William Buccleigh murmelte etwas vor sich hin, und Roger begriff, dass er betete. Er versuchte, sich hinzusetzen, und es gelang ihm auch, obwohl sich alles um ihn drehte.
»Haben Sie mich herausgezogen?«, wollte er in diesem schroffen Flüsterton wissen. Buccleigh hatte die Augen geschlossen, und er verharrte so, bis er sein Gebet beendet hatte. Dann öffnete er sie und blickte von Roger zum Gipfel des Hügels hinauf, wo die unsichtbaren Steine immer noch ihr grausiges Lied vom Riss in den Zeiten sangen – von hier aus zum Glück nicht mehr als ein gespenstisches Jaulen, das ihm die Nerven blank legte.
»Ja«, sagte Buccleigh. »Ich hatte nicht das Gefühl, dass Sie es allein schaffen würden.«
»Das hätte ich auch nicht.« Roger ließ sich wieder zu Boden sinken, benommen und schmerzerfüllt. »Danke«, fügte er einen Moment später hinzu. In seinem Inneren herrschte große Leere, so weit wie der ergrauende Himmel.
»Aye, nun ja. Vielleicht hilft es mir ja wiedergutzumachen, dass man Sie gehängt hat«, sagte Buccleigh in beiläufigem Ton. »Und jetzt?«
Roger blinzelte zum Himmel auf, der sich langsam über ihm drehte. Davon nahm sein Schwindel zu, also schloss er die Augen und streckte die Hand aus.
»Jetzt gehen wir heim«, krächzte er. »Und denken nach. Helfen Sie mir auf.«
Kapitel 86
Valley Forge
William war in Uniform. Das war unumgänglich, sagte er zu seinem Vater.
»Denzell Hunter ist ein Mann, der großen Wert auf sein Gewissen und seine Prinzipien legt. Ich darf nicht versuchen, ihn ohne die offizielle Erlaubnis seines Offiziers aus dem Lager zu locken. Ich glaube nicht, dass er dann kommen würde. Doch wenn ich diese Erlaubnis erwirken kann – und ich glaube, das kann ich –, dann, glaube ich, wird er kommen.«
Um die offizielle Genehmigung zur Inanspruchnahme der Dienste eines kontinentalen Heeresarztes zu erwirken, musste er natürlich offiziell anfragen. Was bedeutete, dass er mit seinem roten Rock in Washingtons neues Winterquartier in Valley Forge hineinreiten musste, ganz gleich, was geschah.
Lord John schloss kurz die Augen und malte sich anscheinend gerade aus, was geschehen könnte, doch dann öffnete er sie wieder und sagte knapp: »Also schön. Wirst du denn einen Bediensteten mitnehmen?«
»Nein«, sagte William überrascht. »Wozu sollte ich denn einen Bediensteten brauchen?«
»Damit er sich um die Pferde kümmert und um deine Ausrüstung – und anstelle der Augen in deinem Hinterkopf«, sagte sein Vater mit einem Blick, der besagte, dass er darauf gut selbst hätte kommen können. Daher verkniff er es sich zu fragen: Pferde?, oder: Welche Ausrüstung?, sondern er nickte nur und sagte: »Danke, Papa. Kannst du so jemanden für mich auftreiben?«
»So jemand« entpuppte sich als ein gewisser Colenso Baragwanath, ein junger Mann aus Cornwall, der als Stallknecht mit Howes Truppen gekommen war. Mit Pferden kannte er sich aus, das musste William ihm lassen.
Sie hatten vier Pferde dabei und ein Packmuli, das mit einer Schweinehälfte und vier oder fünf fetten Truthähnen beladen war, mit einem Sack Kartoffeln, einem Sack Rübchen und einem großen Fass Cidre.
»Wenn die Bedingungen dort nur halb so schlecht sind, wie ich es glaube«, hatte sein Vater ihm erklärt, während er das Beladen des Mulis beaufsichtigte, »wird dir der Kommandeur im Austausch für all dies die Dienste eines halben Bataillons zur Verfügung stellen, von einem Arzt ganz zu schweigen.«
»Danke, Papa«, sagte er erneut und schwang sich in den Sattel, die neue Hauptmannshalsberge um den Hals und eine ordentlich zusammengefaltete weiße Flagge in der Satteltasche.
Valley Forge sah aus wie ein gigantisches Lager voll der Hölle geweihter Köhler. Im Prinzip war es ein Waldstück, zumindest war es das gewesen, bevor Washingtons Soldaten damit begonnen hatten, alles in Sichtweite abzuholzen. Überall standen abgehackte Baumstümpfe, und der Boden war mit abgebrochenen Zweigen übersät. Hier und dort brannten große Lagerfeuer, und überall lagen aufeinandergestapelte Baumstämme. Sie bauten sich Hütten, so schnell sie konnten – und es war keinen Tag zu früh, denn es hatte vor drei oder vier Stunden zu schneien begonnen, und schon war das Lager in eine weiße Decke gehüllt.
William hoffte, dass sie die weiße Flagge überhaupt sehen würden.
»Schön, dann steig also auf, und reite vor mir her«, sagte er zu Colenso und reichte dem Jungen den langen Stock, an dem er die Flagge festgebunden hatte. Der Junge riss vor Schreck die Augen auf.
»Was, ich?«
»Ja, genau«, sagte William ungeduldig. »Los, sonst gibt es einen Tritt.«
Es juckte William zwischen den Schulterblättern, als sie das Lager betraten, und Colenso, der wie ein Äffchen auf seinem Pferd hockte, hielt die Flagge, so tief er es wagte, und murmelte seltsame Flüche in seinem Dialekt. Williams linke Hand juckte ebenfalls, denn sie hätte gern nach seinem Schwertknauf gegriffen oder dem Kolben seiner Pistole. Doch er war unbewaffnet gekommen. Wenn sie auf ihn schießen wollten, würden sie auf ihn schießen, ob er bewaffnet war oder nicht, und keine Waffen zu tragen, war ein Zeichen des vertrauensvollen Entgegenkommens. Also schlug er trotz des Schnees seinen Umhang zurück, um seinen Mangel an Waffen zu demonstrieren, und ritt langsam in den Sturm hinein.
Die Präliminarien verliefen gut. Niemand schoss auf ihn, und man verwies ihn an einen gewissen Oberst Preston, einen hochgewachsenen Mann in den zerlumpten Überresten der Kontinentaluniform, der ihn zwar schief ansah, seiner Frage aber überraschend höflich Gehör schenkte. Die Erlaubnis wurde ihm gewährt – doch da dies die amerikanische Armee war, handelte es sich dabei nicht um die Genehmigung, den Arzt mitzunehmen, sondern um die Genehmigung, den Arzt zu fragen, ob er mitgehen würde.
Willie ließ Colenso bei den Pferden und dem Maultier zurück und erteilte ihm die strikte Anweisung, die Augen offen zu halten. Dann stieg er den kleinen Hügel hinauf, auf dem sich Denzell Hunter wahrscheinlich aufhielt, wie man ihm mitgeteilt hatte. Sein Herz schlug schnell, und das nicht nur vor Anstrengung. In Philadelphia war er sich noch sicher gewesen, dass Hunter auf seine Bitte hin mitkommen würde. Jetzt war er sich da nicht mehr ganz so sicher.
Er hatte gegen die Amerikaner gekämpft, kannte viele von ihnen – Männer, die sich in keiner Weise von den Engländern unterschieden, die sie bis vor zwei Jahren noch gewesen waren. Doch nie zuvor war er in einem amerikanischen Feldlager gewesen.
Es erschien ihm chaotisch, das war normal für ein Lager im Anfangsstadium, und er konnte die grobe Ordnung erkennen, die in der Tat inmitten der Trümmerhaufen und der zerhackten Baumstämme herrschte. Doch etwas in diesem Lager fühlte sich anders an, etwas, das ihm beinahe wie Überschwang vorkam. Die Männer, an denen er vorüberkam, waren extrem zerlumpt, trotz des Wetters hatte nicht einmal jeder Zehnte Schuhe, und sie hockten in Gruppen wie Bettler um die Lagerfeuer, in Decken, Schultertücher, die Überreste von Leinenzelten und Jutesäcke gehüllt. Und doch hockten sie nicht in trostlosem Schweigen zusammen. Sie redeten.
Unterhielten sich kameradschaftlich, erzählten sich Witze, standen auf, um in den Schnee zu pinkeln, oder stapften im Kreis, um das Blut in Fluss zu bringen. Er wusste, wie ein demoralisiertes Feldlager aussah, und dieses hier war keines. Was alles in allem erstaunlich war. Er ging davon aus, dass auch Denzell Hunter diese Stimmung teilen musste. Und wenn das so war, würde er sich dann einverstanden erklären, seine Kameraden zu verlassen? Unmöglich, es zu sagen, wenn man ihn nicht fragte.
Es gab keine Tür zum Anklopfen. Er umrundete einen Hain blattloser Eichenschösslinge, die der Axt bis jetzt entronnen waren, und fand Hunter am Boden hockend, wo er eine Wunde im Bein eines Mannes nähte, der vor ihm auf einer Decke lag. Rachel Hunter hielt den Mann an den Schultern fest, und ihr Kopf mit dem Häubchen war über ihn gebeugt, während sie ihm Mut zusprach.