Die Lösung traf ihn mit der Gewalt eines stürzenden Felsblocks: Er befand sich in der Unendlichkeit! Und sie war keine endlose Felsmasse, sondern eine unbegrenzte Weite von — Luft!
Entsetzt wich er zum Tunnel zurück. Denn alle Glaubenssätze hatten erklärt, daß es nur zwei Unendlichkeiten gab — das Paradies und die Strahlung.
Noch ein Schritt, und er prallte mit Mogan zusammen.
»Ich kann nicht einmal meine Augen offenhalten!« rief der Zerverführer. »Wo sind wir denn?«
»Ich —«, würgte Jared hervor. »Ich glaube, wir sind in der Strahlung.«
»Licht! Ich rieche es!«
»Der Geruch der Ungeheuer. Aber es ist gar nicht ihr Gestank — sondern die Ausdünstung dieser Gegend.«
Jared zog sich verzweifelt zum Tunnel zurück. Dann spürte er die ungeheure Hitze deutlicher, und er begriff, warum sein Begleiter nicht mehr zerven konnte. Mogan war die normale Wärme in den Welten und Korridoren gewöhnt. Hier strömte die Hitze aller existierenden Kochquellen zusammen auf sie herab.
Und ganz plötzlich wußte Jared, daß er diese Unendlichkeit nicht verlassen konnte, ohne sie eindeutig zu identifizieren. Er hatte bereits geahnt, um welche es sich handelte. Die Hitze war Hinweis genug. Aber er mußte sich überzeugen. Er wappnete sich gegen die zu erwartende Qual, öffnete die Augen und ließ den Tränen freien Lauf.
Die unheimlichen Eindrücke, die auf ihn hereinstürzten, waren diesmal verschwommen. Er wischte sich mit dem Handrücken die Wangen.
Dann kamen die zusammengesetzten Eindrücke — Empfindungen, die dem Zerven glichen, wie er vermutete. Auf seltsame Weise — durch das Medium seiner Augen — spürte er, daß der Boden vor ihm abfiel, auf eine Gruppe von winzigen, schlanken Objekten zu, die in der Ferne einmal hierhin, einmal dorthin schwankten. Undeutlich erinnerten sie ihn an Mannabäume. Oben waren sie allerdings zart und spitzenartig. Die Legende von den Pflanzen im Paradies fiel ihm ein.
Aber dies hier war eine Unendlichkeit der Hitze, in der nichts Himmlisches existierte.
Zwischen den Bäumen zervte er die Einzelheiten kleiner, geometrischer Formen, in Reihen aufgestellt, wie die Hütten in der Ursprungswelt. Wieder ein Merkmal, das dem Paradies zugeschrieben wurde.
Aber hier wohnten doch Ungeheuer!
Schlagartig wandte er seine Aufmerksamkeit einer alles überragenden Tatsache zu:
Er empfing zur selben Zeit ausführliche Eindrücke von unendlichen vielen Dingen, ohne sie zu hören oder sie riechen zu müssen!
Diese Fähigkeit konnte jedoch nur in Gegenwart des Großen Allmächtigen Lichts ausgeübt werden.
Dies also war es.
Dies war das Ende seiner Suche.
Er hatte Licht gefunden. Und Licht war nun doch der Stoff, den die Ungeheuer in den Tunnels vor sich herwarfen.
Aber Licht war nicht im Paradies.
Es war in der Unendlichkeit der Strahlung mit den Nuklear-Ungeheuern.
Alle Legenden, alle Glaubenssätze führten in die Irre.
Für den Menschen gab es kein Paradies.
Da die Atomdämonen ungehindert die Tunnels durchstreiften, war für die Menschheit das Ende ihrer Existenz gekommen.
Voll Verzweiflung warf er den Kopf zurück, und gegen sein Gesicht prallte lautloser Schall mit unvorstellbarer Macht.
Der Eindruck war so verheerend, daß er die Augen aus seinen Höhlen zu brennen schien.
Ein großes, rundes, bösartiges Ding, die Strahlung mit unfaßbarer Kraft, Hitze und Majestät beherrschend, brüllte ihm ins Gesicht.
Wasserstoff in Person!
Jared fuhr herum und raste zum Tunnel, kaum bemerkend, daß er gleichzeitig ein Geräusch auf dem Abhang gehört hatte.
Mogan rief. Aber der Aufschrei wurde von surrendem Zischen unterbrochen.
Jared schaffte es, den Korridor zu erreichen, und raste den Echos seiner Klicksteine nach.
14
Jared, dem kaum zum Bewußtsein kam, daß Mogan nicht mehr bei ihm war, begrüßte die vertraute Sicherheit der Tunnelwände, die sich wieder um ihn schlossen. Das für die Abwesenheit des Zerverführers verantwortliche Zischen war nur eine rasch versinkende Erinnerung.
Taumelnd näherte er sich der ersten Biegung. Seine brennenden und tränenden Augen spürten immer noch den furchtbaren Druck des Stoffes, der all den leeren Raum in die entsetzliche Unendlichkeit der Strahlung gezwängt hatte.
Er stieß gegen einen Felsblock, stürzte, raffte sich wieder auf und raste um die Biegung, wobei er nur undeutlich spürte, daß er sich zwischen den Hindernissen hindurchfand, ohne Lautimpulse zu benötigen.
Schließlich blieb er stehen, klammerte sich unentschlossen an einem schlanken, hängenden Stein und wartete, bis er wieder zu Atem kam.
Alles zeigte sich jetzt in ironischer Klarheit. Der Stoff in der Unendlichkeit war — Licht. Dasselbe Licht, das er sein Leben lang gesucht hatte. Nur erwies es sich als etwas Bösartiges, da es Teil der Strahlung war.
Plötzlich fühlte er die Wucht einer weiteren unglaublichen Erkenntnis:
Er wußte jetzt auch, was Dunkelheit war!
Sie war hier — in diesem Tunnel — in allen Tunnels, die er jemals begangen hatte, in allen Welten, die er kannte. Sein Leben lang war er nie aus der Dunkelheit herausgekommen, abgesehen von den wenigen Begegnungen mit den Ungeheuern. Bevor er Licht zum erstenmal an sich erfuhr, hatte er es nicht erkennen können.
Aber jetzt war es so einfach.
Die Unendlichkeit hinter ihm war von Licht erfüllt. Im Korridor, der dorthin führte, gab es von diesem Stoff erheblich weniger.
Und nach der nächsten Biegung würde Licht völlig fehlen, würde die Dunkelheit absolut sein — so vollständig, so umfassend, daß er Zehntausende von Perioden dort hätte leben können, ohne etwas von ihrer Existenz zu ahnen.
Schwankend unter der Last neuer, seltsamer Begriffe wanderte er weiter, mit unsicher ausgestreckten Händen. Und allein durch das Medium seiner Augen spürte er in vollem Ausmaß die vorne drohend auftauchende Lichtlosigkeit, überwältigend wie die tiefste Stille, die er je erlebt hatte — ein schwerer, dichter Vorhang aus Dunkelheit.
Zögernd Umschrift er die Biegung und schob sich in die körperlose Barriere, zusammenzuckend, als sich die Dunkelheit unerbittlich um ihn schloß. Mit den Händen tastete er sich voran. Demütigend wurde er daran erinnert, wie sein weniger sensitiver Bruder sich in dichter Stille hatte entlangtasten müssen.
Beim nächsten Schritt geriet sein Fuß in die Leere einer flachen Bodenvertiefung, und er stürzte. Bevor er sich wieder erhob, nahm er zwei Steine auf und schüttelte sie in seiner Hand.
Aber nun schienen die Echos fern und fremdartig. Nur mit großer Konzentration konnte er aus dem Widerhall entnehmen, was vor ihm lag. Er fragte sich, ob vermindertes Hörvermögen zu den unmittelbaren Folgen der Strahlungskrankheit gehörte. Furcht überfiel ihn von neuem, als er an eine andere Legende dachte: Jeder, der auf die Strahlung stieß, mußte mit allen möglichen schweren Leiden rechnen — mit Fieber, Taubheit, Erbrechen, Haarausfall und Blindheit, was immer das sein mochte.
Aber die Sorge um das körperliche Wohlbefinden blieb unter einer Bitterkeit begraben, die ihn wie der erstickende Dampf eines kochenden Kraters überfiel. Vor ihm erstreckte sich eine Zukunft bar aller materiellen Dinge, gleich der Unendlichkeit, vor der er eben die Flucht ergriffen hatte.
Vom Sinn seines Lebens war nichts geblieben als zerstörte Träume — seine Welten verheert; Della verschwunden; die Suche nach Licht in der quälendsten Verzweiflung endend. Sein Leben lang hatte er eine Hoffnung verfolgt, nur um sie schließlich einzuholen und als Illusion zu erkennen.
Er stapfte in die Dunkelheit hinein, klapperte mit seinen Steinen und bezahlte den Preis strengster Konzentration für jeden Eindruck, den er den nicht mehr vertrauten Echos entriß. Trotzdem mußte er gelegentlich stehenbleiben und die Hand tastend zu Hilfe nehmen.