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»Tinder-User treffen sich meistens in Kneipen«, kam es aus unerwarteter Richtung.

Katrine blickte überrascht auf. Truls Berntsen.

»Wenn sie ihr Telefon bei sich hatte, müssen wir doch nur die Basisstationen checken und dann die Kneipen in der Gegend abklappern, in denen sie gewesen sein kann.«

»Danke, Truls«, sagte Katrine. »Die Basisstationen haben wir bereits. Stine?«

Eine der Analytikerinnen richtete sich auf und räusperte sich. »Laut Auskunft von Telenor ist Elise Hermansen zwischen halb sieben und sieben am Youngstorget aufgebrochen. Da arbeitet sie. Sie ist dann in Richtung Bentsebrua gegangen. Danach …«

»Die Schwester hat gesagt, dass Elise in das Fitnessstudio Myrens Verksted geht«, warf Katrine ein. »Und die haben bestätigt, dass Elise um 19 Uhr 32 gekommen und um 21 Uhr 14 wieder gegangen ist. Entschuldige, Stine.«

Stine lächelte etwas steif. »Danach hat Elise sich im Bereich ihrer Wohnung aufgehalten, wo sie – oder wenigstens ihr Telefon – war, bis sie gefunden wurde. Das Signal wurde allerdings auch von einigen angrenzenden Basisstationen aufgefangen, woraus man schließen könnte, dass sie draußen war, aber sicher nicht mehr als ein paar hundert Meter von ihrer Wohnung in Grünerløkka entfernt.«

»Na super, dann lasst uns durch die Kneipen ziehen«, sagte Katrine.

Sie erntete ein abgehackt schnaubendes Lachen von Truls und ein breites Grinsen von Anders Wyller. Die anderen schwiegen.

Hätte schlimmer laufen können, dachte sie.

Das Telefon, das vor ihr lag, begann sich vibrierend über den Tisch zu schieben.

Auf dem Display sah sie Bjørns Nummer.

Falls es um weitere Ergebnisse bei den technischen Spuren ging, wäre es gut, wenn sie die anderen darüber in Kenntnis setzte. Andererseits hätte er dann vermutlich eher seine Kollegin von der Kriminaltechnik informiert, die im Raum saß, und nicht Katrine. Der Anruf konnte also auch privat sein.

Sie wollte ihn gerade wegdrücken, als ihr bewusst wurde, dass Bjørn über die Besprechung Bescheid wusste, so etwas vergaß er nie.

Sie nahm das Gespräch an und drückte das Telefon ans Ohr. »Die Ermittlergruppe hat gerade Besprechung, Bjørn.«

Sie bereute, das Telefonat angenommen zu haben, als sie die Blicke der anderen auf sich spürte.

»Ich bin in der Rechtsmedizin«, sagte Bjørn. »Wir haben gerade das Resultat des Schnelltests von diesem durchsichtigen Sekret erhalten, das sie auf dem Bauch hatte. Es enthält keine menschliche DNA.«

»Mist«, rutschte es Katrine heraus. Diesen Aspekt hatte sie die ganze Zeit im Hinterkopf gehabt. Wäre es Sperma gewesen, hätten sie den Fall innerhalb der magischen 48-Stunden-Grenze aufklären können. Die Erfahrung zeigte, dass es danach deutlich schwieriger wurde.

»Aber das Ergebnis deutet darauf hin, dass er trotzdem Geschlechtsverkehr mit ihr hatte«, sagte Bjørn.

»Inwiefern?«

»Bei der Substanz handelt es sich um Gleitmittel. Vermutlich von einem Kondom.«

Katrine fluchte innerlich. Und aus den Blicken der anderen konnte sie schließen, dass aus dem, was sie gesagt hatte, noch nicht hervorging, dass das Gespräch nicht privater Natur war. »Du meinst also, der Täter hat ein Kondom benutzt?«, fragte sie laut und deutlich.

»Er oder wen auch immer sie gestern Abend getroffen hat.«

»Okay, danke.« Sie wollte das Gespräch beenden, hörte Bjørn aber ihren Namen rufen, bevor sie auflegen konnte.

»Ja?«, sagte sie.

»Das ist eigentlich gar nicht der Grund meines Anrufs.«

Sie schluckte. »Bjørn, wir sind mitten in der …«

»Die Tatwaffe«, sagte er. »Ich glaube, ich habe herausgefunden, um was es sich dabei handelt. Kannst du dafür sorgen, dass die Gruppe noch zwanzig Minuten zusammenbleibt?«

Er lag in seiner Wohnung auf dem Bett und studierte im Handy die Online-Zeitungen. Mittlerweile hatte er alle durch. Es war enttäuschend, sie hatten keine Details genannt und nichts berichtet, was auf den künstlerischen Wert hindeutete. Entweder weil die leitende Ermittlerin, Katrine Bratt, ihnen nichts sagen wollte oder weil sie nicht in der Lage waren, die Schönheit in dem Ganzen zu erfassen. Er, der Polizist mit dem Mörderblick, hätte es gesehen. Und obgleich er es, ähnlich wie Bratt, nicht an die große Glocke gehängt hätte, hätte er es wenigstens zu schätzen gewusst.

Er musterte Bratts Foto, das dem Artikel beigefügt war.

Sie war hübsch.

Mussten bei Pressekonferenzen keine Uniformen getragen werden? Wenn doch, hatte sie sich darüber hinweggesetzt. Dar­auf geschissen. Sie gefiel ihm. Er stellte sie sich in Uniform vor.

Sehr hübsch.

Leider stand sie nicht auf seiner Agenda.

Er legte das Handy weg und fuhr mit der Hand über sein Tattoo. Manchmal fühlte es sich fast lebendig an, als wollte es heraus. Dann war die Haut auf seiner Brust zum Bersten gespannt.

Ihm wäre das egal.

Er spannte die Bauchmuskeln an und stand vom Bett auf, ohne die Arme zu benutzen. Betrachtete sich im Spiegel des Schranks. Er hatte im Gefängnis trainiert. Nicht im Trainingsraum, es war undenkbar für ihn gewesen, auf Matten und Bänken zu trainieren, die andere mit Schweiß getränkt hatten. Er hatte in der Zelle trainiert. Nicht die Muskeln, sondern die wahren Kräfte: Ausdauer. Körperspannung. Balance. Die Fähigkeit, Schmerz zu ertragen.

Seine Mutter hatte einen kräftigen Körperbau gehabt. Einen fetten Arsch. Und zum Schluss hatte sie sich gehenlassen. War schwach gewesen. Er wollte den Körperbau und die Konstitution seines Vaters. Die Kraft.

Er schob die Schranktür zur Seite.

Dort hing seine Uniform. Er fuhr mit der Hand über den Stoff. Bald würde sie zum Einsatz kommen.

Er dachte an Katrine Bratt. In Uniform.

Heute Abend wollte er in eine Bar gehen. In eines der hippen ­Lokale mit vielen Menschen, nicht in eine wie die Jealousy Bar. Es war ein Verstoß gegen die Regeln. Eigentlich ging er nur raus, um einzukaufen, das Dampfbad zu besuchen oder um sich um seine Agenda zu kümmern. Er würde darauf achten, seine An­onymität zu wahren. Er musste mal raus, er brauchte das, um nicht verrückt zu werden. Er lachte leise. Verrückt. Die Psychologen rieten ihm, zum Psychiater zu gehen. Und er wusste natürlich, was sie damit meinten: dass jemand ihm Medikamente verschreiben sollte.

Er nahm ein Paar frisch geputzte Cowboystiefel aus der Schuhablage und schaute die Frau ganz hinten im Schrank an. Sie wurde von dem Haken, der hinter ihr in der Wand befestigt war, aufrecht gehalten. Ihr Blick glitt starr zwischen den Anzügen hindurch. Sie roch schwach nach dem Lavendelparfüm, das er ihr auf die Brüste gestrichen hatte. Er machte die Tür zu.

Verrückt? Das waren doch alles inkompetente Idioten, einer schlimmer als der andere. Er hatte in einem Lexikon die Definition für Persönlichkeitsstörung nachgeschlagen, angeblich eine psychische Krankheit, die zu »Schwierigkeiten und hohem Leidensdruck bei der betroffenen Person oder ihrer Umgebung führt«. Okay. In seinem Fall betraf das dann ausschließlich die Umgebung. Er hatte exakt die Persönlichkeit, die er haben wollte. Und, wenn es etwas zu trinken gab, was war dann – rein rational betrachtet – normaler und naheliegender, als Durst zu haben? Er schaute auf die Uhr. In einer halben Stunde war es dunkel genug.

»Das hier haben wir an den Rändern der Wunde am Hals ge­funden«, sagte Bjørn und zeigte auf die Leinwand. »Die drei Splitter links sind rostiges Eisen, der eine auf der rechten Seite ist schwarze Farbe.«

Katrine hatte sich zu den anderen gesetzt. Bjørn war außer Atem angekommen, seine blassen Wangen glänzten noch immer vor Schweiß.

Er tippte etwas in seinen Laptop, und eine Nahaufnahme des geschundenen Halses erschien auf der Leinwand.

»Wie ihr sehen könnt, haben die Einstiche im Hals eine Struktur, etwa wie ein menschlicher Zahnabdruck, aber diese Zähne hier müssen messerscharf gewesen sein.«