Ohne eine Antwort abzuwarten, beugte er sich vor, zog einen Federkiel aus dem blau-weißen Porzellanväschen auf seinem Schreibtisch und öffnete sein Tintenfässchen aus Bergkristall.
»Bist du sicher?«, hatte er gesagt und William ernst angesehen. Als dieser nickte, hatte er schwungvoll unterschrieben. Dann hatte er aufgeblickt und gelächelt.
»Ich bin stolz auf dich, William«, sagte er leise. »Ich werde immer stolz auf dich sein.«
William seufzte. Er zweifelte nicht daran, dass sein Vater ihn immer lieben würde, aber was den Grund zum Stolz anging, so schien er sich auf seiner gegenwärtigen Expedition nicht gerade mit Ruhm zu bekleckern. Er konnte von Glück reden, wenn es ihm gelang, zu seiner Truppe zurückzukehren, bevor jemandem auffiel, wie lange er schon fort war, und Alarm geschlagen wurde. Gott, wie peinlich, sich als erste Amtshandlung zu verlaufen und dann ausrauben zu lassen!
Allerdings war es immer noch besser, als sich als erste Amtshandlung von Banditen umbringen zu lassen.
Vorsichtig bahnte er sich seinen Weg weiter durch den nebelverhangenen Wald. Es lief sich hier nicht schlecht, auch wenn der Boden an einigen Stellen, an denen sich der Regen in Mulden gesammelt hatte, sumpfig war. Einmal hörte er Musketenfeuer knallen und eilte darauf zu, doch es war schon wieder vorüber, bevor er in die Nähe des Schützen kam.
Grimmig stapfte er weiter und fragte sich dabei, wie lange man wohl brauchte, um die ganze verdammte Insel zu Fuß zu überqueren, und wie viel ihm wohl noch zu einer solchen Überquerung fehlte. Der Boden stieg plötzlich an; er ging jetzt bergauf, und der Schweiß lief ihm in Strömen über das Gesicht. Er bildete sich ein, dass der Nebel dünner wurde, je höher er kam, und tatsächlich trat er irgendwann auf einen kleinen Felsvorsprung hinaus, von dem er einen Ausblick auf das Gelände unter sich hatte – das vollständig in wabernden grauen Nebel gehüllt war. Bei diesem Anblick wurde ihm schwindelig, und er musste sich einen Moment mit geschlossenen Augen auf einen Felsen setzen, bevor er weitergehen konnte.
Zweimal hörte er Männer und Pferde, doch irgendetwas stimmte mit diesen Geräuschen nicht; die Stimmen hatten keinen Armeerhythmus, und er wandte sich ab und hielt sich alarmiert in die entgegengesetzte Richtung.
Wieder änderte sich das Gelände unvermittelt und ging in eine Art zwergwüchsigen Wald über, dessen verkrüppelte Bäume auf einem hellen Boden wuchsen, der unter seinen Schuhen knirschte. Dann hörte er Wasser – Wellen, die gegen einen Strand schlugen. Das Meer! Gott sei Dank, dachte er und ging beschleunigten Schrittes darauf zu.
Doch während er auf das Geräusch der Wellen zuhielt, hörte er plötzlich noch andere Geräusche.
Boote. Bootskiele – mehr als einer –, die auf Kies knirschten, ächzende Riemendollen, Wasserplätschern. Und Stimmen. Gedämpfte, aber aufgeregte Stimmen. Tod und Teufel! Er duckte sich unter dem Ast einer Krüppelkiefer hindurch und hoffte auf eine Lücke im Nebel.
Eine abrupte Bewegung ließ ihn mit einem Satz zur Seite fahren, die Hand an der Pistole. Er zog und hätte beinahe geschossen, als er begriff, dass sein Widersacher ein Blaureiher war, der ihn mit seinen gelben Augen giftig anfunkelte, bevor er sich schimpfend in die Lüfte erhob. Keine drei Meter vor ihm erscholl im selben Moment ein Alarmruf im Gebüsch, gleichzeitig mit dem Dröhnen eines Musketenschusses, und der Reiher explodierte direkt über seinem Kopf in einem Regen aus Federn. Er spürte die Blutstropfen des Vogels, viel wärmer als der kalte Schweiß in seinem Gesicht, und setzte sich vor Schreck hin, weil ihm schwarze Flecken vor den Augen tanzten.
Er wagte es nicht, sich zu bewegen, geschweige denn, sich durch einen Ruf bemerkbar zu machen. Aus dem Gebüsch kam Stimmengeflüster, doch es war zu leise, um irgendwelche Worte auszumachen. Aber nach ein paar Minuten hörte er ein verstohlenes Rascheln, das sich allmählich entfernte. So geräuschlos wie möglich ließ er sich auf alle viere nieder und kroch ein Stück in die andere Richtung, bis er glaubte, gefahrlos aufstehen zu können.
Er hatte immer noch das Gefühl, Stimmen zu hören. Er kroch dichter heran, langsam und mit hämmerndem Herzen. Er roch Tabak und erstarrte.
Doch in seiner Nähe regte sich nichts – er konnte die Stimmen zwar immer noch hören, aber sie waren ein gutes Stück entfernt. Vorsichtig schnupperte er, doch der Geruch war verschwunden; vielleicht ging ja seine Fantasie mit ihm durch. Er bewegte sich weiter auf die Geräusche zu.
Jetzt konnte er sie deutlich hören. Drängende, leise Rufe, klappernde Ruderdollen und platschende Füße in der Dünung. Bewegungen und murmelnde Männerstimmen, die – beinahe – im Rauschen von Wasser und Gras untergingen. Er warf einen letzten verzweifelten Blick zum Himmel, doch die Sonne blieb unsichtbar. Er musste sich auf der Westseite der Insel befinden; dessen war er sich sicher. So gut wie sicher. Und wenn er es war …
Wenn er es war, mussten die Geräusche, die er hörte, die Geräusche der amerikanischen Soldaten sein, die von der Insel nach Manhattan flüchteten.
»Keine. Bewegung.« Das Flüstern hinter ihm erklang exakt im selben Moment, in dem sich der Lauf einer Schusswaffe so fest in seine Nierengegend rammte, dass er auf der Stelle versteinerte. Der Druck ließ eine Sekunde lang nach und kehrte dann mit solcher Wucht zurück, dass ihm das Wasser in die Augen stieg. Er stieß einen Kehllaut aus und krümmte sich, doch ehe er etwas sagen konnte, hatte jemand mit schwieligen Händen seine Handgelenke gepackt und sie nach hinten gerissen.
»Überflüssig«, sagte die Stimme, tief, rau und mürrisch. »Geh zur Seite, und ich erschieße ihn.«
»Nee, lass das«, sagte eine andere Stimme, genauso tief, aber weniger ärgerlich. »Er ist doch noch ganz grün. Und hübsch isser auch.« Eine der schwieligen Hände streichelte seine Wange, und er zuckte zusammen, doch wer immer es war, hatte ihm die Hände bereits fest zusammengebunden.
»Und wenn du ihn erschießen wolltest, Schwester, hätt’ste das doch längst getan«, fügte die Stimme hinzu. »Dreh dich um, Junge.«
Langsam drehte er sich um und sah, dass er von zwei alten Frauen gefangen genommen worden war, die klein und gedrungen waren wie Trolle. Eine von ihnen, die auch die Waffe hielt, rauchte eine Pfeife; es war ihr Tabak gewesen, den er gerochen hatte. Als sie den Schreck und den Ekel in seinem Gesicht sah, zog sie den Mundwinkel hoch und hielt dabei die Pfeife mit den Stümpfen ihrer braun gefleckten Zähne fest.
»So’n schöner Schein kann auch trügen«, merkte sie an, während sie ihn von Kopf bis Fuß betrachtete. »Trotzdem brauch ich hier meine gute Munition nicht zu verschwenden.«
»Madam«, sagte er. Er sammelte sich und versuchte es auf die charmante Art. »Ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor. Ich bin Soldat des Königs und –«
Die beiden brachen in Gelächter aus und ächzten wie ein paar rostige Scharniere.
»Darauf wäre ich nie gekommen«, sagte die Frau mit der Pfeife und schmiegte ihre schmalen Lippen mit einem Grinsen um den Stiel. »Wir dachten wirklich, du bist das Latrinenkommando!«
»Psst, Söhnchen«, unterbrach ihn ihre Schwester, als er erneut zu sprechen versuchte. »Wir tun dir nichts, solange du schön stillhältst und keinen Muckser machst.« Sie betrachtete ihn und begutachtete den Schaden, den er genommen hatte.
»Dich hat’s aber übel erwischt, wie?«, sagte sie nicht ohne Mitgefühl, und ohne eine Antwort abzuwarten, schubste sie ihn auf einen Felsen. Dieser war vollständig mit Muscheln und triefendem Tang bewachsen, woraus er schloss, dass er sich dicht am Ufer befand.
Er schwieg. Nicht aus Angst vor den alten Frauen, sondern weil es nichts zu sagen gab.
Er saß da und lauschte auf die Geräusche des Rückzugs. Er hatte keine Ahnung, wie viele Männer daran beteiligt waren, weil er ja nicht wusste, wie lange sie schon zugange waren. Es wurde nichts gesagt, was ihm hätte nützen können; er hörte nur die atemlosen Wortwechsel von Männern bei der Arbeit, das Gemurmel der Wartenden, hier und dort unterdrücktes Gelächter, das von Nervosität kündete.