Seine Ohren vernahmen die feinen Kontrapunkte, die sich an der Oberfläche des beherrschenden Lauts meldeten, als er ihrem Ursprung näher kam. Wie eine zärtliche Umarmung schloß sich das Tonvolumen um ihn. Die Vollkommenheit und Präzision dieser Geräusche waren unglaublich.
Wumm-bramm, ping-sptt, sssss…
Die vollen Baßtöne erforschten die genauen Umrisse jedes größeren Vorsprungs rings um ihn her. Selbst ohne aufmerksames Lauschen vermochte er jede winzige Bewegung von Dellas Armen und Beinen zu verfolgen. Und die hohen, feineren Töne brachten das Muster zu einer wunderbaren Vollendung.
Wumm-bramm, ping-sptt, tschmp, tut-tut-tut-tut…
Er richtete sein Ohr auf die geringere, stotternde Vibration. Sogar die kaum merklichen Wölbungen an der gerunzelten Stirn Dellas, ihre Wimpern und Brauen waren deutlich zu erkennen.
Er nahm nun zwei Stufen auf einmal, voll Angst, auf einer unendlich langen Treppe auf die unendliche Schönheit des Paradieses zueilen zu müssen. Aber dann krümmte sich die Treppe nach rechts, und endlich konnte er, nicht allzuweit entfernt, die Öffnung am Grunde des Kraters hören.
»Laß uns doch umkehren!« drängte Della keuchend. »Wir kommen nie wieder diese vielen Stufen hinauf!«
Aber er wurde nur noch schneller. »Hörst du denn nicht, daß dies hier sein könnte, wonach ich die ganze Zeit gesucht habe? Ich habe nicht Licht entdecken wollen. Ich forschte in Wirklichkeit nach dem Paradies, aber ich wußte es bis zu diesem Augenblick nicht.«
Die Treppe ging zu Ende, und er machte mit dem Mädchen halt. Sie standen unter einem breiten Gewölbe, vor einem riesigen Raum von der vielfachen Größe der Zerverwelt. Hingerissen schwankte er vor den vollen, sonoren Lauten und ließ die mächtige Lawine idealer Töne auf sich herabbrausen. Es war sicherlich das herrlichste Ereignis seines Lebens.
Mühsam seine Begeisterung im Zaum haltend, lauschte er der Welt, die sich vor ihm erstreckte.
Ein Paradies, das praktisch nur Wasser war?
Unmöglich! Und doch — eine riesige, flache Weite, die alle Laute mit nichts als sanfter Flüssigkeit zurückwarf.
Er hörte jetzt, daß er auf einem Sims stand, der die Wasseroberfläche nur wenig überragte. Nirgends konnten seine Ohren trockenes Land entdecken. Vom fernen Ende der Welt drang das mächtige Rauschen eines gewaltigen, von der Decke herabstürzenden Wasserfalls herüber.
Der Sims erstreckte sich nur wenige Schritte nach rechts. Zur Linken folgte er der natürlichen Wölbung der Felswand.
Der Echowerfer des Paradieses verriet sich als Anhäufung riesiger würfelförmiger Strukturen. Jede einzelne übertraf selbst die größte Hütte in der Ursprungswelt um ein Vielfaches. Und sie waren von einem komplizierten Flechtwerk gewaltiger Röhren umgeben, die sich aus dem Wasser hochreckten, sich windend, ineinander geschlungen in den Wänden der Strukturen verschwanden.
Oben aus den Riesenwürfeln ragten Hunderte von Röhren, senkrecht aufsteigend und sich in die Decke bohrend.
Bestürzt studierte er das Wumm-bramm, tut-tut-tut-tut, das alle diese Einzelheiten hörbar machte.
»Was ist das hier?« flüsterte Della angstvoll. »Warum ist es so heiß?«
Nun, da sie es erwähnt hatte, spürte auch er die große Wärme. Sie schien von den riesigen Behältern zu kommen, die auch die idealen Echos lieferten. Irgendwie begann er ernstlich daran zu zweifeln, daß er sich im Paradies befand.
»Was zervst du, Della?« Aber noch im Augenblick des Fragens spürte er, daß sie die Augen geschlossen hielt.
»Ich zerve nicht — es ist viel zu heiß.« Sie schien verängstigt und verwirrt zu sein.
»Versuch es.«
Sie zögerte lange, bevor er den Eindruck auffing, daß sich ihre Augen öffneten.
Aber sie schrak zusammen und schlug die Hände vors Gesicht. »Ich kann nicht! Es tut so weh!«
Dann erkannte er erst, daß seine Augen die ganze Zeit geschlossen gewesen waren. Er hob die Lider und ›sah‹ — das mußte das richtige Wort sein, fiel ihm ein — nichts.
»Hast du denn überhaupt nicht gezervt?« fragte er.
Sie ließ die Hände nicht sinken. »Mehrere Hütten — riesengroß. Und aus dem Wasser ragende Pfosten. Danach war alles zu heiß. Ich konnte die Augen nicht mehr dorthin richten.«
Impulsiv wandte er den Kopf in Richtung der Würfel. Dort war jetzt Licht! Nicht von der Art, wie er sie in der Unendlichkeit kennengelernt hatte, sondern von jener, wie sie die Ungeheuer herumtrugen — zwei Zylinder, zwischen den lärmerzeugenden Riesenwürfeln hin- und herzuckend.
Das Mädchen fragte: »Was ist denn?«
»Ungeheuer!«
Er hörte, wie eines der Wesen, den Lärm des Echowerfers übertönend, dem anderen zurief: »Hast du den vierten Reaktor gebremst?«
»Ich habe ihn ganz abgeschaltet. Damit wären auch die letzten paar heißen Quellen im Oberen Schacht erledigt, übereinstimmend mit den Plänen.«
»Und wie steht's mit den vom zweiten Reaktor gespeisten vereinzelten Quellen?«
»Thorndyke meinte, wir sollten diese Quellen noch fließen lassen. Falls uns doch ein paar Leute entgehen, haben sie eine Zuflucht, bis wir sie finden.«
Verzweifelt kehrte Jared zur Treppe zurück. Er hatte also recht gehabt. Die Ungeheuer waren für das Versiegen der heißen Quellen verantwortlich. Und jetzt hörte er auch, wie unsicher die Lage der Überlebenden über die ganzen Generationen hindurch gewesen war. In jedem beliebigen Augenblick hatten es die Ungeheuer in der Hand gehabt, ihnen die Daseinsgrundlage zu entziehen!
Plötzlich zielte der Lichtzylinder in seine Richtung. Er fuhr herum und rannte zur Treppe, Della vor sich hertreibend.
»Sie kommen!« warnte er.
Sie hasteten die Stufen hinauf. Nach einiger Zeit überlegte er sich, ob er das Tempo verringern sollte, damit sie Atem schöpfen konnten. Aber da wurde ihm klar, daß er schwache Lichtmuster seiner Umgebung auffing. Die Ungeheuer waren ihnen also bereits auf den Fersen.
Obwohl brennende Schmerzen in seinen Lungen tobten, raste er weiter, das Mädchen mitziehend. Verzweifelt fragte er sich, wie weit sie noch von der obersten Stufe entfernt waren.
»Ich — ich kann nicht mehr!« jammerte sie.
Als sie zusammenbrach, hätte er beinahe das Gleichgewicht verloren. Er half ihr auf, legte den Arm um ihre Hüften und stürmte weiter.
Trotz seiner Unterstützung stürzte sie wieder, und als er sie aufzuheben versuchte, sank er neben ihr zusammen. Er hätte für immer dort liegen bleiben mögen. Aber dies war ihre letzte Chance; wenn sie jetzt versagten, würde es nie mehr eine sichere, abgeschlossene Welt für sie geben.
Er raffte sich mühsam auf, stemmte das Mädchen auf seine Arme und stieg weiter. Bei jedem Schritt quälten ihn stechende Schmerzen. Jeder Atemzug schien sein letzter zu werden. Dann hörte er endlich die Öffnung über sich, gewann aus der Nähe seines Ziels ein wenig neuen Mut. Nur nebenbei fragte er sich, woher er die Kraft aufbringen sollte, ein Versteck zu finden, sobald sie die Ursprungswelt erreicht hatten.
Eine Ewigkeit später schleppte er sich und das Mädchen die letzte Stufe hoch und kroch auf den Boden der Hütte. Er schob Della hinaus. »Versteck dich in einem der anderen Gebäude — schnell!«
Sie wankte durch den Eingang, brach draußen zusammen; er hörte nur ihr verzweifeltes Keuchen; sie rührte sich nicht mehr.
Es gelang ihm, sich aufzurichten. Aber lähmende Erschöpfung ließ ihn gegen die Wand taumeln. Er stieß mit einem unförmigen Objekt zusammen, und seine Lauteindrücke von den Hütten begannen ihn in schwindelnder Eile zu umtanzen. Er prallte gegen etwas anderes und fiel zu Boden, bewahrte sein Bewußtsein nicht einmal so lange, daß er die Wucht der auf ihn stürzenden Möbel gespürt hätte.
15
»Nicht liegenbleiben, Jared! Steh auf und rette dich!«
Verzerrt durch Angst überbrückten Leas Gedanken die Entfernung bis zur Strahlung. Jared verwirrte die Tatsache ein wenig, daß er sich nicht einmal entsinnen konnte, ins Träumen gekommen zu sein.