Выбрать главу

Einen Anhaltspunkt hatte er immerhin. Denny Hunter war wahrscheinlich nach wie vor Armeearzt. Wenn ja, hielt er sich natürlich bei der Kontinentalarmee auf – irgendeinem Teil der Kontinentalarmee. Also hatte Ian vor, das nächstgelegene Lager dieser Armee ausfindig zu machen und dort mit seinen Erkundigungen zu beginnen. Zu diesem Zweck hatte er vor, sich durch die Wirtshäuser und Spelunken am Stadtrand von Philadelphia vorzuarbeiten und mithilfe der örtlichen Gerüchteküche herauszufinden, wo sich die Armee aufhalten mochte.

Immerhin hatte ich ihn überreden können, eine Nachricht in die Druckerei zu übersenden und uns wissen zu lassen, wohin er unterwegs war, sobald er etwas herausfand, das ihm eine mögliche Richtung vorgab.

Alles, was ich unterdessen tun konnte, war, ein rasches Gebet an seinen Schutzengel zu richten – ein hoffnungslos überarbeitetes Wesen – und dann ein Wörtchen mit dem meinen zu wechseln (den ich mir als großmütterliche Gestalt mit sorgenvoller Miene vorstellte) und mich dann ans Werk zu begeben.

Jetzt war ich auf den schlammigen Straßen unterwegs und dachte über das Prozedere nach. Ich hatte in den letzten zehn Jahren nur eine Mandeloperation durchgeführt – zwei, wenn man die Beardsley-Zwillinge separat betrachten wollte. Normalerweise war es eine schnelle, unkomplizierte Operation – doch normalerweise wurde sie ja auch nicht in einer halbdunklen Druckerei an einem Zwerg mit einer Atemwegsblockade, einer Schleimhautentzündung und einem Kehlkopfabszess durchgeführt.

Nun, ich brauchte es ja nicht in der Druckerei zu tun, wenn ich einen besser beleuchteten Ort finden konnte. Wo konnte der aber sein?, fragte ich mich. Am wahrscheinlichsten im Haus einer reichen Person, wo kein Mangel an Kerzenwachs herrschte. Ich war schon oft in solchen Häusern gewesen, vor allem während unseres Aufenthalts in Paris, doch hier kannte ich niemanden, der auch nur ein bescheidenes Vermögen besaß. Marsali ebenfalls nicht; ich hatte sie gefragt.

Nun, eins nach dem anderen. Bevor ich mir Gedanken über den Operationssaal machte, musste ich einen Schmied finden, der zu Feinarbeiten in der Lage war und mir die Drahtschlinge anfertigen konnte, die ich benötigte. Die Mandeln konnte ich natürlich problemlos mit einem Skalpell entfernen, doch es würde mehr als schwierig werden, die Polypen oberhalb des Gaumensegels auf die gleiche Weise zu entfernen. Und das Letzte, was ich wollte, war, im Halbdunkel mit einem scharfen Instrument in Henri-Christians entzündetem Hals herumzustochern. Die Drahtschlinge würde zwar scharf genug sein, doch es war nicht damit zu rechnen, dass sie Schaden anrichtete, wenn ich irgendwo damit anstieß; nur ihre Innenkante würde schneiden, und auch das nur, wenn ich sie ruckartig bewegte, um die Mandel oder den Polypen sauber abzutrennen.

Ich fragte mich beklommen, ob er wohl eine bakterielle Infektion hatte. Sein Hals war flammend rot, doch das konnte ebenso durch eine andere Infektion hervorgerufen werden.

Nein, wir würden es darauf ankommen lassen, dachte ich. Ich hatte einige Penizillinschalen angesetzt, kaum dass ich angekommen war. Es war zwar nicht zu sagen, ob der Extrakt, den ich in ein paar Tagen daraus gewinnen würde, wirksam war oder nicht – oder falls ja, wie wirksam. Doch es war auf jeden Fall besser als nichts – genau wie ich selbst.

Über eine unleugbar nützliche Errungenschaft verfügte ich auf jeden Fall – oder ich würde es tun, wenn mein nachmittäglicher Streifzug von Erfolg gekrönt wurde. Vor fast fünf Jahren hatte mir Lord John Grey eine Glasflasche mit Vitriol und den Pelikanapparat übersandt, der zur Destillation von Äther notwendig war. Ich meinte, dass er diese Utensilien bei einem Apotheker in Philadelphia erstanden hatte, auch wenn ich mich nicht mehr an den Namen erinnern konnte. Doch so viele Apotheker konnte es in Philadelphia ja nicht geben, und ich hatte vor, sie alle aufzusuchen, bis ich den richtigen fand.

Marsali hatte gesagt, es gäbe zwei große Apotheken in der Stadt, und nur die größere der beiden würde die Dinge führen, die ich zur Herstellung von Äther brauchte. Wie war nur der Name des Mannes, bei dem Lord John meinen Pelikanapparat erworben hatte? War es überhaupt in Philadelphia gewesen? Mein Kopf war leer, entweder vor Erschöpfung oder schlicht aus Vergesslichkeit; die Zeiten, in denen ich in meinem Sprechzimmer in Fraser’s Ridge Äther hergestellt hatte, schienen mir so weit zurückzuliegen wie die Sintflut.

Ich fand die erste Apotheke und erwarb dort einige nützliche Dinge, darunter auch ein Gefäß mit Blutegeln – obwohl mir bei dem Gedanken, Henri-Christian einen davon in den Mund zu setzen, ein wenig mulmig wurde; was, wenn er es fertigbrachte, das Tier zu verschlucken.

Andererseits, so dachte ich, war er ein vierjähriger Junge mit einem höchst fantasievollen älteren Bruder. Er hatte wahrscheinlich schon viel Schlimmeres verschluckt als Blutegel. Doch mit etwas Glück würde ich die Egel ja gar nicht brauchen. Außerdem hatte ich zwei sehr kleine Kautereisen gekauft. Es war eine primitive, schmerzhafte Art, Blutungen zu stoppen – aber sie war sehr wirksam.

Doch Vitriol hatte der Apotheker nicht. Er hatte sich dafür entschuldigt und gesagt, derartige Dinge müssten aus England importiert werden, und durch den Krieg … Ich dankte ihm und begab mich in die zweite Apotheke. Wo man mir mitteilte, dass man zwar etwas Vitriol gehabt hätte, dieses aber vor einiger Zeit an einen englischen Lord verkauft hätte, obwohl sich der Mann hinter der Ladentheke überhaupt nicht vorstellen konnte, was er damit wollte.

»Ein englischer Lord?«, sagte ich überrascht. Es konnte doch wohl nicht Lord John sein? Andererseits war es ja nicht so, dass die englische Aristokratie derzeit in Scharen nach Philadelphia strömte, es sei denn, die Mitglieder derselben waren Soldaten. Und der Mann hatte »Lord« gesagt, nicht Major oder Hauptmann.

Wer nicht wagt, der nicht gewinnt; ich fragte, und man teilte mir pflichtschuldigst mit, dass es sich um einen gewissen Lord John Grey handelte und er sich das Vitriol in sein Haus an der Chestnut Street hatte liefern lassen.

Mit einem Gefühl wie Alice im Kaninchenbau – ich fühlte mich immer noch ein wenig benommen vom Schlafmangel und der anstrengenden Seereise – fragte ich nach dem Weg zur Chestnut Street.

Die Tür des Hauses wurde von einer außerordentlich schönen jungen Frau geöffnet, deren Kleidung keinen Zweifel daran ließ, dass sie nicht zum Personal gehörte. Wir blinzelten einander überrascht an; sie konnte mich eindeutig nicht einordnen, doch als ich mich nach Lord John erkundigte und sagte, er sei ein alter Bekannter, bat sie mich bereitwillig herein und sagte, ihr Onkel würde gleich zurück sein, er hätte nur ein Pferd zum Beschlagen gebracht.

»Man sollte ja meinen, dass er den Stalljungen schickt«, sagte die junge Frau – die sich als Lady Dorothea Grey vorstellte – entschuldigend. »Oder meinen Vetter. Aber Onkel John ist sehr eigen, wenn es um seine Pferde geht.«

»Euer Vetter?«, fragte ich, während sich mein behäbiger Verstand die möglichen Familienverbindungen ausmalte. »Ihr meint aber nicht William Ransom, oder?«

»Ellesmere, ja«, sagte sie mit überraschter, aber erfreuter Miene. »Kennt Ihr ihn etwa?«

»Wir sind uns ein- oder zweimal begegnet«, sagte ich. »Wenn Ihr mir die Frage gestattet – wie kommt es denn, dass er in Philadelphia ist? Ich … äh … hatte gedacht, er wäre mit dem Rest von Burgoynes Armee nach Boston gegangen, um von dort nach England zu fahren.«

»Oh, so ist es auch«, erwiderte sie. »Doch er ist zuerst hierhergekommen, um seinen Vater zu sehen – das ist Lord John – und meinen Bruder.« Ihre großen blauen Augen verfinsterten sich ein wenig, als sie ihn erwähnte. »Henry ist leider schwer krank.«

»Es tut mir sehr leid, das zu hören«, sagte ich aufrichtig, aber kurz angebunden. Ich war viel mehr an Williams Anwesenheit interessiert, doch bevor ich die nächste Frage stellen konnte, erschollen leichtfüßige, rasche Schritte auf der Veranda, und die Eingangstür öffnete sich.