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»Wäre toll, wenn du es schaffen könntest, mir bis um zwölf eine Antwort zu geben, Bjørn.«

»Wenn ich mich nicht irre, sitzt das ATF in Washington, D.C. Da ist es jetzt mitten in der Nacht.«

»Sie haben ein Büro bei Europol in Den Haag, soweit ich weiß. Versuch es da.«

»Okay. Hat Wyller eigentlich gesagt, warum er sich die Sachen besorgt hat?«

Harry starrte auf die Ampel. »Nein. Hast du den PC von Lenny Hell?«

»Tord hat ihn, er sollte jetzt im Heizungsraum sein.«

»Gut.« Voller Ungeduld versuchte Harry, das Rot in Grün zu starren.

»Harry?«

»Ja?«

»Ist dir schon mal der Gedanke gekommen, dass es eigentlich so aussah, als hätte Valentin seine Wohnung in aller Eile verlassen, möglicherweise unmittelbar, bevor Katrine und das Delta-Team zugeschlagen haben? Als wäre er im letzten Moment gewarnt worden?«

»Nein«, log Harry.

Es wurde grün.

Tord wies Harry langsam und gründlich in alles ein, während im Hintergrund die Kaffeemaschine gurgelte und prustete.

»Hier sind die E-Mails von Lenny Hell an Valentin. Aus der Zeit vor den Morden an Elise, Ewa und Penelope.«

Die E-Mails waren kurz. Nur die Namen der Opfer, Adresse und das für den Mord vorgesehene Datum. Und alle Mails endeten gleich. Instruktionen und Schlüssel liegen am vereinbarten Ort. Instruktionen nach dem Lesen verbrennen.

»Das sagt nicht viel«, sagte Tord. »Aber genug.«

»Hm.«

»Was?«

»Warum soll er die Instruktionen verbrennen?«

»Liegt das nicht auf der Hand? Vermutlich stand etwas darin, was Unbefugte zu Lenny führen könnte.«

»Aber die E-Mails auf seinem Computer hat er nicht gelöscht. Hat er sich diese Mühe nicht gemacht, weil er wusste, dass IT-Spezialisten wie du die ohnehin wieder rekonstruieren können?«

Tord schüttelte den Kopf. »Das ist heutzutage gar nicht mehr so einfach. Nicht wenn sowohl Absender als auch Empfänger die E-Mails richtig löschen.«

»Lenny wusste, wie man E-Mails richtig löscht. Warum hat er es dann nicht getan?«

Tord zuckte mit seinen breiten Schultern. »Weil er wusste, dass das Spiel ohnehin aus ist, wenn wir seinen PC haben?«

Harry nickte langsam. »Vielleich wusste Lenny von Anfang an, dass der Krieg, den er von seinem Bunker aus führte, eines Tages verloren sein würde. Und dass es dann an der Zeit für die Kugel im Kopf war.«

»Vielleicht.« Tord sah auf die Uhr. »Sonst noch etwas?«

»Weißt du, was Stilometrie ist?«

»Ja, wenn man einen bestimmten Schreibstil erkennt. Als nach dem Enron-Skandal mehrere Hunderttausend E-Mails im Netz veröffentlicht wurden, haben Forscher unter anderem versucht, mittels Analyse des Schreibstils etwas über die betrügerischen Absichten der Mailverfasser herauszufinden. Sie hatten dabei eine ziemlich hohe Trefferquote.«

Als Tord gegangen war, rief Harry in der Kriminalredaktion der VG an.

»Harry Hole hier. Kann ich mit Mona Daa sprechen?«

»Long time, Harry.« Harry erkannte die Stimme eines der älteren Kriminalreporter. »Ich würde dich sehr gerne verbinden, aber Mona Daa ist seit ein paar Tagen verschwunden.«

»Verschwunden?«

»Wir haben eine SMS gekriegt, dass sie ein paar Tage freinimmt und ihr Telefon abschaltet. Bestimmt vernünftig, das Mädchen hat sich im letzten Jahr echt den Arsch aufgerissen. Der Redakteur war trotzdem ziemlich angefressen, dass sie nicht erst gefragt, sondern einfach ein paar Zeilen geschickt hat. Tja, die Jugend von heute, oder was meinst du, Hole? Kann ich dir vielleicht weiterhelfen?«

»Nein, danke«, sagte Harry und legte auf. Einen Moment lang starrte er auf sein Handy, dann ließ er es in die Hosentasche gleiten.

Um Viertel nach elf hatte Bjørn Holm den Namen desjenigen, der die Ruger Redhawk nach Norwegen importiert hatte. Es war ein Seemann aus Farsund. Um halb zwölf telefonierte Harry mit der Tochter des Mannes, die sich gut an die Redhawk erinnern konnte, weil sie die mehr als ein Kilo schwere Waffe als kleines Mädchen einmal auf den großen Zeh ihres Vaters hatte fallen lassen. Sie hatte aber keine Ahnung, was aus der Waffe geworden war.

»Als Rentner ist Papa nach Oslo gezogen, um näher bei uns Kindern zu sein. Aber in seinen letzten Jahren war er krank und hat ziemlich seltsame Dinge gemacht. Unter anderem hat er ­alles Mögliche verschenkt. Das haben wir aber erst gemerkt, als wir das Erbe aufgeteilt haben. Ich habe den Revolver nie wiedergesehen. Es kann also sein, dass er auch den weggegeben hat.«

»Sie wissen aber nicht, an wen?«

»Nein.«

»Sie haben gesagt, dass er krank war? Ich nehme an, dass er an dieser Krankheit dann auch gestorben ist?«

»Nein, gestorben ist er an einer Lungenentzündung. Zum Glück ging das relativ schnell und ohne Schmerzen.«

»Tja. Können Sie mir sagen, um was für eine andere Krankheit es sich gehandelt hat? Und wer sein Arzt war?«

»Das war genau der Punkt. Wir wussten natürlich, dass er nicht ganz gesund war, aber Papa hat sich selbst immer noch als den großen, starken Seemann gesehen. Er fand es vermutlich so peinlich, was er hatte und zu wem er gegangen ist, dass er das vor uns geheim gehalten hat. Ich habe das alles erst auf seiner Beerdigung von einem seiner alten Freunde erfahren, dem er sich anvertraut hatte.«

»Wusste der Betreffende, bei wem Ihr Vater in Behandlung war?«

»Nein, Papa hat ihm nur den Namen der Krankheit genannt, keine Details.«

»Und die hieß?«

Harry notierte sich das Wort. Starrte auf die Buchstaben. Eines der wenigen Wörter des Medizinerlateins, die aus dem Griechischen stammen.

»Danke«, sagte er.

Kapitel 39

Donnerstagnacht

»Ich bin mir sicher«, sagte Harry im Dunkel des Schlafzimmers.

»Motiv?«, fragte Rakel und schmiegte sich an ihn.

»Othello. Oleg hatte recht. Es geht nicht um Eifersucht. Nicht in erster Linie. Es geht um Ehrgeiz.«

»Redest du noch immer von Othello? Und bist du dir wirklich sicher, dass wir das Fenster nicht zumachen sollten, es kann heute Nacht richtig kalt werden. Bis minus fünfzehn.«

»Nein.«

»Du bist dir nicht sicher, ob es richtig ist, das Fenster zu ­schließen, wohl aber, dass du weißt, wer der Architekt hinter den Vampiristenmorden ist?«

»Ja.«

»Und dir fehlt nur noch die kleine Bagatelle namens Beweis?«

»Exakt.« Harry zog sie an sich. »Und deshalb brauche ich ein Geständnis.«

»Dann bitte doch Katrine Bratt, ihn vorzuladen.«

»Ich habe doch gesagt, dass Bellman niemanden mehr an den Fall heranlässt.«

»Und was machst du dann?«

Harry starrte an die Decke und spürte die Wärme ihres Körpers. Würde das reichen, oder sollten sie das Fenster schließen?

»Ich verhöre ihn selbst. Ohne dass er weiß, dass es sich um ein Verhör handelt.«

»Darf ich dich als Juristin daran erinnern, dass ein inoffizielles Geständnis nur dir gegenüber wertlos ist?«

»Dann müssen wir dafür sorgen, dass nicht nur ich das zu hören bekomme.«

Ståle Aune drehte sich im Bett um und griff zum Telefon. Als er sah, von wem der Anruf kam, nahm er ihn entgegen. »Ja?«

»Ich dachte, du schläfst.« Harrys rauhe Stimme.

»Und du hast trotzdem angerufen?«

»Du musst mir helfen.«

»Noch immer dir und nicht euch?«

»Noch immer der Menschheit. Erinnerst du dich daran, dass wir über Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten gesprochen haben?«

»Ja.«

»Ich brauche deine Hilfe bei einer Affenfalle auf Hallsteins Disputation.«

»Ach ja? Und wer ist daran beteiligt? Du, ich, Hallstein und wer noch?«

Ståle Aune hörte Harry tief Luft holen.