Aber ich habe dieses Wissen nun einmal. Gleichzeitig kann ich jedoch nicht mit Sicherheit sagen, wie die Dinge, von denen ich weiß, zuwege kommen werden. Ist es mir bestimmt, auf die eine oder andere Weise daran teilzuhaben? Wenn ich mich zurückhalte, wird das der Erfüllung unserer Sehnsüchte irgendwie schaden oder sie verhindern? Ich wünsche mir oft, ich könnte diese Fragen mit Deinem Mann besprechen; obwohl sie ihm als Presbyterianer vielleicht noch bestürzender erscheinen würden als mir. Und am Ende spielt es doch keine Rolle. Ich bin der, zu dem Gott mich gemacht hat, und ich muss mit den Zeiten zurechtkommen, in die er mich gepflanzt hat.
Noch habe ich zwar mein Seh- und Hörvermögen nicht verloren, und auch mein Darm gehorcht mir noch, doch ich bin kein junger Mann mehr. Ich habe ein Schwert und ein Gewehr, und ich kann mit beidem umgehen – doch ich habe auch eine Druckerpresse, und mit dieser kann ich sehr viel wirksamer umgehen; mir ist bewusst, dass man Schwert oder Muskete nur gegen einen Feind gleichzeitig richten kann, Worte jedoch gegen eine beliebige Zahl.
Deine Mutter – die sich zweifellos nicht darauf freut, mich mehrere Wochen lang seekrank in ihrer Nähe ertragen zu müssen – schlägt vor, dass ich einen Handel mit Fergus abschließe und seine Presse benutze, statt nach Schottland zu reisen, um meine eigene Presse zu holen.
Ich habe darüber nachgedacht, aber ich kann Fergus und seine Familie nicht guten Gewissens in Gefahr bringen, indem ich seine Presse für die Zwecke benutze, die ich im Sinn habe. Ihre Presse ist eine der wenigen Druckerpressen, die zwischen Charleston und Norfolk im Einsatz sind; selbst wenn ich unter noch so großer Geheimhaltung drucken würde, würde der Verdacht doch schnell auf sie fallen. Newbern ist eine Brutstätte loyalistischen Gedankenguts, und die Ursprungsstätte meiner Pamphletherstellung würde sicher umgehend ans Licht kommen.
Von der Rücksichtnahme auf Fergus und seine Familie ganz abgesehen, glaube ich aber zudem, dass es von Nutzen sein könnte, Edinburgh zu besuchen, um meine Presse abzuholen. Ich habe dort viele Bekannte; einige von ihnen sind vielleicht dem Kerker oder der Schlinge entgangen.
Der zweite – und wichtigste – Grund, der mich nach Schottland treibt, ist dein Vetter Ian. Vor Jahren habe ich seiner Mutter geschworen – auf das Grab unserer eigenen Mutter –, dass ich ihn ihr heimbringen würde, und genau dies habe ich vor, auch wenn der Mann, den ich nach Lallybroch bringe, nicht der Junge ist, der von dort fortgegangen ist. Gott allein weiß, was sie miteinander anfangen werden, Ian und Lallybroch – und Gott hat einen höchst eigenwilligen Sinn für Humor. Doch wenn er überhaupt zurückgehen soll, so muss es jetzt sein.
Der Schnee schmilzt; den ganzen Tag tropft Wasser von den Traufen, und morgens reichen die Eiszapfen vom Dach der Hütte fast bis zum Boden. In wenigen Wochen werden die Straßen passierbar sein. Es erscheint mir seltsam, Dich darum zu bitten, dass Du für das sichere Gelingen einer Reise betest, die längst abgeschlossen sein wird, wenn Du davon erfährst – im Guten oder im Schlechten –, aber ich bitte Dich dennoch darum. Sag Roger Mac, ich glaube, dass Gott keine Zeitrechnung kennt. Und gib den Kindern einen Kuss von mir.
Dein Dir zugeneigter Vater
JF
Roger setzte sich ein wenig zurück und sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Versuch’s mal auf Französisch, wie?«
»Was?« Sie spähte ihm stirnrunzelnd über die Schulter und sah die Textstelle, die sein Finger markierte. »Das, was er über seine Freunde in Edinburgh sagt?«
»Aye. Waren nicht viele von seinen Bekannten in Edinburgh Schmuggler?«
»Das hat Mama zumindest gesagt.«
»Daher die Bemerkung über die Henkersschlingen. Und woher kam der Großteil der Schmuggelware?«
Ihr Magen tat einen kleinen Satz.
»Oh, das ist nicht dein Ernst. Du meinst, er hat vor, sich mit französischen Schmugglern einzulassen?«
»Na ja, nicht unbedingt Schmuggler; anscheinend kannte er ja auch jede Menge Aufwiegler, Diebe und Prostituierte.« Roger lächelte kurz, wurde aber sofort wieder ernst.
»Ich habe ihm alles über die Revolution erzählt, was ich wusste – zugegebenermaßen nicht viele Einzelheiten, weil es ja nicht mein Spezialgebiet war –, ich habe ihm jedoch mit Sicherheit erzählt, wie wichtig Frankreich für die Amerikaner sein würde. Ich überlege ja nur –« Er hielt etwas unbehaglich inne, dann blickte er zu ihr auf. »Er fährt nicht nach Schottland, um den Kampfhandlungen aus dem Weg zu gehen, das sagt er ja ganz deutlich.«
»Du glaubst also, dass er nach politischen Kontakten sucht?«, fragte sie langsam. »Statt sich einfach seine Druckerpresse zu schnappen, Ian in Lallybroch abzusetzen und sich auf den Rückweg nach Amerika zu machen?«
Diese Idee fand sie irgendwie beruhigend. Die Vorstellung, dass ihre Eltern in Edinburgh und Paris Intrigen schmiedeten, war viel weniger haarsträubend als die Bilder vor ihrem inneren Auge, die sie inmitten von Explosionen und Schlachtfeldern zeigten. Und sie würden zusammen sein. Wohin ihr Vater ging, dort würde auch ihre Mutter sein.
Roger zuckte mit den Achseln.
»Diese beiläufige Bemerkung darüber, dass er das ist, wozu Gott ihn gemacht hat. Du weißt, was er damit meint?«
»Ein Mann der Gewalt«, sagte sie leise und rückte dichter an Roger heran. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter, als wollte sie sichergehen, dass er nicht plötzlich verschwinden würde. »Er hat mir gesagt, dass er ein brutaler Mensch ist. Dass er zwar kaum je aus freiem Willen gekämpft hat, dass er aber wusste, dass er dazu geboren war.«
»Aye, genau«, sagte Roger genauso leise. »Aber er ist nicht mehr der junge Gutsherr, der einmal sein Schwert ergriffen und dreißig Bauern in eine zum Scheitern verdammte Schlacht geführt hat – und sie wieder heimgebracht hat. Er weiß jetzt einiges mehr darüber, was ein einzelner Mann bewirken kann. Und ich glaube, das hat er vor.«
»Das glaube ich ebenso.« Sie konnte kaum schlucken, jedoch genauso sehr vor Stolz wie aus Angst.
Roger hob die Hand, legte sie auf die ihre und drückte zu.
»Ich weiß noch …«, sagte er langsam, »etwas, was deine Mutter gesagt hat, als sie uns davon erzählt hat, wie sie zurückgekommen ist und dann Ärztin geworden ist. Etwas, was dein … was Frank zu ihr gesagt hat. Dass es zwar für ihre Umgebung verdammt unbequem war, dass es aber ein großer Segen war, dass sie wusste, wozu sie bestimmt war. Ich glaube, damit hatte er recht. Und Jamie weiß es auch.«
Sie nickte. Eigentlich hielt sie wohl besser den Mund, dachte sie. Aber sie konnte sich die Frage nicht länger verkneifen.
»Weißt du es auch?«
Er schwieg lange und hielt die Augen auf die Briefseiten auf dem Tisch gerichtet, doch schließlich schüttelte er den Kopf, eine Bewegung, die so schwach war, dass Brianna sie eher spürte als sah.
»Ich habe es einmal gewusst«, sagte er und ließ ihre Hand los.
Ihr erster Impuls war es, ihm einen Fausthieb in den Nacken zu versetzen; ihr zweiter, ihn an den Schultern zu packen, sich zu ihm niederzubeugen, bis ihre Augen nur noch einen Zentimeter von den seinen entfernt waren, und – ruhig, aber deutlich – zu sagen: »Was zum Teufel meinst du denn damit?«
Sie sah von beiden Möglichkeiten ab, aber nur, weil beide wahrscheinlich zu einem Gespräch geführt hätten, das für Kinderohren absolut ungeeignet war, und beide Kinder waren draußen vor der Studierzimmertür im Flur; sie konnte sie reden hören.
»Siehst du das?«, sagte Jemmy gerade.
»Mm-hm.«
»Vor langer Zeit sind böse Männer gekommen und haben Opa gesucht. Böse Engländer. Sie sind das gewesen.«