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Katya strich das Tischtuch auf ihrem Schoß glatt und begutachtete ihr Werk. »Wolltest du nie wieder heiraten?«

Über die Jahre hatte es Gäste gegeben, die Silja Guðmundsdóttir den Hof machten. Mit roten Ohren und inbrünstigen Blicken; charmant, geschäftsmäßig nüchtern oder geradezu anzüglich. Manch einer hielt sich selbst gar für ein Gottesgeschenk, das nur eine Närrin ausschlagen würde.

Keinen Gedanken hatte Silja je daran verschwendet. Nicht einmal bei denen, die das Herz am rechten Fleck hatten und mit Magnus gut konnten, ihm Spielzeug mitbrachten und versteinerte Krabbeltiere, den Splitter eines Walrosszahns und Geschichten von unterwegs.

Sie hatte alles, was sie brauchte, was sie wollte. Und nichts wollte sie weniger, als wieder unter den Schutzmantel eines Mannes zu schlüpfen, nachdem sie so lange schon fest auf eigenen Füßen stand.

Mit der Zeit würden sich auch die eifrigsten Zungen Tromsøs beruhigen, das war doch immer so.

»Manche Frauen entscheiden sich nie für den einfachsten Weg.«

Katya spürte den fragenden Blick, noch bevor Silja erneut das Wort ergriff.

»Du hast lange nichts mehr von dir und Thilo Petersen geschrieben. Oder von dir und Christian.«

Das munter tanzende Kaminfeuer erinnerte Katya an die Flammen der Öllämpchen im Gästehaus von Madras, fast zwei Jahre war es her. Als ihr dämmerte, dass das Versprechen, das sie und Thilo einander gegeben hatten, gerade in Rauch aufging, weil Thilo nur ein paar nackte Lehmwände von ihr entfernt den Weg zurück in Grischas Arme gefunden hatte.

Ihr Verlobter und ihr Bruder. Es hatte wehgetan, natürlich hatte es das. Für großen Kummer war allerdings nicht viel Raum geblieben, in der Nähe zu Christian. Im Rausch des Triumphs, nicht nur ihr Eis mit sattem Gewinn verkauft zu haben, sondern dazu noch mit den Schätzen Indiens beladen heimzukehren. Gefühlstrunken vor neu gewonnenem Glück, jegliche Katerstimmung noch weit entfernt.

Drei Monate verbrachten sie auf See, im Rückblick eigentümlich zusammengeschmolzen auf einzelne Stunden, besondere Momente. Es musste raue Winde gegeben haben, Sturmwolken und schweren Regen, denn der Monsun war finster und polternd über sie hinweggerollt. In Katyas Erinnerung waren nur die heiteren Tage übrig geblieben, die stillen Nächte. In einem vergessenen Winkel des Schiffs, in den nächtlichen Schatten an Deck hielten Christian und sie sich bei den Händen. Lachten und flüsterten miteinander, ließen den anderen tief in die eigene Seele blicken und spannen Träume von morgen.

Behutsam und fast schüchtern waren ihre Küsse gewesen, salzig vom Meer und dem Schweiß harter Arbeit an Bord, jeder davon eine Wiedergutmachung, ein kleines Versprechen. Mehr hatten sie nicht gewagt, mehr hatten sie nicht gebraucht, sie hatten doch alle Zeit der Welt. Jetzt, da sich die Zukunft sonnenflimmernd und sternenfunkelnd vor ihnen ausdehnte wie der weite Ozean.

Katya musste an das Insekt denken, eingeschlossen in einem Stück Bernstein, das Magnus ihr am Nachmittag stolz gezeigt hatte. Sein größter Schatz, den ihm ein Händler aus dem Baltikum bei seinem alljährlichen Besuch geschenkt hatte.

So war es gewesen, an Bord der Maiden of the Seas . Eine Welt für sich, aus Farbe und Licht. Ein Tropfen Ewigkeit. Mit aller Wucht zerschmettert von der Wirklichkeit, kaum dass sie in Hamburg eingelaufen waren.

Was mit Christian hätte sein können, war zu einem dumpfen Weh abgeklungen. Ein tief liegender Bluterguss, der noch immer leise pochte. Es war leichter geworden, seit sie nicht mehr unter einem Dach wohnten.

Gegen die machtvollen Strömungen und Brecher des Lebens kam man nicht an, mit allem Willen und Widerstand nicht. Man konnte nur versuchen, sich über Wasser zu halten, und hoffen, irgendwann eine sichere Küste zu erreichen.

»Thilo hat mich noch einmal gefragt, ob ich seine Frau werden will.«

Silja warf ihr einen aufmerksamen Blick zu. »Willst du?«

Katyas Antwort war ein vorsichtiger Schritt auf brüchigem Eis.

»Ich weiß es nicht mehr.«

Silja hörte Zerwürfnisse und Enttäuschungen heraus. Irrwege durch ein Dickicht aus Gefühlen und ein Herzensleid, das sie Katya gern erspart hätte.

Einmal mehr fühlte sie sich bei Katyas Anblick an ihre Heimat erinnert. Das Eisland , dem ersten Augenschein nach so still und sich selbst genug. Geradezu in sich zurückgezogen, am Rand des tiefen und kühlen Nordmeers. Und doch war es kein zahmes Land. Verwerfungen und Brüche setzten den Erdboden unter Spannung und entluden sich in Erschütterungen, und fortwährend dampfte und brodelte es aus dem heißen Herzen der Insel.

Silja vernähte das letzte Fadenende. Lange brauchte der Stoff ohnehin nicht mehr zu halten, bis zum Sommer würde Magnus schon wieder aus seinen Hosen herausgewachsen sein. Sie stand auf, um das Kleidungsstück auf den Stuhl neben seinem Bett zu legen und einige Herzschläge lang über seinen Schlaf zu wachen.

Das unruhige Wechselspiel von Feuerschein und Schatten auf Katyas Gesicht schien wiederzugeben, was in ihr vorgehen mochte. Als Frau, weit gereist und weltgewandt, war sie unter das Dach zurückgekehrt, unter dem sie zu einem jungen Mädchen herangewachsen war. Dieses Menschenkind, das ein unbarmherziger Wind damals an Siljas Türschwelle geweht hatte wie ein zu früh vom Baum gefallenes Blatt.

Silja drückte einen Kuss auf Katyas Haar, schwarz glänzend wie die Nacht.

»Lass dir hier alle Zeit, die du brauchst.«

8

Manche Wahrheiten waren zu wuchtig, um auf einen Bogen Papier zu passen. Zu sperrig, um sich mit Tinte und Feder einfangen zu lassen. Das hatte Katya schon gewusst, bevor sie hierhergekommen war.

Einige Wahrheiten verlangten nach dem Schutz der Nacht, der trauten Zweisamkeit am Feuer. Andere wiederum brauchten mehr Zeit. Wie ein Gletscher, der sich langsam zurückzieht und dabei freigibt, was in seinem Eis eingeschlossen war. Bis es so weit war, fügte Katya sich nahtlos in den Alltag zwischen Wäschezuber und Putzeimer ein.

Zwei zupackende Hände mehr im Haus kamen gerade recht. Mittlerweile strömten die Händler schon früher im Jahr nach Tromsø, um sich die Ausbeute des Walfangs zu sichern. Neu gebaute Lagerhäuser beschäftigten zugezogene Arbeiter, die dankbar waren, wenn sie sich mit einer kräftigen Mahlzeit stärken konnten. An manchen Tagen glich das Gästehaus einem Taubenschlag.

Eine Schürze umgebunden und in Strohpantinen, scherzte Katya mit Jorunn über die Unordnung in den Zimmern und schwatzte mit Line beim Abwasch, immer bereit, gleich an Ort und Stelle die zerrissene Jacke eines Gastes zu flicken oder einen verloren gegangenen Hemdknopf zu ersetzen. Keinen Augenblick vermisste sie das Kontor in Hamburg, das noch nach frischer Farbe roch.

Das Beste an ihrem Geschäft mit dem Eis waren ohnehin die frostigen Wochen am Voroninvatnet, ihrem See im Süden Norwegens. Sie liebte es, in der klirrenden Kälte mit den Männern das Eis des Sees zu ernten und ein Auge darauf zu haben, dass es unbeschadet im Bauch des Frachters nach Hamburg gelangte. Gutes Eis war es in diesem Jahr wieder gewesen, glasklar, hart und stark. Sorgfältig in Torf und Sägemehl eingepackt, würde es seine Weiterfahrt nach London und sogar nach Indien ohne allzu große Verluste überstehen. Der Preis dafür war längst ausgehandelt, die Verkäufe besiegelt und die Verschiffung geplant. Für Katya gab es daran nichts mehr zu tun.

Leichten Herzens hatte sie in diesem Jahr darauf verzichtet, ihr Eis bis ans Ende der Welt zu begleiten. Auf die Monate auf dem Ozean, die sie jedes Mal aufs Neue ersehnte, kaum dass sie nach Hamburg zurückgekehrt war. Die zwei bis drei Wochen auf indischem Boden, wo für sie alles nach den fremden Speisen roch und schmeckte, die sie zu Hause nie genauso hinbekam, weil in der Ferne alle Zutaten von einer anderen Sonne getränkt waren, von einem anderen Boden, anderer Luft gewürzt. Während Madras unter der Tropenhitze simmerte und schwitzte, warteten jenseits der Stadt neue Landstriche darauf, von Katya entdeckt zu werden. In Werkstätten, die nach Safran und Kurkuma, Henna und Indigo rochen, nach Sesamöl und Granatapfelschalen, ließen sich Stoffe finden, die nicht nur im gleißenden Licht Indiens ihre Wirkung entfalteten, sondern auch unter dem gedämpften Himmel Europas. Ebenso Felle, Federn und Leder, die in Hamburg für gutes Geld ihre Abnehmer fanden. Geschäfte, die Katya in einer bruchstückhaften Mischung aus Tamil und Englisch abschloss, nicht selten bei einem Becher Gewürztee, bei einem kleinen Imbiss auf dem nackten Boden vor dem Dungfeuer.