»Vielleicht«, sagte Jamie. Und doch … Und doch hatte er in den Monaten seit dem Aufbruch der Bugs mehr als einmal Blicke in seinem Rücken gespürt. Eine Stille im Wald gespürt, die nicht die Stille der Bäume und Felsen war.
Er fragte nicht, ob Ian nach der Spur des Axtschlächters gesucht hatte; wenn sie zu finden war, hätte Ian sie gefunden. Aber es hatte seit fast zwei Wochen nicht mehr geschneit, und an den Stellen, an denen noch Schneereste auf dem Boden lagen, waren sie von den Füßen unzähliger Menschen zertrampelt. Er blickte zum Himmel auf; wieder Schnee, und zwar bald.
Er stieg einen kleinen Felsen hinauf, vorsichtig, weil es glatt war; tagsüber schmolz der Schnee zwar, doch in der Nacht gefror das Wasser und hing in glitzernden Eiszapfen von den Traufen des Hauses und von jedem Ast, um den Wald im Morgengrauen mit blauem Licht zu erfüllen und es dann bei Sonnenaufgang Gold und Diamanten regnen zu lassen. Jetzt waren sie farblos und klirrten wie Glas, wenn sein Ärmel die Zweige eines vereisten Busches streifte. Auf der Spitze des Felsens machte er in der Hocke halt und spähte auf die Lichtung hinunter.
Nun gut. Die Gewissheit, dass Arch Bug hier war, hatte eine Kette halb bewusster Schlussfolgerungen ausgelöst, deren letztes Glied er nun in Worte fasste.
»Es gibt zwei Gründe, warum er hier sein könnte«, sagte er zu Ian. »Um mir etwas anzutun – oder um das Gold zu holen. Den ganzen Rest.«
Er hatte Bug ein Stück Gold gegeben, als er den Mann und seine Frau fortgeschickt hatte, nachdem er den Verrat der beiden entdeckt hatte. Es war ein halber französischer Goldbarren, von dem ein älteres Ehepaar bescheiden, aber bequem den Rest seines Lebens hätte fristen können. Doch Arch Bug war kein bescheidener Mensch. Er war einmal Landverwalter des Clanhäuptlings der Grants gewesen, und er hatte seinen Stolz zwar eine Zeit lang verborgen, doch auf die Dauer ließ sich Stolz nicht unterdrücken.
Ian sah ihn neugierig an.
»Den ganzen Rest«, wiederholte er. »Dann meinst du also, er hat es hier versteckt – aber an einer Stelle, die er nicht mehr einfach so erreichen konnte, nachdem du ihn verbannt hattest.«
Jamie zuckte mit einer Schulter und beobachtete die Lichtung. Nun, da das Haus fort war, konnte er den Pfad sehen, der dahinter steil bergauf führte zu der Stelle, an der einmal der Garten seiner Frau gestanden hatte, eingefasst von rotwildsicheren Palisaden. Einige der Palisaden standen noch schwarz vor dem Hintergrund aus fleckigem Schnee. Eines Tages würde er ihr einen neuen Garten anlegen, wenn Gott es wollte.
»Wenn er lediglich die Absicht hätte, mir etwas anzutun, hätte er oft genug Gelegenheit dazu gehabt.« Von hier aus konnte er das geschlachtete Schwein sehen, ein dunkler Umriss auf dem Weg, umringt von einer großen Pfütze aus Blut.
Er schob den plötzlichen Gedanken an Malva Christie von sich und zwang sich, seine Überlegungen fortzusetzen.
»Aye, er hat es hier versteckt«, wiederholte er, diesmal überzeugter. »Wenn er das Gold hätte, wäre er längst fort. Er hat gewartet, nach einer Möglichkeit gesucht, an das Versteck zu gelangen. Aber es ist ihm nicht unbemerkt gelungen – also versucht er es jetzt anders.«
»Aye, aber wie? Das da –« Ian wies kopfnickend auf den verschwommenen Umriss auf dem Weg. »Ich dachte, es wäre womöglich eine Falle, aber das ist es nicht. Ich habe es mir angesehen.«
»Vielleicht ein Köder?« Selbst er konnte den Blutgeruch wahrnehmen; er musste ein deutlicher Lockruf für jedes Raubtier sein. Kaum hatte er das gedacht, als ihm eine Bewegung in der Nähe des Schweins ins Auge fiel, und er legte Ian die Hand auf den Arm.
Ein zögerndes Flimmern, dann huschte eine kleine, geschmeidige Gestalt vorbei und verschwand hinter dem Kadaver des Schweins.
»Fuchs«, sagten beide Männer gleichzeitig und lachten dann leise.
»Da ist dieser Panther im Wald über der grünen Quelle«, sagte Ian skeptisch. »Ich habe gestern seine Spuren gesehen. Ob er vorhat, ihn mit dem Schwein anzulocken in der Hoffnung, dass wir alle angelaufen kommen, um ihn zu verjagen, sodass er an das Gold gelangen kann, während wir beschäftigt sind?«
Jamie runzelte die Stirn und blickte zur Hütte hinüber. Gewiss, ein Panther würde die Männer ins Freie locken – aber nicht die Frauen und Kinder. Und wo hätte er das Gold an einem Ort lassen sollen, an dem sich so viele Menschen drängten? Sein Blick fiel auf den langen, rundlichen Umriss von Briannas Brennofen, der sich ein Stück von der Hütte entfernt befand und seit ihrer Abreise nicht mehr benutzt worden war. Die Erregung durchfuhr ihn so heftig, dass er sich aufrichtete. Das wäre ja – doch nein; Arch hatte Jocasta das Gold barrenweise gestohlen, um es insgeheim nach Fraser’s Ridge zu bringen, und er hatte seinen Diebstahl lange vor Briannas Abschied begonnen. Aber vielleicht …
Ian erstarrte plötzlich, und Jamie wandte scharf den Kopf. Er konnte zwar nichts sehen, fing dann aber das Geräusch auf, das Ian gehört hatte. Tiefes Schweinegrunzen, ein Rascheln, ein Knacken. Dann konnten sie sehen, dass sich zwischen den geschwärzten Balken der Ruine etwas regte, und ein Licht ging ihm auf.
»Himmel!«, sagte er und fasste Ian so fest am Arm, dass sein Neffe erschrocken aufjaulte. »Es ist unter dem Haus!«
Die weiße Sau kam aus ihrem Bau unter der Ruine, ein gewaltiger, sahnig weißer Fleck in der Nacht, und sie bewegte den Kopf hin und her, um die Nachtluft zu wittern. Dann setzte sie sich in Bewegung, eine schwerfällige Bedrohung, die sich zielstrebig bergauf bewegte.
Jamie hätte am liebsten gelacht, so herrlich war das Ganze.
Listig hatte Arch Bug sein Gold unter dem Fundament des Haupthauses versteckt, immer wenn die Sau unterwegs war. Es wäre niemandem auch nur im Traum eingefallen, in das Reich der Sau einzudringen; sie war die perfekte Wächterin – und gewiss hatte er vorgehabt, das Gold auf dieselbe Weise – vorsichtig und barrenweise – auch wieder an sich zu bringen, wenn er zum Aufbruch bereit war.
Doch dann war das Haus abgebrannt, und die Balken waren über dem Fundament zusammengestürzt, sodass das Gold nur noch mit großem Aufwand zu erreichen war – was mit Sicherheit Aufmerksamkeit erregt hätte. Erst jetzt, da die Männer den Großteil des Schutts beiseitegeräumt und die ganze Lichtung mit Ruß und Holzkohle übersät hatten, war es wieder möglich, unbemerkt an das Versteck zu gelangen.
Doch es war Winter, und die weiße Sau hielt zwar keinen Winterschlaf wie ein Bär, doch sie verharrte schön in ihrer gemütlichen Höhle – außer wenn es etwas zu fressen gab.
Ian stieß einen kleinen Laut des Ekels aus, als er auf dem Weg Schlabber- und Knirschgeräusche hörte.
»Schweine sind nicht besonders feinfühlig«, murmelte Jamie. »Wenn etwas tot ist, fressen sie es.«
»Aye, aber es ist doch wahrscheinlich ihr eigenes Junges!«
»Manchmal frisst sie ihre Jungen doch sogar lebend; ich glaube nicht, dass sie Hemmungen hätte, sie tot zu fressen.«
»Psst!«
Er verstummte schlagartig, die Augen auf den geschwärzten Schandfleck gerichtet, der einmal das schönste Haus im ganzen Distrikt gewesen war. Und da, hinter dem Kühlhaus tauchte eine dunkle Gestalt auf und bewegte sich vorsichtig über den rutschigen Pfad. Das Schwein, das ganz in sein schauriges Festmahl vertieft war, schenkte dem Mann, der mit einem dunklen Umhang bekleidet war und eine Art Leinensack zu tragen schien, keine Beachtung.
Ich verriegelte die Tür nicht sogleich, sondern trat ins Freie, um einen Moment frische Luft zu schnappen, nachdem ich Rollo hinter mir eingesperrt hatte. Jamie und Ian waren innerhalb von Sekunden zwischen den Bäumen verschwunden. Ich sah mich beklommen auf der Lichtung um und spähte zur schwarzen Masse des Waldes hinüber, konnte aber nichts Verdächtiges sehen. Nichts bewegte sich, und die Nacht war geräuschlos; ich fragte mich, was Ian wohl gefunden haben mochte. Fremde Spuren im Schnee vielleicht? Das hätte sein Drängen erklärt; es würde eindeutig bald wieder schneien.