zweck erfüllte, wenn ihn nicht die Bewußtlosigkeit jeder Möglichkeit zu denken enthoben hätte.
Viel später reagierte er endlich auf das in sein Gesicht klatschende Wasser und richtete sich auf einem Ellenbogen auf. Der Lehm war ihm aus einem Ohr gefallen; er konnte die Männer hören, die um ihn herumstanden und ihn grimmig anzervten.
Aus der Menge drangen die Stimmen Mogans und Dellas:
»Selbstverständlich wußte ich, daß er kein Zerver ist«, behauptete das Mädchen.
Wütend fauchte Mogan: »Und trotzdem hast du ihn hierher gebracht.«
»Er brachte mich her.« Sie lachte verächtlich. »Allein hätte ich es nicht geschafft. Meine einzige Chance bestand darin, ihn in der Meinung zu lassen, ich glaube, daß er auch ein Zerver sei.«
»Warum hast du uns nicht schon früher die Wahrheit gesagt?«
»Damit er sich auf mich stürzt, bevor ihr ihn überwältigen könnt? Ich wußte doch, daß ihr früher oder später dahinterkommen mußtet.«
Jared schüttelte betäubt den Kopf, als ihm Leas Warnung und seine eigenen Zweifel einfielen. Wenn er nur ein bißchen weithörender gewesen wäre, hätte er erkennen müssen, daß sie ihn die ganze Zeit nur als Mittel zum Zweck benutzt hatte.
Er versuchte sich zu erheben, aber jemand stellte einen Fuß auf seine Schulter und drückte ihn auf den Boden zurück.
»Was will er hier?« fragte Mogan das Mädchen.
»Ich weiß es selbst nicht genau. Er sucht irgend etwas und glaubt, es hier finden zu können.«
»Was sucht er?«
»Dunkelheit.«
Mogan kam herüber und riß Jared hoch. »Weshalb bist du hierhergekommen?« Jared schwieg.
»Wolltest du diese Welt auskundschaften, damit du einen Überfall vorbereiten kannst?«
Als er auch darauf keine Antwort bekam, fügte Mogan hinzu: »Oder hilfst du den Ungeheuern, uns zu finden?«
Jared blieb stumm.
»Du kannst es dir eine Weile überlegen. Vielleicht kommst du dahinter, daß du durch Offenheit deine Lage verbessern könntest.«
Jared spürte jedoch, daß man keine Nachsicht üben würde. Solange er lebte, mußten sie immer befürchten, daß er entfliehen und die Tat ausführen würde, der sie ihn für fähig hielten.
Man fesselte ihn, führte ihn durch die halbe Welt und stieß ihn in eine vom Wasserfall nicht allzuweit entfernte Hütte. Es war ein enges Quartier, dessen Öffnungen man mit starken Mannastämmen verbarrikadierte.
13
Mehrmals im Lauf der ersten Periode seiner Gefangenschaft dachte Jared an Flucht. Er hörte, daß es verhältnismäßig einfach sein mußte, aus der Mannahütte auszubrechen — wenn es ihm gelang, seine Hände zu befreien. Die Gelenke waren jedoch so fest aneinandergefesselt, daß er sie nicht zu bewegen vermochte.
Aber Flucht — wohin? Der Haupteingang war von den Männern bereits blockiert, die dort die Mauer errichteten, und angesichts der starken Gegenströmungen im Fluß erwies sich die Flucht aus der Hütte als sinnlos.
Bei anderen Gegebenheiten hätte er sich eifrig auf sein Entkommen vorbereitet. Aber außerhalb der Zerverwelt gab es nichts als Tunnels voll Ungeheuer. Überdies mußten die anderen Welten durch diese verhaßten Wesen längst entvölkert worden sein. Der einzige Antrieb, stark genug, ihn anzustacheln — die Hoffnung, für sich und Della eine versteckte, autarke Welt zu finden — hatte sich in Nichts aufgelöst, als sich das Mädchen gegen ihn stellte.
Während der zweiten Periode stand er vor der verbarrikadierten Öffnung in der Hüttenwand und lauschte den Arbeitern, die den Eingang völlig zumauerten. Dann lehnte er sich entmutigt an die Wand und ließ das Rauschen des Wasserfalls seine Aufmerksamkeit von allen anderen Geräuschen fortschwemmen.
Er fragte sich verständnislos, wie er nur auf die Idee gekommen war, in dieser schäbigen Welt Licht finden zu können. Da die Zerver, ohne zu lauschen, wußten, was vor ihnen lag, hatte er angenommen, daß sie dieselbe Macht besaßen, die allen Menschen in Gegenwart des Allmächtigen Lichts zuteil werden mußte. Daraus sollte sich dann eine Abnahme der Dunkelheit ergeben, war seine falsche Schlußfolgerung gewesen. Aber er hatte an eine Möglichkeit nicht gedacht: daß nämlich die Dunkelheit etwas sein konnte, das nur die Zerver selbst zu erkennen vermochten — etwas, das außerhalb des Bereiches seiner Sinne lag.
Er ging zur Schlafbank und legte sich nieder, versuchte, Della aus seinen Gedanken zu verbannen, aber es gelang ihm nicht. Er gestand sich ein, daß ihre Handlungsweise nur einem verräterischen Grundzug im Charakter aller Zerver entsprach. Lea dagegen hätte niemals —