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»Charles Stuart? Er kann niemand anderen meinen.«

Sie hob den Brief auf und las das Postskriptum zum vielleicht dutzendsten Mal.

»Und wenn er Charles Stuart meint, dann ist das ›Hab und Gut‹ …«

»Er hat das Gold gefunden. Und Jem weiß, wo es ist?« Roger konnte nicht verhindern, dass dieser letzte Satz den Ton einer Frage annahm, und er richtete die Augen zur Zimmerdecke, über der seine Kinder inzwischen wohl schliefen, eingehüllt in Rechtschaffenheit und Comic-Schlafanzüge.

Brianna runzelte die Stirn.

»Weiß er das? Das ist nicht ganz genau das, was Pa gesagt hat – und wenn er es wüsste … Das ist ein verdammt großes Geheimnis für einen Achtjährigen.«

»Das stimmt.« Acht oder nicht, eigentlich fand Roger, dass Jem sehr gut Geheimnisse hüten konnte. Aber Brianna hatte recht – ihr Vater hätte niemals einen anderen mit solch gefährlichem Wissen belastet, schon gar nicht seinen geliebten Enkelsohn. Gewiss nicht ohne guten Grund, und sein Postskriptum machte ja deutlich, dass dies nur für den absoluten Notfall gedacht war.

»Du hast recht. Jem weiß nichts von dem Gold – nur von diesem Spanier, wer auch immer das sein mag. Hat er dir gegenüber nie etwas davon erwähnt?«

Sie schüttelte den Kopf, dann wandte sie sich um, weil ein plötzlicher Windstoß durch die Vorhänge des offenen Fensters wehte und nahenden Regen verkündete. Brianna stand auf und trat zum Fenster, um es zuzumachen. Danach lief sie nach oben, um dort die Fenster zu schließen, und bat Roger mit einer Handbewegung, sich um das Erdgeschoss zu kümmern. Lallybroch war ein großes Haus, und es war ungewöhnlich gut mit Fenstern ausgestattet – die Kinder versuchten immer wieder, sie zu zählen, kamen aber jedes Mal auf eine andere Zahl.

Irgendwann könnte er die Sache klären und sie selbst zählen, dachte Roger, doch es widerstrebte ihm. Wie die meisten alten Häuser hatte auch dieses seinen eigenen Charakter. Natürlich war Lallybroch einladend; groß und freundlich, eher gemütlich als protzig angelegt, und in seinen Wänden flüsterten die Echos der Generationen. Doch es war zudem ein Haus, das seine Geheimnisse hatte, daran gab es keinen Zweifel. Und dass es nicht mit der Anzahl seiner Fenster herausrückte, passte zu seinem Eindruck, dass es ein ziemlich verspieltes Haus war.

Die Fenster in der Küche – die jetzt mit einem modernen Kühlschrank, einem Aga-Herd und fließendem Wasser ausgestattet war, aber immer noch die alten Granitflächen hatte, die mit Johannisbeersaft und dem Blut von Wild und Geflügel befleckt waren – waren alle geschlossen, doch er ging trotzdem hindurch und dann durch die Vorratskammer. Im hinteren Teil des Flurs brannte zwar kein Licht, doch er konnte den Gitterrost im Boden sehen, der dem darunterliegenden Notversteck Licht spendete.

Sein Schwiegervater hatte sich einmal kurz dort versteckt gehalten, in den Tagen nach dem Aufstand, bevor man ihn in Ardsmuir eingekerkert hatte. Roger war einmal – und ebenfalls kurz – dort unten gewesen, als sie das Haus gekauft hatten, und als er wieder aus der feuchten, stickigen kleinen Kammer gestiegen war, hatte er restlos begriffen, warum Jamie Fraser lieber in der Wildnis auf einem Berggipfel gelebt hatte, wo ihn nichts einengte.

Jahre im Verborgenen, Jahre der Entbehrungen, Jahre im Kerker … Jamie Fraser war kein politischer Mensch, und er wusste besser als die meisten anderen, was der Preis des Krieges war, ganz gleich, zu welchem Zweck er angeblich geführt wurde. Doch Roger hatte gesehen, wie sich sein Schwiegervater hin und wieder geistesabwesend die Handgelenke rieb. Die Spuren der Eisen mochten längst verblichen sein – die Erinnerung an ihr Gewicht war es nicht. Roger zweifelte nicht im Geringsten daran, dass Jamie Fraser in Freiheit leben oder sterben würde. Und mit einer Intensität, die ihm bis ins Mark ging, wünschte er sich einen Moment lang, er könnte dort sein, um an der Seite seines Schwiegervaters zu kämpfen.

Der Regen hatte eingesetzt; er konnte ihn auf die Schieferdächer der Nebengebäude prasseln hören, dann das Rauschen, als der Wolkenbruch einsetzte und das Haus in Nebel und Wasser tauchte.

»Für uns … und unsere Nachkommen«, sagte er hörbar, aber leise.

Es war eine Abmachung unter Männern – unausgesprochen, aber selbstverständlich. Das Einzige, was zählte, war, dass die Familie bewahrt wurde, die Kinder beschützt wurden. Und ob man dafür mit Blut, Schweiß oder mit seiner Seele bezahlte – man bezahlte auf jeden Fall.

»Oidche mhath«, sagte er mit einem knappen Kopfnicken in Richtung des Notverstecks. Dann also gute Nacht.

Doch er blieb noch einen Moment in der alten Küche stehen und spürte die Umarmung des Hauses, das handfesten Schutz vor dem Sturm bot. Die Küche war schon immer das Herz des Hauses gewesen, dachte er, und die Restwärme im Herd wärmte ihn so, wie es früher das Feuer in der jetzt leeren Feuerstelle getan hatte.

Am Fuß der Treppe traf er auf Brianna; sie hatte sich für das Bett umgezogen – aber nicht zum Schlafen. Die Luft im Haus war stets kühl, und mit dem Beginn des Regens war die Temperatur um mehrere Grade gefallen. Sie jedoch trug nicht ihre Wollwäsche, sondern ein dünnes Nachthemd aus weißer Baumwolle, das trügerisch unschuldig aussah und von einem roten Bändchen durchzogen war. Der weiße Stoff schmiegte sich um ihre Brüste wie eine Wolke um einen Berggipfel.

Das sagte er ihr auch, und sie lachte – protestierte aber nicht, als er sie in die Hände nahm. Durch den dünnen Stoff pressten sich ihre Brustwarzen fest in seine Handflächen, rund wie Kirschen.

»Oben?«, flüsterte sie. Sie beugte sich vor und fuhr ihm mit der Zungenspitze über die Unterlippe.

»Nein«, sagte er und erwiderte ihren Kuss, um ihre kitzelnde Berührung zu unterbinden. »In der Küche. Da haben wir es noch nicht getan.«

Er nahm sie über die Küchentheke mit ihren mysteriösen Flecken gebeugt, und ihre leisen Stöhnlaute unterbrachen das Rauschen von Wind und Regen vor den Fensterläden. Spürte, wie sie erschauerte und sich auflöste, und ließ selbst die Zügel schießen, bis ihm die Knie zitterten und er sich langsam nach vorn sinken ließ, sich an ihre Schultern klammerte und sein Gesicht in die shampooduftenden Wellen ihres Haars presste, während der alte, fleckige Granit kühl unter seiner Wange lag. Sein Herz schlug langsam, fest und regelmäßig wie eine Basstrommel.

Er war nackt, und ein kalter Luftzug überzog seinen Rücken und seine Beine mit einer Gänsehaut. Brianna spürte sein Erschauern und drehte ihm das Gesicht zu.

»Frierst du?«, flüsterte sie. Sie fror nicht; sie glühte wie ein Stück Kohle, und er wünschte sich nichts mehr, als neben ihr ins Bett zu schlüpfen und gemütlich und warm das Ende des Sturms abzuwarten.

»Es geht schon.« Er bückte sich, um die Kleider aufzusammeln, die er auf den Boden geworfen hatte. »Gehen wir ins Bett.«

Oben klang der Regen lauter.

»Nimm von jedem Tier ein Paar ohne Makel und gesund«, sang Brianna leise, als sie die Treppe hinaufstiegen, »und Frau Noah und die Kinder und die Katze und den Hund …« Man konnte sich das Haus tatsächlich wie eine Arche vorstellen, die auf einer tosenden Wasserwelt dahintrieb – innen aber kuschelig war. Zwei Paare – zwei Eltern, zwei Kinder … vielleicht eines Tages mehr. Sie hatten schließlich jede Menge Platz.

Auch als die Lampe gelöscht war und er nur noch den Regen gegen die Fensterläden prasseln hörte, verharrte Roger am Rand des Einschlafens, weil er diesen Moment der Erfüllung noch nicht ziehen lassen wollte.

»Wir werden ihn nicht danach fragen, oder?«, flüsterte Brianna. Ihre Stimme war schläfrig, ihr Körper schmiegte sich warm an seine Seite. »Jem?«

»Oh? Nein. Natürlich nicht. Das brauchen wir nicht.«

Er verspürte einen Stich der Neugier – wer war der Spanier? Und die Vorstellung eines vergrabenen Schatzes war immer verlockend – doch sie brauchten ihn nicht; vorerst hatten sie genug Geld. Vorausgesetzt, das Gold war überhaupt noch dort, wo Jamie es versteckt hatte, was ja nicht sehr wahrscheinlich war.