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Benommen blieb sie liegen, in Matsch und Kuhfladen, während höhnisches Gelächter auf sie herabregnete.

Zwischen den Grashalmen schimmerte es kupfern, die Viertelstüver aus ihrer Schürzentasche. Unerreichbar für Betje; ein grober Jungenstiefel trat ihre ausgestreckte Hand in den feuchten Grund.

Riesenhaft zeichnete sich Clas gegen die Frühlingssonne ab und beäugte sie wie lästiges Ungeziefer.

»Du stinkst«, sagte er fast freundlich, als wäre es ein guter Ratschlag.

»Wanschick«, spuckte Gunne aus; feucht spritzte es in Betjes Gesicht.

Missgeburt.

Auf einen Wink von Clas hin klaubte Eike die Münzen auf. Wie Saatkrähen aus einem Acker stoben die drei davon, und ihr Johlen schlug über dem Blöken der Schafe zusammen.

Betje saß noch immer in der Wiese, neben sich das aufgeplatzte Päckchen Salz. Sie hatte versucht, die verstreuten Körnchen zusammenzufegen und auszusieben, aber auch dafür brauchte man zwei gesunde Hände.

Ihre Beine schienen lahm wie ihr Arm. Sie wusste nicht, was sie zu Hause der Tante sagen sollte, nachdem sie vorgestern schon den Milchkrug zerbrochen hatte und sowieso kaum Geld da war.

Matte Geerds hatte zum Ende des Winters sein Gehöft verkauft. Tamme Janssen und Fokke Dirks würden es ihm wohl gleichtun, dabei saßen sie auf gutem Boden, mit fettem Vieh. Dass die Zeiten allmählich besser wurden, lange nach dem Krieg, kam zu spät für die lüttje Lü , die kleinen Leute des Landstrichs.

Arm wie Geestbauern seien sie geworden, murrte der Onkel oft über dünn gebutterten Scheiben Schwarzbrot zu immer schwächerem Tee. Der einstige Stolz, ein Bauer des fruchtbaren Marschlands zu sein und nicht der kargen Geest, war längst verschlissen. Vielleicht würde auch er aufgeben müssen.

Glück im Unglück hatte, wer mit Frau und Kindern auf einem der größeren Höfe als Gesinde unterkam. Der Onkel und die Tante redeten in diesem Frühling häufiger darüber, die Stimmen rau und Sorgenfalten auf der Stirn.

Betje betrachtete ihre erdverschmierten Hände, zupackend die eine, schmächtig und kraftlos die andere.

Welcher Bauer würde sie denn auf seinem Hof brauchen können? Zu mehr als auf die Lüttjen aufzupassen, Gänse zu hüten oder Maikäfer von den Feldern zu sammeln taugte sie nicht. Mit Nadel und Faden war sie hoffnungslos ungeschickt, und um Teig zu kneten, Wäsche zu waschen, Rüben zu schneiden brauchte sie doppelt so lang wie andere. Sogar Sontje konnte es besser, die Kleinste auf dem Gehöft, mit ihren fünf Jahren gerade einmal halb so alt wie Betje.

Wer sich sein Brot nicht selbst verdiente oder jemanden hatte, der für ihn sorgte, dem blieb nur das Armenhaus. War man einmal dort, kam man nie wieder heraus, sein Leben lang auf Almosen angewiesen.

Betjes Magen ballte sich schmerzhaft zusammen, doch ihre Augen blieben trocken. Das Weinen hatte die Tante ihr früh ausgetrieben, der Dorfkrüppel musste nicht auch noch eine Ziepeltrine sein.

Der Umriss eines Mannes schälte sich aus den Marschwiesen und näherte sich mit langen Storchenschritten. Niemand aus der Gegend, im Kirchspiel kannte jeder den anderen von klein auf. Mit der Kiepe auf dem Rücken sicher ein fliegender Händler, wie sie ab und zu durch das Dorf kamen.

Hausieren war verboten, hatte der Onkel gesagt. Niemand scherte sich darum, die Frauen eilten trotzdem mit gerafften Röcken herbei, wenn ein solcher Höker sich den Höfen näherte. Auch die Tante, weil es Leinen und Drell sonst nur in der Stadt gab und Knöpfe und Messer billiger waren als bei Krämer Hennekes.

Unbeirrt hielt der Fremde auf sie zu, und obwohl Betje wusste, dass das Feuerleuchten auf ihrem Kopf sie weithin sichtbar machte, duckte sie sich tiefer ins Gras.

Er war kein Bursche mehr, aber auch noch nicht alt. Der Blick warm und freundlich, erinnerte das Gesicht mit den groben Poren an das Innere eines Brotlaibs.

Grüßend tippte er an die Kappe.

»Weißt du, wo es nach Swindorp geht?«

Auch seine Mundart war eine andere. Betje hatte Mühe, ihn zu verstehen. Sie schüttelte den Kopf, an den Rändern des Kirchspiels endete ihre Welt.

Der Höker lachte. »Macht nichts. Ein Dorf ist so gut wie das andere.«

Er setzte die sichtlich schwere Kiepe ab und ließ sich in der Wiese nieder, nur ein kleines Stück von Betje entfernt, wie selbstverständlich. Die Kappe warf er von sich und wischte sich mit seinem Halstuch über das gerötete Gesicht und den Nacken. Der Wind, der das Gras durchkämmte, war frisch, die Sonne aber schon kräftig.

»Wie sind die Dörfler hier? Die Bauern?«

Betje kannte nur deren scheele Blicke. Das Getuschel und das abfällige Zungenschnalzen hinter ihrem Rücken. Die befremdliche und manchmal feindselige Stille dazwischen, so dick, dass man sie beinahe schneiden konnte.

Unschlüssig hob sie ihre gesunde Schulter.

Der Fremde nickte, als wüsste er genau, was Betje meinte. Mit gespreizten Fingern fuhr er durch seine sperlingsbraunen Haare, wie um seine Gedanken zu ordnen, und hielt dann das Gesicht in den Wind. Als hätte er alle Zeit der Welt, fast andächtig. Es schien ihn nicht zu stören, dass Betje einen verkrüppelten Arm hatte und noch dazu nach Kuhmist stank.

»Ist sicher nicht leicht hier«, sagte er nach einer Weile leise, »wenn man anders ist.«

Weich wie Lammfell war seine Stimme. Nicht bedauernd, sondern als ob er verstand, wirklich verstand, wie es Betje erging. Von einer solch unerwarteten Tröstlichkeit, dass ihre Augen heiß wurden.

Lächelnd hielt er ihr seine Rechte hin. »Ich bin Joost.«

Niemand hatte Betje je die Hand gegeben, nicht einmal der Pastor sonntags nach der Kirche. Als ob eine Seuche von ihr ausging oder ein böser Zauber.

Verstohlen strich sie über ihren Rock, bevor sie ihre Finger zaghaft in die Männerhand legte.

»Betje.«

»Freut mich, Betje.« Sein Händedruck war behutsam. »Ist kurz für Elisabeth, nicht wahr? Ein schöner Name. Wie gemacht für dich.«

Betje errötete und zog ihre Hand zurück. Joosts Lächeln vertiefte sich.

»Musst du nicht in die Schule, kleine Betje?«

Betje schüttelte den Kopf. Mit der Schulpflicht nahm man es hier nicht genau. Schon gar nicht von Frühling bis Herbst, wenn auf den Höfen und Äckern jede Hand gebraucht wurde. Und wer das Schulgeld nicht aufbrachte, bei dem war auch kein Bußgeld zu holen. Das wusste der Büttel genauso wie der Lehrer, der dann eben sehen musste, wovon er lebte; arm wie ein Schulmeister sagte man schließlich nicht ohne Grund.

Joost lachte auf. »Für mich war das auch nichts, still sitzen und gehorchen. Die beste Schule ist das Leben, habe ich irgendwann festgestellt. Wenn man durch die Welt zieht, frei wie ein Vogel.«

Stumm auf einem Fleck auszuharren und sich möglichst klein zu machen, fiel Betje nicht schwer, das war das Leichteste überhaupt. Vielleicht wäre sie sogar gern zur Schule gegangen, hätten der Onkel und die Tante sie gelassen.

Den eindreiviertel Stüver, den Lesenlernen in der Woche kostete, hätte Betje gar nicht haben wollen. Worte waren hässlich und taten weh. Noch der harmloseste Ausdruck konnte von anderen zu einer scharfen Waffe geschmiedet werden, während er in Betjes Hand stumpf und brüchig blieb.

Das Einmaleins dagegen hätte sie gelockt. Allein schon um herauszufinden, ob es stimmte, was sie davon aufgesammelt und sich zusammengereimt hatte.

Betje zählte immer die Schafe auf den Weiden und versuchte auszurechnen, wie viele Hufe dort im Gras standen. Wie viele Schritte sie tagtäglich zwischen Haus und Stall und Scheune zurücklegte, das zählte sie, und wie viele sie ins Dorf brauchte. Sie zählte die Eier, die sie jeden Tag aus den Nestern der Hühner sammelte, und wie viele Pellkartoffeln abends am Tisch in den Mündern verschwanden. Die Zugvögel und Schäfchenwolken am Himmel und die Jungen, die die Hofkatze jedes Jahr warf, bevor der Onkel sie in einen Sack steckte und im Wassergraben ertränkte, taub für das Flehen seiner Mädchen. Wie viele Herzschläge zwischen dem Aufflackern eines Blitzes und dem Donnerkrachen verstrichen. Und vor dem Einschlafen zählte sie ihre eigenen Atemzüge, eingezwängt zwischen den warmen Leibern von Sontje, Momke und Hedwich.