Das stimmte; William war mit seinem Vater zum Essen verabredet. Doch sein Vater wollte sich mit ihm in dem Wirtshaus auf der anderen Kaiseite treffen, daher konnte er ihn unmöglich verfehlen. Das sagte William auch, und er drängte sie zu bleiben, denn er genoss ihre Gesellschaft sehr – vor allem die Gesellschaft Mrs MacKenzies –, doch obwohl ihre Gesichtsfarbe jetzt gesünder wirkte, lächelte sie bedauernd und tätschelte das Häubchen des Babys auf ihrem Arm.
»Nein, wir müssen aufbrechen.« Sie richtete ihre Augen auf ihren Sohn, der immer noch darum kämpfte, wieder auf den Boden gelassen zu werden, und William sah, wie ihr Blick zum Hafen und dem Pfosten huschte, der finster aus der Flut ragte. Dann riss sie sich entschlossen davon los und wandte sich stattdessen an William. »Die Kleine wacht auf; sie wird Hunger haben. Aber es war wirklich schön, Euch kennenzulernen. Ich wünschte, wir könnten uns noch länger unterhalten«, sagte sie mit der größten Aufrichtigkeit und berührte dabei sacht seinen Arm, was ein angenehmes Gefühl in seiner Magengrube auslöste.
Inzwischen schlossen die Gaffer Wetten darauf ab, ob der untergetauchte Kopf noch einmal erscheinen würde, obwohl es nicht so aussah, als hätte einer von ihnen auch nur einen Groschen dabei.
»Zwei gegen eins, dass er bei Ebbe noch da ist.«
»Fünf gegen eins, dass der Rest noch da ist, nur der Kopf nicht. Ist mir egal, was du über den Knorpel erzählt hast, Lem, aber als die Flut gekommen ist, hat der Kopf nur noch an einem Faden gehangen. Spätestens bei der nächsten Flut ist er weg.«
In der Hoffnung, dieses Gespräch zu übertönen, begann William, sich ausführlich zu verabschieden. Dabei ging er so weit, Mrs MacKenzie in bester höfischer Manier die Hand zu küssen – und ließ sich sogar dazu hinreißen, dem Baby einen Kuss auf den Kopf zu drücken, was sie alle zum Lachen brachte. Mr MacKenzie warf ihm zwar einen ausgesprochen seltsamen Blick zu, schien aber keinen Anstoß daran zu nehmen und schüttelte ihm nach Republikanersitte die Hand – und trieb den Scherz dann sogar noch weiter, indem er seinen Sohn auf den Boden stellte und dem kleinen Jungen auftrug, ihm ebenfalls die Hand zu schütteln.
»Habt Ihr schon einmal jemanden umgebracht?«, erkundigte sich der Junge und richtete den Blick neugierig auf Williams Paradeschwert.
»Nein, noch nicht«, erwiderte William lächelnd.
»Mein Großvater hat schon zwei Dutzend Männer umgebracht!«
»Jemmy!«, sagten seine Eltern wie aus einem Munde, und der kleine Junge zog die Schultern bis zu den Ohren hoch.
»Aber es stimmt doch!«
»Oh, er ist bestimmt ein tapferer und gefährlicher Mann, dein Großvater«, versicherte William dem Kleinen ernst. »Solche Männer kann der König immer gut brauchen.«
»Mein Opa sagt, der König kann ihm den Buckel herunterrutschen«, erwiderte der Junge nüchtern.
»JEMMY!«
Mr MacKenzie hielt seinem redseligen Nachwuchs die Hand vor den Mund.
»Du weißt genau, dass dein Opa das nicht gesagt hat!«, rügte Mrs MacKenzie. Der kleine Junge nickte zustimmend, und sein Vater zog die knebelnde Hand wieder fort.
»Nein. Aber Oma hat es gesagt.«
»Tja, das kann schon eher sein«, murmelte Mr MacKenzie, der sich sichtlich bemühte, nicht zu lachen. »Aber so etwas sagt man nicht zu einem Soldaten – Soldaten arbeiten doch für den König.«
»Oh«, sagte Jemmy, der das Interesse an dem Thema verlor. »Geht die Flut jetzt wieder?«, fragte er hoffnungsvoll und reckte den Hals noch einmal in Richtung des Hafens.
»Nein«, sagte Mr MacKenzie bestimmt. »Das dauert noch Stunden. Dann bist du längst im Bett.«
Mrs MacKenzie lächelte William entschuldigend zu, die Wangen ebenso verlegen wie entzückend gerötet, und dann entfernte sich die Familie hastig. William blieb stehen, hin- und hergerissen zwischen Gelächter und Bestürzung.
»He, Ransom!«
Beim Klang seines Namens wandte er sich um und sah sich Harry Dobson und Colin Osborn gegenüber, zwei Oberleutnants aus seinem Regiment, die offensichtlich ihren Dienstpflichten entronnen waren und nun darauf brannten, die Fleischtöpfe Wilmingtons zu kosten – sofern vorhanden.
»Wer ist denn das?« Dobson blickte den Davoneilenden neugierig nach.
»Ein gewisser Mr und Mrs MacKenzie. Freunde meines Vaters.«
»Oh, sie ist verheiratet?« Dobson, der die Frau immer noch beobachtete, zog die Wangen ein. »Nun, das macht es natürlich etwas schwieriger, aber was ist das Leben schon ohne die Herausforderung?«
»Herausforderung?« William warf seinem alles andere als hochgewachsenen Freund einen zynischen Blick zu. »Ihr Mann ist ungefähr dreimal so groß wie du, falls dir das nicht aufgefallen ist.«
Osborn lachte, und sein Gesicht lief rot an.
»Und sie ist doppelt so groß wie er! Sie würde dich erdrücken, Dobby.«
»Und wie kommst du darauf, dass ich vorhabe, unten zu liegen?«, erkundigte sich Dobson würdevoll. Osborn johlte los.
»Warum bist du nur so von Riesinnen besessen?«, wollte William wissen. Er warf noch einen Blick auf die kleine Familie, die nun am Ende der Straße fast nicht mehr zu sehen war. »Diese Frau ist doch fast so groß wie ich!«
»Ja, reib’s mir nur richtig unter die Nase!« Osborn, der den eins fünfzig großen Dobson zwar überragte, aber immer noch einen Kopf kleiner war als William, trat scherzhaft nach dessen Knie. William wich dem Tritt aus und knuffte Osborn, der sich duckte und ihn gegen Dobson schubste.
»Meine Herren!« Sergeant Cutters drohende Cockneytöne ließen sie innehalten. Auch wenn sie ranghöhere Positionen bekleideten als der Sergeant, hätte keiner von ihnen es gewagt, diesen darauf hinzuweisen. Das gesamte Bataillon erzitterte vor Sergeant Cutter, der zwar älter als der Herrgott war und ungefähr so groß wie Dobson, dessen Zwergenkörper jedoch die Rage eines ausgewachsenen Vulkans kurz vor dem Ausbruch beherbergte.
»Sergeant!« Leutnant William Ransom, Graf von Ellesmere und der Älteste der drei, richtete sich kerzengerade auf und presste das Kinn in seinen Kragen. Hastigst folgten Osborn und Dobson seinem Beispiel.
Cutter schritt vor ihnen auf und ab wie ein Leopard auf der Pirsch. Man konnte fast sehen, wie er mit dem Schwanz zuckte und sich erwartungsfroh die Schnurrhaare leckte, dachte William. Darauf zu warten, dass er zubiss, war fast schlimmer als die eigentliche Attacke.
»Wo sind eigentlich Eure Männer?«, fauchte Cutter. »Meine Herren?«
Osborn und Dobson begannen sofort, sich stotternd zu erklären, doch Leutnant Ransom war – ausnahmsweise – unschuldig wie ein Lamm.
»Meine Männer bewachen den Gouverneurspalast, unter Leutnant Colson. Ich wurde freigestellt, Sergeant, um mit meinem Vater zu dinieren«, sagte er respektvoll. »Von Sir Peter.«
Sir Peter Packers Name wirkte für gewöhnlich Wunder, und auch Cutter verschlug es die Sprache. Zu Williams großer Überraschung war es jedoch nicht Sir Peters Name, der diese Reaktion ausgelöst hatte.
»Euer Vater?«, sagte Cutter blinzelnd. »Das ist doch Lord John Grey, oder?«
»Äh … ja«, erwiderte William vorsichtig. »Kennt … Ihr ihn?«
Bevor Cutter antworten konnte, öffnete sich die Tür einer nahe gelegenen Gastwirtschaft, und Williams Vater kam heraus. William lächelte hocherfreut über sein rechtzeitiges Erscheinen, unterdrückte das Lächeln jedoch rasch, als sich der stechende Blick des Sergeanten auf ihn heftete.
»Grinst mich nicht so an, Affengesicht«, begann der Sergeant in bedrohlichem Ton, wurde jedoch unterbrochen, als ihm Lord John vertraulich auf die Schulter klopfte – etwas, das keiner der drei jungen Leutnants je gewagt hätte, nicht einmal gegen Bezahlung.
»Cutter!«, sagte Lord John mit einem herzlichen Lächeln. »Ich habe diesen Wohlklang gehört und mir gedacht, verdammt, wenn das nicht Sergeant Aloysius Cutter ist! Es kann sonst keinen Menschen unter der Sonne geben, der sich derart nach einer Bulldogge anhört, die eine Katze verschluckt hat und dabei keinen Schaden genommen hat.«