Was bedeutete, dass es auf eine bedingungslose Kapitulation hinauslief, wenn die Amerikaner vernünftig waren. Und wenn nicht? William hatte Erzählungen über den Kampf am Breed’s Hill gehört – natürlich aus amerikanischen Mündern, sodass er sie mit großer Vorsicht genoss, doch diesen Erzählungen nach hatten die Rebellen dort die Nägel aus den Befestigungszäunen, ja, sogar aus ihren Schuhabsätzen gezogen und damit auf die Briten gefeuert, als ihnen die Munition ausging. Den Rückzug hatten sie erst angetreten, als sie mit Steinen werfen mussten.
»Aber wenn Putnam auf Verstärkung durch Washington wartet, wird er einfach abwarten«, sagte Clinton stirnrunzelnd. »Wäre es nicht besser, wenn wir …«
»Das ist es nicht, was er gemeint hat«, unterbrach Howe. »Nicht wahr, Ellesmere? Als Ihr gesagt habt, am Breed’s Hill hatte er nichts im Rücken?«
»Nein, Sir«, sagte William dankbar. »Ich habe gemeint … dass er etwas beschützen muss. In seinem Rücken. Ich glaube nicht, dass er darauf wartet, dass ihm der Rest der Armee zu Hilfe kommt.«
Bei diesen Worten fuhren Lord Cornwallis’ geschwungene Augenbrauen in die Höhe. Clinton sah William mit finsterer Miene an, und zu spät fiel diesem ein, dass Clinton der Feldkommandeur beim Pyrrhussieg von Breed’s Hill gewesen war und Israel Putnam wahrscheinlich ein heikles Thema für ihn war.
»Und warum hören wir hier auf den Rat eines Jungen, der noch feucht hinter den … Habt Ihr eigentlich selbst schon einmal gekämpft, Sir?«, wollte er von William spontan wissen, und dieser wurde puterrot.
»Gestern, Sir. Und ich würde jetzt gerade kämpfen, Sir«, sagte er, »wenn man mich hier nicht aufhalten würde.«
Lord Cornwallis lachte, und über Howes Gesicht huschte ein Lächeln.
»Wir sorgen schon noch dafür, dass Ihr eine ordentliche Feuertaufe bekommt, Leutnant«, sagte er trocken. »Aber nicht heute. Hauptmann Ramsay?« Er winkte einem der ranghöheren Stabsoffiziere, einem kurz gewachsenen Mann mit sehr geraden Schultern, der vortrat und salutierte. »Nehmt Ellesmere mit, und lasst Euch von ihm sagen, was er auf seinem Kundschafterritt herausgefunden hat. Teilt mir alles mit, was Euch von Interesse zu sein scheint. Unterdessen« – er wandte sich wieder an seine beiden Generäle – »stellt bis auf Weiteres sämtliche Feindseligkeiten ein.«
Mehr hörte William nicht von den Überlegungen der Generäle, da Hauptmann Ramsay ihn unter seine Fittiche nahm.
Hatte er sich zu weit vorgewagt?, fragte er sich. Natürlich hatte ihm General Howe eine direkte Frage gestellt; er hatte antworten müssen. Aber die Erfahrung eines armseligen Monats als Kundschafter gegen das geballte Wissen so vieler erfahrener ranghoher Offiziere anzuführen …
Er sprach Hauptmann Ramsay – der von der stillen, aber freundlichen Sorte zu sein schien – auf seine Zweifel an.
»Oh, Ihr hattet keine andere Wahl, als den Mund aufzutun«, versicherte ihm Ramsay. »Nur …«
William wich einem Haufen Maultieräpfel aus, um mit Ramsay Schritt zu halten.
»Nur?«
Ramsay ging zunächst schweigend durch die ordentlichen Korridore der Leinwandzelte voraus und winkte nur hin und wieder den Männern an einem Feuer, die ihm etwas zuriefen.
Dann erreichten sie Ramsays Zelt, und er hielt William den Eingang offen und winkte ihn hinein.
»Schon mal von einer Dame namens Kassandra gehört?«, sagte Ramsay schließlich. »Irgend so eine Griechin, glaube ich. Nicht besonders beliebt.«
Nach der Anstrengung schlief die Armee tief und fest, und William tat es ihr gleich.
»Euer Tee, Sir?«
Er blinzelte verwirrt, denn er war immer noch in seinen Träumen gefangen, in denen er Hand in Hand mit einem Orang-Utan durch den Privatzoo des Herzogs von Devonshire spazierte. Doch es war das runde, dienstbeflissene Gesicht des Gefreiten Perkins, nicht das des Orang-Utans, das ihm entgegenblickte.
»Was?«, sagte er verständnislos. Perkins schien in einer Art Dunstschleier zu schwimmen, der jedoch auch durch Blinzeln nicht verschwand, und als er sich aufsetzte, um die dampfende Tasse entgegenzunehmen, stellte er fest, dass dies daran lag, dass die Luft von dichtem Nebel erfüllt war.
Alle Klänge waren gedämpft; zwar waren die üblichen Geräusche eines erwachenden Feldlagers zu hören, doch sie klangen leise und wie von fern. Als er ein paar Minuten später den Kopf aus dem Zelt steckte, war es daher keine Überraschung, das Gelände in eine Nebelbank gehüllt zu sehen, die aus den Marschen aufgestiegen war.
Es spielte keine große Rolle. Die Armee plante ja keinerlei Bewegungen. Eine Depesche aus Howes Hauptquartier hatte offiziell die Einstellung der Feindseligkeiten angeordnet; es gab nichts zu tun, als darauf zu warten, dass die Amerikaner zur Vernunft kamen und sich ergaben.
Die Armee räkelte sich gähnend und suchte Ablenkung. William spielte gerade angeregt mit den Korporälen Yarnell und Jeffries Karten, als Perkins erneut atemlos angerannt kam.
»Oberst Spencer lässt sich empfehlen, Sir, und Ihr sollt Euch bei General Clinton melden.«
»Ja? Warum denn?«, wollte William wissen. Perkins’ Miene war verblüfft; er war nicht auf die Idee gekommen, den Boten zu fragen, warum.
»Es ist … Ich vermute, er will Euch sehen«, sagte er, allzeit hilfsbereit.
»Danke sehr, Gefreiter Perkins«, sagte William voller Sarkasmus, den Perkins jedoch nicht registrierte, denn sein Gesicht strahlte erleichtert, und er zog sich zurück, ohne entlassen worden zu sein.
»Perkins!«, bellte er, und der Gefreite drehte sich aufgeschreckt um. »Welche Richtung?«
»Was? Äh … was, Sir, meine ich?«
»In welcher Richtung liegt General Clintons Hauptquartier?«, fragte William betont geduldig.
»Oh! Der Husar … Er kam von …« Perkins runzelte konzentriert die Stirn und drehte sich langsam um sich selbst wie ein Wetterhahn. »Dort!« Er streckte den Arm aus. »Ich konnte den kleinen Hügel hinter ihm sehen.« Am Boden war der Nebel immer noch dicht, doch hier und dort sah man jetzt die Kuppen der Hügel und die Wipfel der hohen Bäume, und William konnte den kleinen Hügel, den Perkins meinte, ohne Schwierigkeiten sehen; er hatte einen merkwürdigen, klobigen Umriss.
»Danke, Perkins. Ihr könnt gehen«, fügte er rasch hinzu, bevor sich Perkins noch einmal ungefragt davonmachen konnte. Er sah zu, wie der Gefreite in der wabernden Masse aus Nebel und Menschen verschwand, dann schüttelte er den Kopf und machte sich auf, um Korporal Evans das Kommando zu übertragen.
Dem Wallach gefiel der Nebel gar nicht. William gefiel er ebenfalls nicht. Bei Nebel fühlte er sich beklommen, als ob ihm jemand in den Nacken hauchte.
Doch dies war Seenebel; dicht, feucht und kalt, aber nicht drückend. Er wurde abwechselnd dichter und dünner, als wäre er in ständiger Bewegung. William konnte nur ein paar Meter weit sehen, und den Umriss des Hügels, auf den Perkins gezeigt hatte, konnte er gerade noch ausmachen, obwohl die Kuppe immer wieder verschwand und dann erneut auftauchte wie eine Fata Morgana aus einem Märchen.
Was mochte Sir Henry wohl von ihm wollen?, fragte er sich. Und hatte man nur ihn rufen lassen, oder war dies eine Zusammenkunft, bei der es darum ging, den Feldoffizieren eine Strategieänderung mitzuteilen?
Vielleicht hatten sich Putnams Männer ja ergeben. Besser wäre es mit Sicherheit für sie; unter den gegebenen Umständen konnten sie nicht auf einen Sieg hoffen, das musste ihnen klar sein.
Doch wahrscheinlich musste sich Putnam erst mit Washington beraten. Während des Kampfes um das alte Farmhaus hatte William in einiger Entfernung eine kleine Reitergruppe auf einem Hügelkamm gesehen, über denen eine Flagge flatterte, die er nicht kannte; damals hatte jemand darauf gezeigt und gesagt: »Da, das ist er, Washington. Eine Schande, dass wir keinen Vierundzwanzigpfünder hier haben – das würde ihn lehren, hier Maulaffen feilzuhalten!« Und der Mann hatte gelacht.
Die Vernunft sagte ihm, dass sie kapitulieren würden. Doch gleichzeitig verspürte er ein dumpfes Gefühl, das nichts mit dem Nebel zu tun hatte. Unterwegs hatte er einen Monat lang die Gelegenheit gehabt, vielen Amerikanern zuzuhören. Den meisten von ihnen war selbst beklommen zumute, denn sie wollten keinen Konflikt mit England, und vor allen Dingen wollten sie nicht in die Nähe von Kampfhandlungen geraten – eine sehr vernünftige Einstellung. Doch diejenigen von ihnen, die sich bewusst für die Revolte entschieden hatten, waren wirklich sehr entschlossen.