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Wenn es Ian war, was mochte er tun? Die Fährte führte sie auf den Stadtrand zu – nicht entlang der Hauptstraße, sondern abseits des gepflegten, wohlhabenden Teils der Stadt in eine Gegend mit baufälligen Häusern und den improvisierten Lagern des britischen Trosses. Eine Hühnerschar zerstob gackernd, als Rollo ihnen näher kam, doch er hielt nicht inne. Jetzt beschrieb er einen Halbkreis und bog hinter einem Schuppen in eine enge, ungepflasterte Straße ein, die sich wie eine Zunge zwischen zwei Reihen dicht stehender, nachlässig gebauter Häuser hindurchschlängelte.

Sie hatte Seitenstiche, und der Schweiß rann ihr über das Gesicht, doch sie lief hartnäckig weiter. Aber der Vorsprung des Hundes wurde immer größer; sie würde ihn jeden Moment aus den Augen verlieren – ihr rechter Schuh hatte ihr die Haut von der Ferse gescheuert, und sie fühlte sich, als füllte sich ihr Schuh mit Blut, auch wenn das wahrscheinlich nur Einbildung war. Sie hatte schon Männer mit den Schuhen voller Blut gesehen …

Rollo verschwand am Ende der Straße, und sie flitzte wie wild hinter ihm her. Ihre Strümpfe rutschten herunter, und ihr Unterrock löste sich, sodass sie sich auf den Saum trat und ihn zerriss. Wenn sie Ian fand, würde sie ein Wörtchen mit ihm zu reden haben, dachte sie. Falls sie bis dahin wieder reden konnte.

Am Ende der Straße war keine Spur von dem Hund zu sehen. Hektisch sah sie sich um. Sie befand sich an der Rückseite eines Wirtshauses; sie konnte den Hopfen in den Brauereikesseln riechen und den Gestank der Abfallgrube, auf der anderen Seite des Gebäudes waren Stimmen auf der Straße zu hören. Soldatenstimmen – die Art, wie sich Soldaten unterhielten, war nicht zu verwechseln, selbst wenn sie die Worte nicht ausmachen konnte –, und sie blieb stehen, das Herz in der Kehle.

Doch sie hatten niemanden festgenommen; es war nur ein normales, beiläufiges Gespräch unter Männern kurz vor dem Aufbruch. Sie hörte das Klirren ihrer Ausrüstung, die Schritte ihrer Stiefel auf dem Pflaster.

Eine Hand packte ihren Arm, und sie schluckte ihren Aufschrei herunter, bevor er ihrer Kehle entweichen konnte, denn sie hatte Todesangst, Ian zu verraten. Doch es war nicht Ian, der sie gepackt hatte. Harte Finger bohrten sich in ihren Oberarm, und ein hochgewachsener weißhaariger alter Mann blickte mit brennenden Augen auf sie hinunter.

Ian war ausgehungert. Er hatte seit über vierundzwanzig Stunden nichts mehr gegessen, denn er wollte keine Zeit damit verlieren, entweder zu jagen oder sich eine Farm zu suchen, wo man ihm vielleicht etwas zu essen geben würde. Er hatte die zwanzig Meilen von Valley Forge nach Philadelphia wie im Nebel zurückgelegt und den weiten Weg kaum wahrgenommen.

Rachel war hier. Durch ein Wunder hier in Philadelphia. Er hatte eine Weile gebraucht, um den Argwohn der amerikanischen Soldaten zu zerstreuen, doch schließlich hatte sich ein ziemlich kräftiger deutscher Offizier mit einer großen Nase und einem neugierigen Wesen für Ians Bogen interessiert. Eine kurze Demonstration seiner Künste als Bogenschütze und eine Unterhaltung auf Französisch – denn der deutsche Offizier sprach so gut wie kein Englisch –, und dann hatte er sich endlich nach dem Aufenthaltsort eines Chirurgen namens Hunter erkundigen können.

Die Frage hatte ihm zunächst nur verständnislose Blicke eingebracht, doch von Steuben schien Ian zu mögen, und so hatte dieser jemanden fortgeschickt, um nachzufragen, während er ein Stück Brot für Ian auftrieb. Schließlich war besagter Jemand zurückgekehrt und hatte berichtet, es gäbe zwar einen Armeearzt namens Hunter, der sich normalerweise auch im Lager aufhielt, der sich jedoch hin und wieder nach Philadelphia begab, um sich um einen persönlichen Patienten zu kümmern. Hunters Schwester? Der Jemand hatte mit den Achseln gezuckt.

Doch Ian kannte die Hunters: Wo Denzell war, dort war auch Rachel. Es wusste zwar niemand, wo in Philadelphia Hunters persönlicher Patient sein könnte – hier nahm Ian eine geradezu feindselige Zurückhaltung wahr, die er zwar nicht verstand, der er aber in seiner Ungeduld auch nicht auf den Grund gehen wollte –, doch sie waren auf jeden Fall in Philadelphia.

Genau wie Ian jetzt. Er hatte sich kurz vor dem Morgengrauen in die Stadt geschlichen und sich lautlos zwischen den heruntergebrannten, stinkenden Lagerfeuern und den in Decken gewickelten, schlafenden Gestalten in den Lagern hindurchgeschlängelt, die die Stadt umringten.

In der Stadt gab es Essen, Essen in Hülle und Fülle, und einen erwartungsvollen Moment lang blieb er am Rand des Marktplatzes stehen, um sich zwischen frittiertem Fisch im Teigmantel oder einem Fleischpastetchen zu entscheiden. Gerade steuerte er den Stand der Pastetenverkäuferin an, sein Geld in der Hand, als er sah, wie die Frau über ihn hinwegblickte und ihr Gesicht eine entsetzte Miene annahm. Er fuhr herum und wurde zu Boden geworfen. Es erschollen Schreie und Rufe, doch diese gingen im wilden Schlabbern von Rollos Zunge unter, die ihm jeden Zentimeter seines Gesichtes ableckte, einschließlich der Innenseite seiner Nase.

Er stieß einen Jauchzer aus und kämpfte sich zum Sitzen hoch, während er den ekstatischen Hund abwehrte.

»A cú!«, sagte er und umarmte das riesige, sich windende Tier entzückt. Er griff dem Hund mit beiden Händen in das Nackenfell und lachte über seine Hängezunge.

»Aye, ich bin auch froh, dich zu sehen«, sagte er zu Rollo. »Aber was hast du mit Rachel gemacht?«

Fergus juckte die fehlende Hand. Dies war schon seit einiger Zeit nicht mehr vorgekommen, und er wünschte, es wäre auch jetzt nicht so. Statt seines nützlichen Hakens, mit dem er viel zu auffällig war, trug er einen mit Kleie gefüllten Handschuh an den Ärmel geheftet, und es war ihm unmöglich, für Abhilfe zu sorgen, indem er sich an seinem Stumpf kratzte.

Auf der Suche nach Ablenkung kam er aus der Scheune, in der er geschlafen hatte, und schlenderte beiläufig zu einem Lagerfeuer hinüber. Mrs Hempstead nickte ihm zu, ergriff einen Blechbecher, in den sie ihm etwas dünnflüssigen Porridge schöpfte, und reichte ihn ihm herüber. Aye, nun gut, dachte er, der Handschuh hatte auch Vorteile; er konnte zwar den Becher damit nicht ergreifen, doch er konnte ihn benutzen, um sich das heiße Gefäß an die Brust zu halten, ohne sich zu verbrennen. Und wie er freudig feststellte, setzte die Hitze dem Juckreiz ein Ende.

»Bonjour, Madame«, sagte er mit einem höflichen Kopfnicken, und Mrs Hempstead nickte trotz ihrer Müdigkeit. Ihr Mann war in Paoli ums Leben gekommen, und nun hielt sie sich und ihre drei Kinder als Wäscherin für die englischen Offiziere über Wasser. Fergus trug das Seine zu ihrem Einkommen bei, indem er sie für den Unterschlupf und etwas zu essen bezahlte. Der Bruder ihres Mannes hatte das Haus an sich genommen, es ihr und ihrer Familie jedoch großzügigerweise gestattet, in der Scheune zu schlafen – eines von drei oder vier Schlupflöchern, die Fergus abwechselnd aufsuchte.

»Ein Mann hat nach Euch gesucht, Sir«, sagte sie leise, als sie ihm einen Becher Wasser brachte.

»Aye?« Er verkniff es sich, sich umzusehen; wenn der Mann noch hier gewesen wäre, hätte sie es ihm gesagt. »Habt Ihr diesen Mann gesehen?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein, Sir. Es war Mr Jessop, mit dem er gesprochen hat, und Jessop hat es Mrs Wilkins’ Jüngstem erzählt, der vorbeigekommen ist und es meiner Mary gesagt hat. Jessop sagt, es war ein Schotte, ein hochgewachsener, gut aussehender Mann. Er meint, er ist vielleicht einmal Soldat gewesen.«

In Fergus’ Brust machte sich Aufregung breit, heiß wie der Porridge.

»Hatte er rote Haare?«, fragte er, und Mrs Hempstead zog ein überraschtes Gesicht.

»Nun, ich weiß nicht, ob der Junge etwas davon gesagt hat. Aber lasst mich Mary fragen.«

»Macht Euch keine Umstände, Madame. Ich frage sie selbst.« Er schluckte den Rest seines Haferbreis herunter und verbrannte sich dabei fast den Hals. Dann reichte er ihr den Becher zurück.