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»Du hast ihn danach zurückbekommen.«

Im Saal breitete sich eine zunehmende Unruhe aus, es wurde gemurmelt, und die Anwesenden rutschten auf ihren Stühlen hin und her.

Der Dekan stand auf und hob die Arme, um die Leute zur Ruhe zu mahnen. In seinem Talar sah er aus wie ein Hahn, der die Flügel ausbreitete. »Entschuldigen Sie, Herr Hole, aber das ist eine Disputation hier. Wenn Sie Fragen zu einem Polizeifall haben, möchte ich Sie bitten, den üblichen Weg zu gehen und diese nicht hier in der Universität zu stellen.«

»Herr Dekan, verehrte Prüfer«, sagte Harry. »Ist es für die ­Bewertung dieser Doktorarbeit nicht von grundlegender Be­deutung, ob die Arbeit auf einer missverstandenen Fallstudie basiert? Sind es nicht gerade solche Fragen, die bei einer Disputation geklärt werden müssen?«

»Herr Hole«, begann der Dekan mit donnernder Stimme.

»… hat recht«, sagte Ståle Aune in der ersten Reihe. »Verehrter Vorsitzender, als Mitglied der Prüfungskommission interessiert es mich sehr, was Hole den Doktoranden fragen will.«

Der Dekan starrte Aune an. Dann Harry. Und zum Schluss Smith. Schließlich nahm er wieder Platz.

»Nun«, sagte Harry. »Dann möchte ich den Doktoranden fragen, ob er Lenny Hell in dessen Haus als Geisel gehalten hat und ob er es war und nicht Hell, der Valentin Gjertsen ferngesteuert hat?«

Ein beinahe lautloses Raunen ging durch den Raum, gefolgt von einer Stille, die so drückend war, als wäre keine Luft mehr im Raum.

Smith schüttelte ungläubig den Kopf. »Das ist ein Witz, oder? Harry? Das habt ihr euch im Heizungsraum ausgedacht, um diese Disputation besonders spannend zu machen, oder?«

»Ich schlage vor, dass du uns eine Antwort auf diese Frage gibst, Hallstein.«

Vielleicht ließ der Gebrauch des Vornamens Smith erkennen, dass Harry es ernst meinte. Katrine glaubte jedenfalls erkennen zu können, dass Smith irgendetwas klarwurde.

»Harry«, sagte er leise. »Ich war vor diesem Sonntag, an dem du mich dorthin mitgenommen hast, nie in Hells Haus.«

»Doch, das warst du«, sagte Harry. »Du hast zwar daran gedacht, all die Stellen abzuwischen, an denen du Fingerabdrücke oder DNA-Material hättest hinterlassen können. Aber einen Ort hast du vergessen. Die Wasserleitung.«

»Die Wasserleitung? Wir haben an diesem verfluchten Sonntag doch alle unsere DNA an dieser Wasserleitung hinterlassen, Harry!«

»Du nicht.«

»Doch, ich auch! Frag Bjørn Holm, er sitzt neben dir.«

»Bjørn kann bestätigen, dass deine DNA an der Wasserleitung war, nicht aber, dass du sie an diesem Sonntag dort hinterlassen hast. Denn am Sonntag bist du nach unten in den Keller gekommen, als ich schon dort war. Lautlos, ich habe dich nicht kommen gehört, erinnerst du dich? Lautlos, weil du dir deinen Kopf eben nicht angeschlagen hast. Du hast dich geduckt. Weil dein Hirn sich erinnert hat.«

»Das ist lächerlich, Harry. Ich habe mir am Sonntag den Kopf gestoßen, ich habe dabei nur kein Geräusch gemacht.«

»Vielleicht weil du die hier getragen hast. Sie hat dich geschützt.« Harry zog eine schwarze Mütze aus der Tasche und setzte sie sich auf. Vorne war ein weißer Totenkopf zu erkennen, und Katrine las den Schriftzug St. Pauli. »Also, wie kann man DNA hinterlassen, also Blut, Haut oder Haare, wenn man die hier tief in die Stirn gezogen hat?«

Hallstein Smith blinzelte mehrmals.

»Der Doktorand antwortet nicht«, sagte Harry. »Lassen Sie mich für ihn antworten. Hallstein Smith hat sich den Kopf gestoßen, als er zum ersten Mal in diesem Keller war, aber das ist lange her, das war noch bevor der angebliche Vampirist begonnen hatte, sein Unwesen zu treiben.«

Wieder wurde es still, nur Hallstein Smiths leise glucksendes Lachen war zu hören.

»Bevor ich dazu etwas sage«, begann Smith, »sollten wir, denke ich, dem früheren Hauptkommissar Harry Hole für seine phantasievolle Geschichte applaudieren.«

Smith begann zu klatschen, und einige wenige fielen ein, bevor das Klatschen wieder erstarb.

»Damit das aber mehr als nur eine Geschichte ist, braucht es dasselbe wie bei einer Doktorarbeit«, sagte Smith. »Beweise! Und die hast du nicht, Harry. Deine ganze Schlussfolgerung beruht auf zwei höchst zweifelhaften Annahmen. Dass eine sehr alte Waage in einem Stall genau das richtige Gewicht anzeigt, auch wenn jemand nur für ein paar Sekunden draufsteht. Eine Waage, von der ich dir versichern kann, dass sie immer wieder verrücktspielt. Und zweitens, dass ich aufgrund einer Mütze an jenem Sonntag keine DNA an der Wasserleitung hinterlassen haben kann. Eine Mütze, die ich abgenommen habe, bevor ich in den Keller gegangen bin, bevor ich mir den Kopf gestoßen habe, um sie unten dann wieder aufzusetzen, weil es dort kälter war als oben. Dass ich jetzt keinen Kratzer mehr auf der Stirn habe, liegt bloß daran, dass ich gutes Heilfleisch habe. Meine Frau kann bestätigen, dass ich eine Wunde an der Stirn hatte, als ich nach Hause gekommen bin.«

Katrine sah, wie die Frau mit dem selbstgenähten erdfarbenen Kleid ihren Mann mit schwarzen, ausdruckslosen Augen anstarrte, als stünde sie unter Schock.

»Nicht wahr, May?«

Der Mund der Frau öffnete und schloss sich. Dann nickte sie langsam.

»Sehen Sie, Harry?« Smith legte den Kopf schief und sah Harry mit besorgtem, mitleidigem Blick an. »Siehst du, wie einfach es ist, deine Theorie auseinanderzunehmen?«

»Nun«, sagte Harry. »Ich respektiere die Loyalität deiner Frau, aber ich fürchte, der DNA-Beweis ist nicht zu widerlegen. Die Analyse des Rechtsmedizinischen Instituts hat nicht nur nachgewiesen, dass es sich um deine DNA gehandelt hat, sondern auch, dass diese mehr als zwei Monate alt ist. Sie kann also unmöglich an diesem Sonntag dort hingekommen sein.«

Katrine zuckte auf ihrem Stuhl zusammen und sah zu Bjørn. Er erwiderte ihren Blick und schüttelte kaum sichtbar den Kopf.

»Deshalb, Smith, ist es keine bloße Theorie, dass du irgendwann im Herbst in Hells Keller gewesen bist. Es ist eine Tat­sache. Wie es auch eine Tatsache ist, dass die Ruger in deinem Besitz war und sich in deinem Büro befunden hat, als du den unbewaffneten Valentin Gjertsen angeschossen hast. Dazu kommt dann noch diese Stilometrie-Analyse.«

Katrine starrte auf die verknitterte gelbe Mappe, die Harry aus dem Sakko gezogen hatte. »Es gibt ein Computerprogramm für Stilometrie, das Wortwahl, Satzbau, Textstruktur und Zeichensetzung analysieren kann, um den Verfasser eines Textes zu identifizieren. So lässt sich zum Beispiel nachweisen, welche Stücke tatsächlich von Shakespeare stammen und welche nicht. Die Trefferquote für den richtigen Verfasser liegt allerdings nur bei über achtzig Prozent. Also nicht hoch genug, um als Beweis zu dienen. Aber die Quote, um bestimmte andere Schreiber auszuschließen, zum Beispiel Shakespeare, liegt bei neunundneunzig Komma neun Prozent. Unser IT-Experte Tord Gren hat mit dem Programm die E-Mails, die an Valentin geschickt wurden, mit denen verglichen, die Lenny Hell an andere geschickt hat. Ins­gesamt an die tausend E-Mails. Die Schlussfolgerung lautet«, Harry reichte Katrine die Mappe, »dass Lenny Hell die Instruk­tionen, die Valentin Gjertsen per Mail erhalten hat, nicht verfasst haben kann.«

Smith starrte Harry an. Seine zur Seite gekämmten Haare waren ihm in die verschwitzte Stirn gerutscht. »Das können wir dann bei der anstehenden Polizeivernehmung besprechen«, sagte Harry. »Hier und heute haben wir es ja mit einer Disputation zu tun. Du hast noch immer die Möglichkeit, der Prüfungskommission eine Erklärung zu liefern, damit du den Doktortitel erhältst. Das stimmt doch so, Aune?«

Ståle Aune räusperte sich. »Das ist richtig. Die Wissenschaft ist blind für die Moral der jeweiligen Zeit, und es wäre nicht die erste Doktorarbeit, die mittels moralisch zweifelhafter oder geradezu ungesetzlicher Winkelzüge fertiggestellt wurde. Was wir in der Prüfungskommission wissen müssen, bevor wir die Arbeit möglicherweise anerkennen, ist, ob Valentin nun von jemandem angeleitet wurde oder nicht. Sollte das nicht der Fall sein, bezweifle ich, dass wir die Arbeit anerkennen können.«