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Hatte er Ähnliches empfunden oder gedacht, als er mich beim Aufwachen an seiner Seite fand?

»Vielleicht ist es ja auch Neugier«, sagte er, und sein Lächeln wurde breiter. »Ich habe schon lange keine nackte Frau mehr gesehen, abgesehen von den Negersklavinnen auf den Docks in Charleston.«

»Wie lang ist denn ›schon lange‹? Hattet Ihr fünfzehn Jahre gesagt?«

»Oh, einiges länger. Isobel –« Er hielt abrupt inne, und das Lächeln verschwand. Es war das erste Mal, dass er seine verstorbene Frau erwähnte.

»Ihr habt sie niemals nackt gesehen?«, fragte ich, etwas mehr als nur neugierig. Er wandte das Gesicht ein wenig ab und senkte die Lider.

»Äh … nein. Es war nicht … Sie wollte nicht … Nein.« Er räusperte sich, dann hob er die Lider und sah mich mit solch durchdringender Aufrichtigkeit an, dass ich am liebsten meine Augen abgewandt hätte.

»Ich bin nackt für Euch«, sagte er schlicht und zog sein Laken zurück.

Nach dieser Einladung konnte ich kaum dankend ablehnen. Und wenn ich ehrlich war, wollte ich ihn sehen, schon aus Neugier. Er war schlank und schmal, aber muskulös und fest. Etwas nachgiebig an der Taille, aber kein Fett – und mit einem dichten blonden Pelz bewachsen, der sich zwischen seinen Beinen zu Braun verdunkelte. Es war der Körper eines Kriegers; solche Körper waren mir vertraut. Eine Seite seiner Brust war mit zahlreichen Narben gezeichnet, die sich kreuzten, und er hatte noch mehr – ein tiefer Wulst hoch auf dem einen Oberschenkel, eine gezackte Narbe, die an einen Blitz erinnerte, am linken Unterarm.

Wenigstens waren meine Narben nicht zu sehen, dachte ich, und bevor ich noch länger zögern konnte, zog ich mir ebenfalls das Laken vom Körper. Er betrachtete mich mit tiefer Neugier und lächelte schwach.

»Ihr seid sehr schön«, sagte er höflich.

»Für eine Frau in meinem Alter?«

Sein Blick wanderte leidenschaftslos über mich hinweg, nicht kritisch, sondern wie der Blick eines gebildeten Mannes, der das, was er sah, im Licht seiner jahrelangen Erfahrung betrachtete.

»Nein«, sagte er schließlich. »Nicht für eine Frau in Eurem Alter, gar nicht ›für eine Frau‹, glaube ich.«

»Sondern?«, fragte ich fasziniert. »Ein Kunstgegenstand? Eine Skulptur?« Das konnte ich mir irgendwie sogar vorstellen. Wie in einem Museum vielleicht: verwitterte Statuen, Überreste untergegangener Kulturen, die jedoch noch einen Hauch der ursprünglichen Inspiration in sich trugen, der auf seltsame Weise durch die Lupe des Alters betont wurde, durch seine lange Geschichte zu etwas Heiligem wurde. Ich hatte mich zwar selbst noch nie in einem solchen Licht gesehen, doch ich konnte mir nicht vorstellen, was er sonst meinen könnte.

»Als meine Freundin«, sagte er schlicht.

»Oh«, sagte ich gerührt. »Danke.«

Ich wartete kurz, dann zog ich das Laken über uns beide.

»Da wir Freunde sind«, sagte ich ermutigt.

»Ja?«

»Ich habe mich nur gefragt … Seid Ihr … die ganze Zeit allein gewesen? Seit Eure Frau gestorben ist?«

Er seufzte, ließ mich aber durch sein Lächeln wissen, dass ihm die Frage nichts ausmachte.

»Wenn Ihr es wirklich wissen müsst, erfreue ich mich seit Jahren einer körperlichen Beziehung mit meinem Koch. Auf Mount Josiah, in Virginia. Sein Name ist Manoke.«

»Ma – oh!« Ich erinnerte mich, dass uns Bobby Higgins erzählt hatte, dass Lord John einen indianischen Koch namens Manoke hatte.

»Es ist nicht nur die Befriedigung unausweichlicher Bedürfnisse«, fügte er hinzu und wandte den Kopf, um mich anzusehen. »Wir haben uns wirklich gern.«

»Es freut mich, das zu hören«, murmelte ich. »Er, äh, ist er …«

»Ich habe keine Ahnung, ob seine Vorlieben einzig Männern gelten, doch ich bezweifle es sehr. Ich war hinreichend überrascht, als er mir sein Begehren offenbart hat – aber ich kann mich nicht beklagen, ganz gleich, welche Vorlieben er hegt.«

Ich rieb mir mit dem Fingerknöchel über die Lippe, denn ich wollte nicht, dass ihm meine Neugier vulgär erschien – doch gleichzeitig war meine Neugier schlicht vulgär.

»Es stört Euch nicht, wenn er … sich andere Liebhaber nimmt? Oder ihn, wenn Ihr das tut?« Mir wurde plötzlich beklommen zumute. Ich hatte nicht vor zuzulassen, dass das, was letzte Nacht geschah, sich je wiederholte. Eigentlich versuchte ich sogar immer noch, mir einzureden, dass es auch diesmal gar nicht geschehen war. Auch hatte ich nicht vor, mit ihm nach Virginia zu ziehen. Doch was, wenn ich es tat und Lord Johns Haushalt dann davon ausging … Schlagartig kamen mir Visionen von einem aufgebrachten indianischen Koch, der mir die Suppe vergiftete oder mir hinter dem Abort mit dem Tomahawk auflauerte.

Doch John schien darüber nachzudenken. Ich sah, dass er kräftigen Bartwuchs hatte; die blonden Stoppeln ließen seine Gesichtszüge sanfter erscheinen, und gleichzeitig sah er seltsam wie ein Fremder aus – ich hatte ihn nur ganz selten anders als perfekt rasiert und frisiert gesehen.

»Nein. Es hat nichts … Besitzergreifendes an sich«, sagte er schließlich.

Ich sah ihn unverhohlen ungläubig an.

»Ich versichere es Euch«, sagte er mit einem kleinen Lächeln. »Nun ja, möglicherweise kann ich es am besten mit einer Analogie beschreiben. Auf meiner Plantage – sie gehört natürlich William; ich bezeichne sie nur als die meine, weil ich dort wohne –«

Ich stieß einen kleinen, höflichen Kehllaut aus, um ihm anzudeuten, dass er sein Bedürfnis nach absoluter Genauigkeit ruhig im Interesse der eigentlichen Pointe zügeln könne.

»Auf der Plantage«, sagte er, ohne mich zu beachten, »gibt es eine große freie Fläche an der Rückseite des Hauses. Erst war es nur eine kleine Lichtung, doch im Lauf der Jahre habe ich sie vergrößert und schließlich Rasen gesät. Am Rand verläuft sich die Lichtung im Wald. Abends kommen oft Rehe aus dem Wald, um am Rand des Rasens zu fressen. Doch hin und wieder sehe ich ein ganz bestimmtes Reh. Ich nehme an, es ist weiß, aber es sieht aus, als wäre es aus Silber. Ich weiß nicht, ob es nur bei Mondschein kommt oder ob ich es nur bei Mondschein sehen kann – aber es ist ein selten schöner Anblick.«

Sein Gesichtsausdruck war sanft geworden, und ich konnte sehen, dass er nicht die Stuckdecke über uns sah, sondern das weiße Reh, das im Mondlicht schimmerte.

»Es kommt für zwei Nächte, drei – selten vier –, und dann ist es wieder fort, und ich sehe es wochen-, manchmal monatelang nicht wieder. Und dann kommt es wieder, und ich bin von Neuem verzaubert.«

Die Bettwäsche raschelte, als er sich auf die Seite drehte, um mich anzusehen.

»Versteht Ihr? Ich besitze dieses Tier nicht – würde es auch nicht besitzen wollen, wenn ich es könnte. Sein Kommen ist ein Geschenk, das ich voll Dankbarkeit annehme, doch wenn es fort ist, fühle ich mich nicht verlassen oder beraubt. Ich bin nur froh, dass ich es hatte, solange es bleiben wollte.«

»Und Ihr wollt sagen, dass Eure Beziehung mit Manoke genauso ist. Glaubt Ihr, er empfindet es ebenso?«, fragte ich fasziniert. Er musterte mich, und seine Verblüffung war nicht zu übersehen.

»Ich habe keine Ahnung.«

»Ihr, äh … unterhaltet Euch nicht im Bett?«, versuchte ich, es diplomatisch zu formulieren.

Sein Mund zuckte, und er wandte den Blick ab.

»Nein.«

Eine Weile lagen wir schweigend da und betrachteten die Zimmerdecke.

»Hattet Ihr das je?«, entfuhr es mir.

»Hatte ich was?«

»Einen Geliebten, mit dem Ihr geredet habt?«

Er räusperte sich kurz.

»Ja. Vielleicht nicht ganz so offen, wie ich feststelle, dass ich mit Euch spreche, aber, ja.« Er öffnete den Mund, als wollte er noch etwas sagen oder fragen, doch stattdessen holte er Luft, schloss den Mund und atmete langsam aus.

Ich wusste – unvermeidlicherweise –, dass er gern gewusst hätte, wie Jamie im Bett war, über das hinaus, was ich ihm unbeabsichtigterweise letzte Nacht gezeigt hatte. Und ich musste zugeben, dass die Versuchung groß war, es ihm zu erzählen, wenn auch nur, um Jamie für einige Minuten wieder zum Leben zu erwecken, während wir uns unterhielten. Doch ich wusste, dass solche Enthüllungen ihren Preis haben würden und ich später nicht nur das Gefühl haben würde, Jamie verraten zu haben, sondern auch, John schamlos benutzt zu haben – selbst wenn dies auf seinen Wunsch geschah. Doch auch wenn nun niemand mehr meine Erinnerungen an das teilte, was in unseren intimen Momenten zwischen Jamie und mir vorging – sie waren Teil dieser Intimität, und es stand mir nicht zu, sie zu verschenken.