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»Ja. Oder nein.«

»Ja oder nein?«

Mehmet dachte nach. Vorbestrafte Kredithaie in die Sache hin­einzuziehen, würde sicherlich zu Schwierigkeiten führen. Diesen Trumpf musste er zurückhalten, bis er ihn wirklich brauchte.

»Nein, ich wohne allein.«

»Danke.« Bratt hob das Glas. Mehmet dachte erst, sie würde ihm damit zuprosten, doch sie deutete nur in Richtung Kasse.

»Wir trinken lokalen Apfelsaft, während Sie suchen, okay?«

Truls arbeitete seine Kneipen und Restaurants im Schnelldurchgang ab. Er hatte allen Barkeepern und Kellnern das Foto gezeigt und die Lokale verlassen, sobald er die vorhersehbaren Antworten erhalten hatte. »Nein« oder »Weiß nicht«. Was man nicht weiß, weiß man nicht, und dieser Tag war nun wirklich schon lang genug. Außerdem hatte er noch etwas anderes zu erledigen.

Truls hämmerte einen abschließenden Punkt in die Tastatur und überflog noch einmal seinen kurzen, aber schlüssigen Bericht, wie er fand. »Siehe beigefügte Liste der besuchten Kneipen mit Angabe der Uhrzeit meines Besuchs. Keiner der An­gestellten hat ausgesagt, Elise Hermansen am Mordabend gesehen zu haben. Truls Berntsen.« Er klickte auf Senden und stand auf.

Ein leises Brummen ertönte, und das Lämpchen am Festnetztelefon begann zu blinken. Die Nummer der Kriminalwache erschien auf dem Display. Dort gingen die Hinweise ein, aber weitergeleitet wurden nur diejenigen, die einigermaßen relevant erschienen. Verdammt, er hatte jetzt echt genug für heute. Er könnte so tun, als hätte er den Anruf nicht bemerkt. Andererseits … wenn das tatsächlich ein wichtiger Hinweis war, half ihm das vielleicht auch bei seiner privaten Agenda.

Er nahm das Gespräch an.

»Berntsen.«

»Endlich! Keiner meldet sich, wo sind die denn?«

»Die ziehen durch die Kneipen.«

»Müsst ihr nicht einen Mord aufklären …?«

»Um was geht’s?«

»Ich habe hier einen Mann, der sagt, gestern Abend mit Elise Hermansen zusammen gewesen zu sein.«

»Stellen Sie ihn durch.«

Es klickte, und dann hörte Truls das hektische, schnelle Atmen eines Mannes, der ganz offensichtlich Angst hatte.

»Kommissar Berntsen, Dezernat für Gewaltverbrechen. Was kann ich für Sie tun?«

»Mein Name ist Geir Sølle. Ich habe das Foto von Elise Hermansen in der Onlineausgabe der VG gesehen. Ich melde mich, weil ich gestern Abend ein kurzes Date mit einer Frau hatte, die ihr ähnlich sah. Und die sich Elise genannt hat.«

Geir Sølle brauchte fünf Minuten, um über sein Treffen in der Jealousy Bar zu berichten. Er gab an, anschließend nach Hause gegangen zu sein, noch vor Mitternacht. Truls erinnerte sich vage, dass die pinkelnden Jungs Elise um 23.30 Uhr gesehen hatten. Da war sie also noch am Leben gewesen.

»Kann jemand bestätigen, wann Sie nach Hause gekommen sind?«

»Das Logfile auf meinem PC. Und Kari.«

»Kari?«

»Meine Frau.«

»Sie haben Familie?«

»Frau und Hund.« Truls hörte den Mann schlucken.

»Warum haben Sie nicht eher angerufen?«

»Ich habe das Foto erst jetzt gesehen.«

Truls machte sich eine Notiz und fluchte. Das war nicht der Täter, nur wieder jemand, den sie ausschließen mussten, und das bedeutete, dass er noch einen Bericht schreiben musste und erst gegen zehn zu Hause sein würde.

Katrine lief über den Markveien. Sie hatte Anders Wyller nach Hause geschickt. Sein erster Arbeitstag war lang genug gewesen. Sie lächelte bei dem Gedanken, dass er sich an diesen Tag sein Leben lang erinnern würde. Aus dem Büro direkt zu einem Tatort – und keinem alltäglichen. Der Mord an Elise Hermansen war kein trauriger Drogenmord, den die Leute am nächsten Tag vergessen hatten, sondern eine Tat aus der Kategorie Das-könnte-ich-gewesen-sein, wie Harry es nennen würde. Also ein Mord an einem normalen Menschen in einer ganz normalen Umgebung. Solche Taten führten zu vollbesetzten Pressekonferenzen und fetten Schlagzeilen auf den Titelseiten. Weil das Alltägliche den Menschen die Möglichkeit gab, Mitgefühl zu zeigen und sich zu identifizieren. Aus demselben Grund wurde über ­einen Terroranschlag in Paris auch mehr berichtet als über einen in Beirut. Und Presse bedeutete Druck. Deshalb wollte Polizeipräsident Bellman auch jederzeit auf den neuesten Stand gebracht werden. Weil er den Journalisten Rede und Antwort stehen musste. Nicht sofort, aber wenn der Mord an einer jungen, hübschen Frau, noch dazu einer Stütze der Gesellschaft, nicht im Laufe der nächsten Tage aufgeklärt wurde.

Sie bräuchte zu Fuß eine halbe Stunde von hier zu ihrer Wohnung in Frogner, aber das war okay, sie musste ihren Kopf ein bisschen durchpusten lassen. Und ihren Körper. Sie nahm das Handy aus der Jackentasche und öffnete die Tinder-App. Konzentrierte sich mit einem Auge auf den Bürgersteig, mit dem anderen auf das Display. Wischte nach links und rechts.

Dann hatten sie also richtiggelegen mit der Annahme, dass Elise Hermansen von einem Tinder-Date nach Hause gekommen war. Der Mann, den der Barkeeper beschrieben hatte, schien harmlos, aber Katrine wusste aus eigener Erfahrung, wie gestört einige Männer waren, die glaubten, eine schnelle Nummer gäbe ihnen das Recht auf mehr. Sie hielten an der archaischen Vorstellung fest, dass der Geschlechtsakt weiblicher Unterwerfung gleichkam, die möglicherweise noch über das Sexuelle hinausging. Andererseits gab es sicher nicht weniger Frauen, die die ebenso archaische Vorstellung hatten, dass die Männer, die dankenswerterweise in sie eindrangen, ihnen fortan moralisch verpflichtet wären. Aber genug davon, gerade wurde ein Match angezeigt.

Ich bin zehn Minuten vom Nox am Solli plass entfernt, tippte sie.

Okay, dann bin ich schon da, erhielt sie als Antwort von Ulrich, dem Profilbild nach ein einfacher Mann.

Truls Berntsen blieb stehen und beobachtete Mona Daa, die sich selbst im Spiegel betrachtete.

Sie sah jetzt nicht mehr wie ein Pinguin aus, allenfalls wie ein in der Mitte eingeschnürter Pinguin. Truls hatte einen gewissen Widerstand gespürt, als er das betont sportlich gekleidete Mädel am Empfang des Gain Fitnessstudios bat, in die heiligen Hallen eingelassen zu werden, damit er sich einen Überblick über die zur Verfügung stehenden Geräte machen konnte. Vermutlich hatte sie ihm sein Interesse an einer Mitgliedschaft nicht ab­genommen, oder sie wollte jemanden wie ihn nicht als Mitglied haben. Es war aber auch denkbar, dass Truls nach einem langen Leben, in dem ihm immer wieder Verachtung begegnet war – manchmal aus gutem Grund –, nun in allen Gesichtern immer gleich Widerwillen zu sehen glaubte. Aber egal, nachdem er die Geräte für Bauch, Beine und Po, den Pilates-Saal und einen Spinningroom mit einer hysterisch engagierten Aerobictrainerin passiert hatte (Truls hatte eine vage Ahnung, dass das nicht mehr Aerobic hieß), fand er sie im Männerbereich. Im Gewichteraum beim Kreuzheben. Ein breiter Ledergürtel schnürte ihr die Taille zusammen und betonte die stämmigen, schulterbreit gestellten Beine, das ausladende Hinterteil und den muskulösen Oberkörper.

Sie stieß ein heiseres, beängstigendes Brüllen aus, als sie den Rücken streckte, die Stange ergriff und dabei ihr rot geflecktes Gesicht im Spiegel betrachtete. Die Gewichte schlugen aneinander, als sie sich vom Boden lösten. Die Stange bog sich nicht so stark, wie Truls es schon mal im Fernsehen gesehen hatte, aber dass es sich um reichlich Gewicht handelte, sah er den entgeisterten Mienen der beiden jungen Pakistani an. Sie standen in unmittelbarer Nähe und machten Bizepscurls, um die Oberarme für das Gangtattoo aufzupumpen. Verdammt, wie er diese Leute hasste. Verdammt, wie sie ihn hassten.

Mona Daa setzte die Stange ab. Brüllte und hob sie wieder hoch. Und noch einmal. Insgesamt vier Wiederholungen.

Anschließend stand sie zitternd da und lächelte wie die Verrückte aus Lier, wenn sie einen Orgasmus hatte. Wäre sie nicht so fett gewesen und hätte sie nicht so weit weg gewohnt, hätte aus ihm und ihr vielleicht sogar etwas werden können. Angeblich hatte sie ihn verlassen, weil sie sich in ihn verliebt hatte. Weil ihr einmal in der Woche zu wenig war. Damals war Truls ­erleichtert gewesen, aber heute dachte er hin und wieder an sie. Natürlich nicht so, wie er an Ulla dachte, aber sie war lustig gewesen und hatte wirklich was gehabt.