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»Himmel, lass mich ihn nicht finden«, murmelte ich. »Bitte lass mich ihn nicht finden.«

Aber Kühlhaus, Räucherschuppen und Maisspeicher waren – Gott sei Dank – leer, und es war unmöglich, sich im Hühnerstall versteckt zu halten, ohne dass die Hühner Theater machten. Sie waren still und verschliefen den Sturm. Doch der Anblick des Hühnerstalls erinnerte mich plötzlich an Mrs Bug; das Bild, wie sie Mais aus ihrer Schürze verstreute und die dummen Viecher summend zu sich rief. Sie hatte ihnen allen Namen gegeben. Mir war es im Grunde völlig egal, ob wir nun Isobeail oder Alasdair zum Abendessen verspeisten, aber in dieser Minute erschien mir die Tatsache, dass niemals wieder jemand in der Lage sein würde, sie auseinanderzuhalten oder in Jubel auszubrechen, weil Elspeth zehn Küken ausgebrütet hatte, absolut herzzerreißend.

Am Ende fand ich Ian in der Scheune, ein Schatten im Stroh zu Füßen des Maultiers Clarence, das bei meinem Erscheinen die Ohren spitzte. Dann brüllte es ekstatisch, weil es sich über jeden Besuch freute, und die Ziegen brachen in hysterisches Meckern aus, weil sie mich für einen Wolf hielten. Die Pferde schüttelten überrascht die Köpfe und schnaubten fragend. Rollo, der sich neben seinem Herrn ins Heu gekuschelt hatte, kommentierte den Lärm mit einem kurzen, verärgerten Bellen.

»Das ist ja schlimmer als auf der Arche Noah«, sagte ich, während ich mir den Schnee aus dem Umhang schüttelte und die Laterne an einen Haken hängte. »Fehlt nur noch ein Elefantenpaar. Ruhe, Clarence!«

Ian hatte mir das Gesicht zugewandt, doch ich konnte seiner ausdruckslosen Miene ansehen, dass er kein Wort von dem verstanden hatte, was ich gesagt hatte.

Ich hockte mich neben ihn und nahm seine rechte Wange in meine Hand; sie war kalt und voller frischer Bartstoppeln.

»Es war nicht deine Schuld«, sagte ich sanft.

»Ich weiß«, sagte er und schluckte. »Aber ich weiß nicht, wie ich damit leben soll.« Seine Worte klangen überhaupt nicht theatralisch; sein Ton war einfach nur verblüfft. Rollo leckte ihm die Hand, und er vergrub seine Finger in den Nackenhaaren des Hundes, als suchte er dort Halt.

»Was kann ich tun, Tante Claire?« Er sah mich hilflos an. »Gar nichts, oder? Ich kann es nicht zurücknehmen oder ungeschehen machen. Und doch suche ich nach einem Weg, das zu tun. Alles wiedergutzumachen. Aber es gibt … keinen.«

Ich setzte mich neben ihm ins Heu, legte ihm den Arm um die Schultern und drückte seinen Kopf an mich. Er lehnte sich zögernd an, doch ich konnte spüren, wie ihn die Schauder der Erschöpfung und der Trauer durchliefen wie Schüttelfrost.

»Ich habe sie lieb gehabt«, sagte er so leise, dass ich ihn kaum hören konnte. »Sie war wie eine Großmutter für mich. Und ich –«

»Sie hat dich auch lieb gehabt«, flüsterte ich. »Sie würde dir keine Vorwürfe machen.« Ich hatte meine eigenen Gefühle die ganze Zeit eisern unter Kontrolle gehalten, um tun zu können, was getan werden musste. Doch jetzt … Ian hatte recht. Rückgängig machen konnte man es nicht. Und in blanker Hilflosigkeit begannen mir die Tränen über das Gesicht zu laufen. Ich weinte nicht. Schmerz und Schreck quollen einfach über; ich konnte sie nicht bei mir behalten.

Ob er die Tränen auf seiner Haut spürte oder nur das Beben meines Schmerzes, wusste ich nicht, doch nun gab auch Ian auf, und er weinte zitternd in meinen Armen.

Ich wünschte von ganzem Herzen, er wäre ein kleiner Junge, und der Sturm seiner Trauer könnte seine Schuldgefühle fortspülen und ihn gereinigt und in Frieden zurücklassen. Doch die Welt, in der die Dinge so unkompliziert waren, hatte er lange hinter sich gelassen; alles, was ich tun konnte, war, ihn festzuhalten, ihm den Rücken zu streicheln und selbst kleine hilflose Laute auszustoßen. Schließlich bot Clarence seinerseits Hilfe an, indem er Ian auf den Kopf atmete und sanft an einer seiner Haarsträhnen knabberte. Ian fuhr zurück und schlug nach der Nase des Maultiers.

»Och, weg mit dir!«

Ihm blieb die Luft weg, dann lachte er schockiert und weinte noch ein bisschen. Wenig später richtete er sich auf und wischte sich die Nase am Ärmel ab. Er saß eine Weile still, um wieder zu sich zu finden, und ich störte ihn nicht.

»Als ich diesen Mann in Edinburgh getötet habe«, sagte er endlich mit belegter, aber beherrschter Stimme, »hat mich Onkel Jamie zur Beichte mitgenommen und mir das Gebet beigebracht, das man spricht, wenn man jemanden umgebracht hat. Um Gott seine Seele anzuempfehlen. Würdest du es mit mir zusammen sprechen, Tante Claire?«

Ich hatte seit Jahren nicht mehr an das Gebet gedacht, das den Seelen den Weg wies – geschweige denn, es gesprochen –, und ich holperte durch die Zeilen. Ian sprach es, ohne zu zögern, und ich fragte mich, wie oft er es im Lauf der Jahre schon benutzt hatte.

Die Worte erschienen mir kümmerlich und ohnmächtig, und sie gingen im Heugeraschel und den Geräuschen der kauenden Mäuler unter. Doch sie gesprochen zu haben, spendete mir einen Hauch von Trost. Vielleicht lag es ja nur daran, dass man durch das Gefühl, sich an etwas Größeres zu wenden, den Eindruck bekommt, dass es tatsächlich etwas Größeres gibt – und das muss es auch, weil man selbst der Situation ja eindeutig nicht gewachsen ist. Ich war es jedenfalls nicht.

Eine Zeit lang saß Ian mit geschlossenen Augen da. Schließlich öffnete er sie und sah mich an. Seine Augen waren schwarz und weise, das Gesicht unter den Bartstoppeln sehr bleich. »Und dann, hat er gesagt, lebst du damit«, sagte er leise.

Er rieb sich das Gesicht.

»Aber ich glaube, ich kann das nicht.« Er konstatierte nur eine simple Tatsache, und ich bekam einen furchtbaren Schrecken. Ich hatte keine Tränen mehr, doch ich hatte das Gefühl, in ein schwarzes, bodenloses Loch zu schauen – und den Blick nicht abwenden zu können.

Ich holte tief Luft und suchte nach Worten, zog ein Taschentuch aus meiner Tasche und gab es ihm.

»Atmest du, Ian?«

Sein Mund zuckte ein wenig.

»Aye, ich glaube schon.«

»Das ist fürs Erste alles, was du tun musst.« Ich stand auf, strich mir das Heu aus den Röcken und hielt ihm die Hand hin. »Komm mit. Wir müssen zurück zur Hütte, bevor wir hier eingeschneit werden.«

Der Schnee war dichter geworden, und ein Windstoß löschte die Kerze in meiner Laterne. Es spielte keine Rolle; ich hätte die Hütte sogar mit verbundenen Augen gefunden. Ian ging wortlos vor mir her und trat einen Pfad in den frisch gefallenen Schnee. Er hatte den Kopf in den Sturm gebeugt und die schmalen Schultern hochgezogen.

Ich hoffte, dass ihm das Gebet geholfen hatte, zumindest ein wenig, und fragte mich, ob die Mohawk wohl eine bessere Methode hatten, mit ungerechten Todesfällen umzugehen, als die katholische Kirche.

Dann begriff ich, dass ich ganz genau wusste, was die Mohawk in einem solchen Fall tun würden. Ian wusste es ebenfalls; er hatte es schon einmal getan. Ich zog den Umhang dichter um mich und fühlte mich, als hätte ich eine große Kugel aus Eis verschluckt.

Kapitel 4

Vorerst noch nicht

Nach heftigen Diskussionen wurden die beiden Leichen vorsichtig ins Freie getragen und an den Rand der Veranda gelegt. Es war einfach kein Platz, um sie im Innenraum anständig aufzubahren, und angesichts der Umstände …