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Die Art, wie sie ihn beschrieben hatte, hatte mich verblüfft – und doch begriff ich, dass sie recht hatte. Seit wir Mrs Bug in Fraser’s Ridge zu Grabe getragen hatten, hatte ich Arch Bug nur noch als Bedrohung für Ian wahrgenommen – und doch sah ich bei Rachels Worten bildhaft, wie seine verstümmelten, arthritischen Hände darum kämpften, dem Leichentuch seiner geliebten Frau eine Brosche in Form eines Vogels anzuheften. Der arme Verrückte, in der Tat.

Und zwar ein verdammt gefährlicher Verrückter.

»Komm mit nach unten«, sagte ich zu ihr und warf einen letzten Blick auf Williams Zimmertür. »Ich muss dir von Mr Bug erzählen.«

»Oh, Ian«, flüsterte sie, als ich meinen Bericht beendet hatte. »Oh, der arme Mann.« Ich wusste zwar nicht, ob sich Letzteres auf Mr Bug oder auf Ian bezog, doch es stimmte so oder so. Sie weinte nicht, aber ihr Gesicht war blass und still geworden.

»Beide«, pflichtete ich ihr bei. »Alle drei, wenn man Mrs Bug mitzählt.«

Sie schüttelte den Kopf, jedoch bestürzt, nicht, um zu widersprechen.

»Dann ist das der Grund –«, sagte sie, verstummte dann aber.

»Warum was?«

Sie verzog ein wenig das Gesicht, doch dann sah sie mich achselzuckend an.

»Warum er zu mir gesagt hat, er hätte Angst, ich könnte umkommen, weil ich ihn liebe.«

»Ja, das nehme ich an.«

Einen Moment saßen wir vor unserem dampfenden Zitronenmelissentee und dachten über die Situation nach. Schließlich blickte sie auf und schluckte.

»Glaubst du, Ian hat vor, ihn umzubringen?«

»Ich – Nun, ich weiß es nicht«, sagte ich. »Er täte es gewiss nicht gern; er hat sich nach Mrs Bugs Tod ja schon schrecklich gefühlt –«

»Weil er sie umgebracht hatte, meinst du.« Sie sah mich direkt an; bei Rachel Hunter gab es keine bequemen Ausreden.

»Ja. Doch wenn ihm klar wird, dass Arch Bug weiß, wer du bist und was du Ian bedeutest und dass er dir etwas antun will – und täusche dich nicht, Rachel, er will dir etwas antun …« Ich trank einen Schluck Tee und holte tief Luft. »Ja, ich glaube, dass Ian versuchen würde, ihn umzubringen.«

Sie erstarrte vollkommen, und nur der Dampf auf ihrer Tasse bewegte sich.

»Das darf er nicht«, sagte sie.

»Wie willst du ihn denn davon abhalten?«, fragte ich aus reiner Neugier.

Sie atmete langsam aus und hielt den Blick fest auf die sanft kreisende Oberfläche ihres Tees gerichtet.

»Indem ich bete«, verkündete sie.

Kapitel 98

Mischianza

18. Mai 1778

Walnut Grove, Pennsylvania

Das letzte Mal, dass ich einen vergoldeten, gebratenen Pfau gesehen hatte, war ziemlich lange her, und eigentlich hatte ich nicht damit gerechnet, so etwas noch einmal zu Gesicht zu bekommen. Gewiss nicht in Philadelphia. Nicht dass ich hätte überrascht sein sollen, dachte ich, während ich mich über den Tisch beugte, um ihn näher zu betrachten – ja, er hatte Augen, die aus Diamanten bestanden. Nicht nach der Regatta auf dem Delaware, den drei schwimmenden Musikkapellen und dem Salut aus den siebzehn Kanonen der Kriegsschiffe auf dem Fluss. Der Abend stand unter dem Motto »Mischianza«. Auf Italienisch bedeutete dieses Wort »bunte Mischung« – sagte man mir –, und im vorliegenden Fall schien man es dahin gehend interpretiert zu haben, dass man den kreativsten Köpfen in der britischen Armee und unter den Loyalisten freie Hand bei der Gestaltung eines Ballabends zu Ehren General Howes ließ, der als Oberkommandeur zurückgetreten war und seinen Platz Sir Henry Clinton überließ.

»Es tut mir leid, meine Liebe«, murmelte John an meiner Seite.

»Was denn?«, fragte ich überrascht.

Jetzt war die Überraschung ganz auf seiner Seite, und seine Augenbrauen fuhren in die Höhe.

»Nun, da ich weiß, wo deine Sympathien liegen, muss es dich doch schmerzen, mit anzusehen, wie so viel …« Mit einer diskreten Bewegung seines Handgelenks zeigte er auf die Demonstrationen des Überflusses rings um uns, die sich beileibe nicht auf den vergoldeten Pfau beschränkten. »… dass solcher Pomp und solche Kosten aufgewendet werden, um – um –«

»Sich hämisch in die Brust zu werfen?«, schloss ich trocken. »Nun, das wäre möglich – doch es ist nicht so. Ich weiß ja, was geschehen wird.«

Bei diesen Worten blinzelte er außerordentlich verblüfft.

»Was geschehen wird? Mit wem?«

Meine prophetischen Kräfte waren nur selten eine willkommene Gabe, doch unter diesen Umständen bereitete es mir ein gewisses grimmiges Vergnügen, es ihm zu sagen.

»Mit euch. Der britischen Armee, meine ich. In drei Jahren werden sie den Krieg verlieren, und was nützen ihnen dann die vergoldeten Pfauen?«

Sein Gesicht zuckte, und er verkniff sich ein Lächeln.

»Ist das so?«

»Ja, so ist es«, erwiderte ich freundlich. »Fuirich agus chi thu.«

»Was?« Er starrte mich an.

»Gälisch«, sagte ich und empfand einen leisen, tiefen Stich. »Es bedeutet so viel wie ›abwarten und Tee trinken‹.«

»Oh, das werde ich«, versicherte er mir. »Unterdessen erlaube mir, dich mit Oberstleutnant Banastre Tarleton von der britischen Legion bekannt zu machen.« Er verneigte sich vor einem kurz gewachsenen, drahtigen jungen Herrn, der auf uns zugetreten war, ein Offizier in der flaschengrünen Uniform der Dragoner. »Oberst Tarleton, meine Frau.«

»Lady John.« Der junge Mann beugte sich über meine Hand und streifte sie mit seinen sehr roten, sehr sinnlichen Lippen. Ich hätte mir die Hand am liebsten an meinem Rock abgewischt, tat dies aber nicht. »Gefallen Euch die Festivitäten?«

»Ich freue mich auf das Feuerwerk.« Er hatte schlaue Fuchsaugen, denen nichts entging, und sein sinnlicher roter Mund verzog sich bei meinen Worten, doch er lächelte nur und ließ es dabei bewenden, um sich dann Lord John zu widmen. »Mein Vetter Richard lässt Euch grüßen, Sir.«

Bei diesen Worten verwandelte sich Johns unverbindliche Höflichkeit in aufrichtiges Vergnügen.

»Richard Tarleton war in Crefeld mein Fähnrich«, erklärte er mir, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf den grünen Dragoner richtete. »Wie geht es ihm dieser Tage, Sir?«

Augenblicklich begannen sie eine detaillierte Konversation über Patente, Beförderungen, Feldzüge, Truppenbewegungen und politische Diplomatie, und ich entfernte mich. Nicht aus Langeweile, sondern vielmehr aus Taktgefühl. Ich hatte John nicht versprochen, dass ich darauf verzichten würde, nützliche Informationen weiterzugeben; er hatte mich nicht darum gebeten. Doch der Takt sowie ein gewisses Pflichtgefühl geboten es mir, dass ich zumindest nicht durch ihn oder direkt vor seiner Nase an solche Informationen gelangte.

Ich ließ mich langsam durch die Menge im Ballsaal treiben und bestaunte die Kleider der Damen, von denen viele aus Europa importiert worden waren, während der Rest vor Ort nach ihrem Vorbild angefertigt worden war. Die leuchtenden Seidenstoffe und die glitzernden Stickereien standen in solchem Kontrast zu den nüchternen Leinen- und Musselinstoffen, mit denen ich gewöhnlich umgeben war, dass es mir geradezu surreal erschien – so als würde ich mich plötzlich im Traum wiederfinden. Dieser Eindruck wurde dadurch noch verstärkt, dass sich unter den Anwesenden auch einige Ritter befanden, die mit Wappenröcken bekleidet waren und ihre Helme unter dem Arm trugen – auf dem nachmittäglichen Programm hatten unter anderem Ritterspiele gestanden –, dazu eine Reihe von Menschen in fantastischen Masken und extravaganten Kostümen, von denen ich vermutete, dass sie später ein Theaterstück aufführen würden.

Meine Aufmerksamkeit wanderte zu dem Tisch zurück, auf dem die prunkvollsten Viktualien ausgestellt waren: Der Pfau, dessen Schwanzfedern sich zu einem riesigen Rad ausbreiteten, nahm den Ehrenplatz in der Mitte ein, doch er wurde von einem ganzen Wildschwein auf einem Kohlbett flankiert – bei dessen Duft mein Magen laut zu knurren begann – und von drei enormen Wildpasteten, die mit gefüllten Singvögeln dekoriert waren. Diese erinnerten mich plötzlich an die gefüllten Nachtigallen beim Dinner des Königs von Frankreich, und mein Appetit löste sich schlagartig in einer Wolke aus Übelkeit und Trauer auf.