»Wann willst du denn heiraten, Dottie?«, fragte William, der sie gern beschäftigt halten wollte. Ein seltsamer Geruch drang über ihnen aus dem Fenster; der Hund zog die Nase kraus und schüttelte verwirrt den Kopf, und William konnte ihm das gut nachempfinden. Es war ein übler, widerlicher Geruch – dazu konnte er deutlich Blut riechen und den schwachen Gestank von Scheiße. Es war der Geruch eines Schlachtfeldes, und seine Innereien verkrampften sich beklommen.
»Ich möchte heiraten, bevor die Kämpfe wieder losbrechen«, antwortete seine Cousine ernst und wandte sich ihm zu, »damit ich mit Denny gehen kann – und mit Rachel«, fügte sie hinzu und nahm lächelnd die Hand ihrer zukünftigen Schwägerin.
Rachel erwiderte ihr Lächeln, wenn auch nur kurz.
»Wie merkwürdig das ist«, sagte sie zu ihnen beiden, doch ihre Haselaugen waren auf William gerichtet, sanft und bekümmert. »Sehr bald werden wir wieder Feinde sein.«
»Ich habe mich noch nie als Euer Feind gefühlt, Ms Hunter«, erwiderte er genauso leise. »Und ich werde stets Euer Freund sein.«
Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, doch der Kummer in ihren Augen blieb.
»Du weißt, was ich meine.« Ihr Blick glitt von William zu Dottie hinüber, die auf ihrer Seite saß, und mit einem Mal begriff William, dass seine Cousine im Begriff war, einen Rebellen zu heiraten – sogar selbst zur Rebellin zu werden. Dass er sich also bald schon im Krieg mit einem Teil seiner eigenen Familie befinden würde. Die Tatsache, dass sich Denny Hunter weigerte, zur Waffe zu greifen, würde ihn nicht schützen – oder Dottie. Oder Rachel. Alle drei waren sie des Hochverrats schuldig. Jeder Einzelne von ihnen konnte getötet, gefangen genommen, eingekerkert werden. Was würde er tun, dachte er plötzlich entsetzt, wenn er eines Tages mit ansehen musste, wie man Denny hängte? Oder sogar Dottie?
»Ich weiß, was Ihr meint«, sagte er leise. Doch er nahm Rachels Hand, und sie gab sie ihm, und zu dritt saßen sie da, miteinander verbunden, und erwarteten den Urteilsspruch der Zukunft.
Kapitel 89
Der tintenbefleckte Krüppel
Ich befand mich todmüde auf dem Rückweg in die Druckerei, in jenem Zustand, in dem man sich wie betrunken fühlt – euphorisch und unkoordiniert. Tatsächlich war ich obendrein körperlich ein wenig betrunken; Lord John hatte darauf bestanden, sowohl Denzell als auch mich mit seinem besten Brandy aufzupäppeln, als er sah, wie erschöpft wir nach der Operation waren. Ich hatte nicht Nein gesagt.
Es war eine der haarsträubendsten Operationen, die ich je im achtzehnten Jahrhundert durchgeführt hatte. Ich hatte nur zwei weitere Bauchoperationen durchgeführt: Aidan McCallums erfolgreiche Blinddarmentfernung unter dem Einfluss von Äther – und den erfolglosen Kaiserschnitt, den ich mit einem Gartenmesser an der ermordeten Malva Christie versucht hatte. Die Erinnerung daran versetzte mir den üblichen Stich der Trauer und des Bedauerns, doch diesmal war er seltsam gedämpft. Das, woran ich mich vor allem erinnerte, als ich in der Abendkühle heimwanderte, war das Gefühl des Lebens, das ich in der Hand gehalten hatte – so kurz, so flüchtig –, doch da, unverwechselbar und berauschend, eine kleine blaue Flamme.
Vor zwei Stunden hatte ich Henry Greys Leben in den Händen gehalten und dieses Auflodern erneut gespürt. Einmal mehr hatte ich diese Flamme mit meiner ganzen Willenskraft am Brennen gehalten, doch diesmal hatte ich gespürt, wie sie in meinen Handflächen Fuß fasste und wuchs wie eine Kerzenflamme, die den Docht ergreift.
Die Kugel war in seinen Darm eingedrungen, hatte sich aber nicht verkapselt. Stattdessen verharrte sie eingeschlossen, aber beweglich, unfähig, aus dem Körper auszutreten, doch beweglich genug, um die Darmschleimhaut zu reizen, die sich mit Geschwüren überzogen hatte. Nach kurzer Diskussion mit Denzell Hunter – der so fasziniert war von der neuen Erfahrung, das funktionierende Innere einer Person zu untersuchen, während diese bewusstlos war, dass er sich kaum auf unsere Aufgabe konzentrieren konnte und sich stattdessen lauthals von den kräftigen Farben und dem Pulsieren der lebendigen Organe beeindruckt gezeigt hatte – hatte ich beschlossen, dass die Wucherungen zu weit um sich gegriffen hatten. Sie herauszuschneiden, hätte den Dünndarm dramatisch verengt und das Risiko beträchtlicher Narbenbildung mit sich gebracht, die den Darm noch weiter verschmälert und möglicherweise ganz blockiert hätte.
Also hatten wir eine bescheidene Verkürzung vorgenommen, und noch jetzt spürte ich etwas zwischen Gelächter und Bestürzung, wenn ich an Lord Johns Gesicht dachte, als ich den zugewucherten Darmabschnitt herausgetrennt und ihn mit einem Platsch zu seinen Füßen auf den Boden fallen gelassen hatte. Ich hatte es nicht mit Absicht getan; ich hatte einfach nur beide Hände gebraucht, und Denzell hatte die Blutung stoppen müssen. Wir hatten halt keine OP-Schwester, die uns helfen konnte.
Der Junge war noch lange nicht über den Berg. Ich wusste nicht, ob mein Penizillin wirken würde oder ob sich trotzdem irgendeine grauenhafte Entzündung entwickeln würde. Doch er war wach, und Atmung, Puls und Temperatur waren überraschend gut – vielleicht, so dachte ich, wegen Mrs Woodcock, die seine Hand gehalten und sein Gesicht gestreichelt hatte und ihn mit einer leidenschaftlichen Zärtlichkeit zum Aufwachen gedrängt hatte, die keinen Zweifel an den Gefühlen ließ, die sie für ihn empfand.
Ich fragte mich flüchtig, was die Zukunft wohl für sie bereithalten mochte. Durch ihren ungewöhnlichen Namen aufmerksam geworden, hatte ich sie vorsichtig nach ihrem Mann gefragt, und ich war mir sicher, dass er es war, dessen amputiertes Bein ich auf dem Rückzug aus Ticonderoga versorgt hatte. Ich hielt es für sehr wahrscheinlich, dass er tot war; wenn ja, was würde wohl zwischen Mercy Woodcock und Henry Grey geschehen? Sie war eine freie Frau, keine Sklavin. Eine Heirat war nicht undenkbar – nicht halb so undenkbar, wie es eine solche Beziehung zweihundert Jahre in der Zukunft in den Vereinigten Staaten sein würde: Auf den Westindischen Inseln waren Eheschließungen zwischen schwarzen oder Mulattenfrauen aus guter Familie und weißen Männern zwar nicht unbedingt an der Tagesordnung, doch sie waren auch nicht der Gegenstand öffentlicher Skandale. Aber Philadelphia war nicht die Westindischen Inseln, und nach allem, was mir Dottie über ihren Vater erzählt hatte …
Ich war einfach viel zu müde, um darüber nachzudenken, und das brauchte ich auch nicht. Denny Hunter hatte sich bereit erklärt, während der Nacht bei Henry zu bleiben. Ich verdrängte das ungleiche Pärchen aus meinen Gedanken, während ich leicht unsicher über die Straße wanderte. Ich hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen, und es war jetzt fast dunkel; der Brandy war direkt durch die Wände meines leeren Magens in meinen Blutkreislauf übergegangen, und ich summte im Gehen leise vor mich hin. Es war die Stunde des Zwielichts, in der die rundlichen Pflastersteine transparent zu werden schienen und das Laub der Bäume so schwer wie Smaragde an den Zweigen hing, grün und leuchtend und von betörendem Duft.
Ich sollte schneller gehen; es gab eine Sperrstunde. Doch wer sollte mich schon festnehmen? Ich war zu alt, um von patrouillierenden Soldaten belästigt zu werden, wie sie es vielleicht mit einem jungen Mädchen getan hätten, und ich hatte das falsche Geschlecht, um Verdacht zu erregen. Falls ich einer Patrouille begegnete, würden sie mich höchstens beschimpfen und mir sagen, ich sollte heimgehen – was ich ja ohnehin tat.
Plötzlich kam mir der Gedanke, dass ich ja die Dokumente transportieren konnte, die Marsali umsichtig als »Mr Smiths Papiere« bezeichnete: die Briefe, die von den Söhnen der Freiheit in Umlauf gebracht wurden und zwischen den Dörfern und Städten die Runde machten, die durch die Kolonien wirbelten wie Blätter im Frühjahrssturm, die kopiert und weiterverbreitet wurden, die manchmal gedruckt und in den Städten verteilt wurden, wenn sich ein Drucker fand, der den Mut besaß, diese Aufgabe zu übernehmen.