Unterdessen habe ich heute Morgen in einem Kaffeehaus am Montmartre gespeist, wo ich das Glück hatte, Mr Lyle zu begegnen, den ich schon aus Edinburgh kannte. Er hat mich sehr freundlich begrüßt und sich nach meinem Wohlergehen erkundigt. Und nach ein paar persönlichen Worten hat er mich eingeladen, der Zusammenkunft einer gewissen Vereinigung beizuwohnen, zu deren Mitgliedern Voltaire, Diderot und andere zählen, deren Meinung in jenen Kreisen, die ich zu beeinflussen hoffe, gern gehört wird.
Daher habe ich mich um zwei Uhr zu einem Haus begeben, wo man mich einließ und ich mich alsbald aufs Gastlichste aufgenommen fand, da es sich um Monsieur Beaumarchais’ Pariser Residenz handelt.
Die dort versammelte Gesellschaft war bunt gemischt; sie reichte vom schäbigsten Kaffeehausphilosophen bis hin zu den elegantesten Schmuckstücken der Pariser Gesellschaft, und das Einzige, was sie alle verband, war die Freude am Reden. Gewiss gab der eine oder andere vor, Vernunft und Intellekt zu besitzen, doch darauf wurde nicht beharrt. Ich konnte mir keinen günstigeren Wind für meine Jungfernfahrt als politischer Provokateur wünschen, und wie Du sehen wirst, ist Wind auch ein höchst zutreffendes Bild für die Ereignisse des Tages.
Nach einigem belanglosem Geplänkel an den Erfrischungstischen (hätte man mich auf die hier üblichen Sitten und Gebräuche vorbereitet, hätte auch ich mir die Taschen unauffällig mit Kuchen vollgestopft, wie ich es bei einigen der anderen Gäste beobachtet habe) zog sich die Gesellschaft in einen großen Saal zurück und nahm Platz, um dann einer formellen Debatte zwischen zwei Parteien beizuwohnen.
Thema der Debatte war jene populäre These, dass die Feder mächtiger sei als das Schwert, wobei Mr Lyle und seine Anhänger diese Position verteidigten, während Mr Beaumarchais und seine Freunde hartnäckig für das Gegenteil eintraten. Die Debatte war lebhaft, unter zahlreichen Anspielungen auf die Werke Rousseaus und Montaignes (und nicht wenigen abfälligen Bemerkungen über den Ersteren, dank seiner unmoralischen Ansichten über die Ehe), doch schließlich siegte Mr Lyles Partei mit ihren Argumenten. Ich habe mit dem Gedanken gespielt, der Versammlung meine rechte Hand als Beispiel für die Gegenposition zu zeigen (einige Zeilen in meiner Handschrift hätten mit Sicherheit alle überzeugt), verzichtete jedoch darauf, da ich nur ein Beobachter war.
Später bot sich mir die Gelegenheit, an Monsieur Beaumarchais heranzutreten und eine solche Anmerkung im Scherz auszusprechen, um mir seine Aufmerksamkeit zu sichern. Er war höchst beeindruckt von meinem fehlenden Finger, und als ich ihm von der Situation berichtete, bei der es dazu gekommen war (oder vielmehr das, was ich ihm mitzuteilen beschloss), beharrte er darauf, dass ich seine Anhänger zum Haus der Herzogin des Chaulnes begleitete, wo er zum Essen erwartet wurde, da der Herzog dafür bekannt ist, sich sehr für die ursprünglichen Einwohner der Kolonien zu interessieren.
Du wirst Dich zweifellos fragen, welche Verbindung zwischen den Wilden und Deiner höchst eleganten Amputation besteht? Hab bitte noch einige Zeilen Geduld.
Die herzögliche Residenz befindet sich an einer Straße mit einer großzügigen Auffahrt, auf welcher ich vor M. Beaumarchais’ Kutsche noch weitere kostbare Gefährte wahrnahm. Stell Dir nur mein Entzücken vor, als man mir berichtete, dass der Herr, der gerade vor uns ausstieg, kein anderer war als M. Vergennes, der Außenminister.
Ich habe mich zu der Fügung des Schicksals beglückwünscht, so schnell so vielen Personen zu begegnen, die meinen Zielen dienlich sind, und mir alle Mühe gegeben, mich bei ihnen anzubiedern – und habe zu diesem Zweck von meinen Reisen in Amerika erzählt und mir dazu nicht wenige Geschichten aus dem Fundus unseres guten Freundes Myers ausgeborgt.
Die Runde zeigte sich auf höchst zufriedenstellende Weise erstaunt. Mit besonderer Aufmerksamkeit lauschten sie der Geschichte unserer Begegnung mit dem Bären und mit Nacognaweto und seinen Freunden. Ich habe Deine tapferen Bemühungen mit dem Fisch lebhaft beschrieben, was die Anwesenden sehr belustigt hat, obwohl die Damen höchst schockiert über meine Beschreibung Deiner indianischen Aufmachung waren. Lyle hingegen konnte gar nicht genug von Deiner Erscheinung in Lederhosen hören – woraus ich geschlossen habe, dass er ein stadtbekannter Lüstling ist, eine Vermutung, die sich im weiteren Verlauf des Abends bestätigte, als ich ihn im Korridor mit Mademoiselle Erlande beobachtet habe, ihrerseits eine höchst liederliche Person.
Jedenfalls brachte diese Erzählung Lyle dazu, die Aufmerksamkeit auf meine Hand zu lenken und mich zu drängen, die Geschichte zu wiederholen, die ich bereits am Nachmittag erzählt hatte, wie es dazu kam, dass ich den Finger verlor.
Angesichts der Tatsache, dass die Mitglieder der Runde auf einem solchen Gipfel des Vergnügens angelangt waren – und von Champagner, Gin und großen Mengen Punsch derart beflügelt waren –, dass sie mir jedes Wort von den Lippen ablasen, habe ich keine Mühen gescheut, ihnen eine Horrorgeschichte zu erzählen, die sie noch in ihren Betten erzittern lassen dürfte.
Ich war (so sagte ich) auf der Reise von Trenton nach Albany in die Gefangenschaft der furchterregenden Irokesen geraten. Ich habe ihnen die grausige Erscheinung und die blutrünstigen Gebräuche der Wilden bis ins Detail ausgeschmückt – was ja auch kaum großer Übertreibung bedurfte – und mich ausgiebig mit den schrecklichen Folterqualen befasst, welche die Irokesen ihren unschuldigen Opfern angedeihen lassen. La Comtesse Poutonde ist bei meiner Schilderung des furchtbaren Todes von Vater Alexandre in Ohnmacht gefallen, und auch der Rest der Runde war sehr mitgenommen.
Ich habe ihnen von Two Spears erzählt, der hoffentlich nichts dagegen hat, dass ich seinen Charakter für einen guten Zweck beschmutze, umso mehr, als er ja nie davon erfahren wird. Dieser Häuptling, so sagte ich, habe mich foltern wollen und mich dazu nackt ausziehen und auf grausame Weise auspeitschen lassen. Im Gedenken an unseren guten Freund Daniel, der ja ein ähnliches Unglück zu seinem Vorteil gewendet hat, habe ich mein Hemd gehoben und meine Narben zur Schau gestellt. (Ich kam mir dabei zwar wie eine Hure vor, doch ich weiß ja, dass die meisten Huren ihrem Beruf aus reiner Notwendigkeit nachgehen, und ich tröste mich damit, dass es hier ähnlich ist.) Die Reaktion meiner Zuhörer ließ nichts zu wünschen übrig, und ich konnte getrost in dem Bewusstsein fortfahren, dass sie mir von diesem Punkt an alles glauben würden.
Daraufhin (so sagte ich) hätten mich zwei der indianischen Krieger halb ohnmächtig vor den Häuptling geführt und mich flach auf einen großen Stein gelegt, dessen Oberfläche unheilvolle Spuren vorhergehender Opferrituale aufwies.
Dann habe sich mir ein heidnischer Priester oder Schamane genähert, welcher grauenvolle Schreie ausstieß und einen Stab schüttelte, der mit vielen Skalps geschmückt war, was in mir die Furcht auslöste, mein eigenes Haar könnte ihn aufgrund seiner ungewöhnlichen Farbe dazu verlocken, es seiner Sammlung einzuverleiben (ich hatte mir das Haar nicht gepudert, allerdings nur, weil ich keinen Puder hatte, nicht in weiser Voraussicht). Diese Angst nahm noch zu, als der Schamane ein großes Messer zog und mit vor Bosheit glitzernden Augen näher kam.
An diesem Punkt glitzerten auch die Augen meiner genannten Zuhörer, die inzwischen die Größe von Untertassen angenommen hatten. Viele der Damen stießen Ausrufe des Mitleids mit meiner verzweifelten Lage aus, und die Herren äußerten leidenschaftliche Beschimpfungen der verbrecherischen Wilden, die die Schuld an meinem Leiden trugen.