Schluckend richtete ich den Blick hastig wieder auf den Pfau. Ich fragte mich, wie schwierig es wohl sein mochte, die Diamantenaugen zu stehlen, und ob es wohl jemanden gab, der auf sie achtete. Mit ziemlicher Sicherheit; ich sah mich nach ihm um. Ja, da war er, ein uniformierter Soldat, der mit wachsamem Blick in einer Nische zwischen dem Buffet und dem gigantischen Kamin stand.
Doch ich brauchte keine Diamanten zu stehlen, dachte ich, und mein Magen verkrampfte sich ein wenig. Ich hatte welche. John hatte mir ein Paar Diamantohrringe geschenkt. Wenn die Zeit kam zu gehen …
»Mutter Claire!«
Ich hatte mich angenehm unsichtbar gefühlt. Aus dieser Illusion aufgeschreckt, fiel mein Blick nun durch den Saal auf Willie, dessen zerzauster Kopf aus dem rot bekreuzten Wappenrock eines Tempelritters ragte und der mir heftig zuwinkte.
»Ich wünschte, du würdest dir eine andere Bezeichnung für mich einfallen lassen«, sagte ich, als ich neben ihn trat. »Ich habe das Gefühl, als sollte ich in Nonnentracht herumlaufen mit einem Rosenkranz am Gürtel.«
Er lachte, und dann stellte er mir die junge Dame, die ihn unverhohlen anschmachtete, als Ms Chew vor und bot sich an, uns beiden ein Eis zu holen. Die Temperatur im Ballsaal musste auf die dreißig Grad zugehen, und nicht wenige der leuchtenden Seidenstoffe hatten dunkle Schweißflecken.
»Was für ein elegantes Kleid«, sagte Ms Chew höflich. »Ist es aus England?«
»Oh«, sagte ich ziemlich verblüfft. »Ich weiß es nicht. Aber danke«, fügte ich hinzu und blickte zum ersten Mal an mir hinunter. Eigentlich war mir das Kleid – abgesehen von der mechanischen Notwendigkeit hineinzusteigen – gar nicht aufgefallen; das tägliche Ankleiden war mir höchstens vage lästig, und solange es mich nirgendwo drückte oder scheuerte, war es mir gleichgültig, was ich trug.
John hatte mir das Kleid heute Morgen geschenkt und einen Friseur gerufen, der mich vom Hals aufwärts bearbeiten sollte. Ich hatte die Augen geschlossen und war schockiert gewesen, wie herrlich sich die Finger des Mannes in meinem Haar anfühlten – noch schockierter jedoch, als er mir einen Spiegel reichte und ich eine hoch aufgetürmte Komposition aus Locken und Puder erblickte, in der ein kleines Schiff befestigt war. Unter vollem Segel.
Ich hatte gewartet, bis er ging, und dann hastig alles wieder ausgebürstet und mir die Haare so schlicht wie möglich hochgesteckt. John hatte mir zwar einen vielsagenden Blick zugeworfen, aber nichts gesagt. Da ich jedoch ganz mit meinem Kopf beschäftigt gewesen war, hatte ich mir nicht die Zeit genommen, mich auch unterhalb des Halses zu betrachten, und jetzt war ich angenehm überrascht zu sehen, wie gut mir die kakaofarbene Seide passte. Der Stoff war außerdem so dunkel, dass man darauf wahrscheinlich keine Schweißflecken sah.
Ms Chew beobachtete William wie eine Katze, die eine schöne fette Maus beäugt, und runzelte ein wenig die Stirn, als er unterwegs anhielt, um mit zwei anderen jungen Damen zu flirten.
»Bleibt Lord Ellesmere noch lange in Philadelphia?«, fragte sie, ohne den Blick von ihm abzuwenden. »Ich meine, jemand hätte mir gesagt, dass er nicht mit dem General gehen wird. Ich hoffe, das stimmt!«
»Das stimmt«, sagte ich. »Er hat mit General Burgoyne kapituliert; diese Soldaten gelten alle als entlassen und sollen nach England zurückfahren, doch es gibt irgendeinen organisatorischen Grund, warum sie noch nicht fahren können.« Ich wusste, dass William auf einen Austausch hoffte, um erneut in den Krieg ziehen zu können, doch davon sagte ich nichts.
»Wirklich«, sagte sie und begann zu strahlen. »Was für herrliche Neuigkeiten! Vielleicht ist er ja dann hier, wenn ich nächsten Monat meinen Ball gebe. Er wird natürlich nicht ganz so großartig werden wie dieser hier …« Sie neigte den Kopf in Richtung der Musiker, die jetzt am anderen Ende des Saals zu spielen begonnen hatten. »Doch Major André sagt, er wird mir sein Können als Kulissenmaler zur Verfügung stellen, und so wird es –«
»Entschuldigung«, unterbrach ich sie, »habt Ihr Major André gesagt? Major … John André?«
Überrascht sah sie mich an, etwas verärgert über die Unterbrechung. »Natürlich. Er hat die Kostüme für die heutigen Ritterspiele entworfen und das Stück geschrieben, das sie später aufführen werden. Dort drüben steht er, neben Lady Clinton.«
Ich folgte der Richtung, in die sie mit ihrem Fächer zeigte, und spürte, wie mich trotz der Hitze des Ballsaals ein kalter Schauder durchfuhr.
Major André bildete den Mittelpunkt einer Gruppe von Männern und Frauen. Er gestikulierte lachend und stand eindeutig im Zentrum der Aufmerksamkeit. Er war ein gut aussehender Mann Ende zwanzig mit einer maßgeschneiderten Uniform und einem lebendigen Gesicht, das von der Hitze – und vor Vergnügen – errötet war.
»Er scheint ja … sehr charmant zu sein«, murmelte ich und hätte gern den Blick von ihm abgewandt, konnte es aber nicht.
»Oh, ja!«, rief Ms Chew begeistert aus. »Er und ich und Peggy Shippen haben die Mischianza gemeinsam geplant – er ist ein Goldstück, hat stets die besten Ideen, und er kann wunderbar Flöte spielen. Es ist so traurig, dass Peggys Vater ihr nicht erlaubt hat zu kommen – wirklich unfair!« Ich glaubte jedoch, bei diesen Worten einen Unterton der Genugtuung zu hören; sie war offensichtlich ganz zufrieden damit, das Rampenlicht nicht mit ihrer Freundin teilen zu müssen.
»Kommt, ich stelle ihn Euch vor«, sagte sie plötzlich. Sie klappte ihren Fächer zusammen und schob mir den Arm durch den Ellbogen. Ich war völlig überrumpelt und konnte mir keine Ausrede mehr ausdenken. Schon fand ich mich inmitten der Gruppe wieder, und Ms Chew plauderte fröhlich auf ihn ein und lachte ihn an, die Hand vertraulich auf seinem Arm. Er lächelte sie an, dann richtete er den Blick auf mich, und seine Augen strahlten warm und lebendig.
»Ich bin bezaubert, Lady John«, sagte er mit leiser, heiserer Stimme. »Euer Diener, Ma’am.«
»Ich … Ja«, sagte ich abrupt und vergaß die üblichen Manieren. »Ihr … Ja. Freut mich, Euch kennenzulernen!« Zu seiner Verwirrung zog ich meine Hand fort, bevor er sie küssen konnte, und wich zurück. Er blinzelte, doch Ms Chew beanspruchte seine Aufmerksamkeit sofort wieder für sich, und ich wandte mich ab und begab mich in die Nähe der Tür, wo die Luft zumindest ein wenig in Bewegung war. Ich war mit kaltem Schweiß bedeckt und zitterte am ganzen Körper.
»Oh, da bist du ja, Mutter Claire!« Willie tauchte völlig verschwitzt an meiner Seite auf, zwei halb geschmolzene Eisschälchen in den Händen. »Hier.«
»Danke.« Ich ergriff eines davon und stellte geistesabwesend fest, dass meine Finger fast genauso kalt waren wie der feuchte Silberbecher.
»Fehlt dir etwas, Mutter Claire?« Er beugte sich zu mir, um mich besorgt zu betrachten. »Du bist ja ganz blass. Als hättest du ein Gespenst gesehen.« Er zuckte entschuldigend zusammen, weil er ungeschickterweise den Tod angesprochen hatte, doch ich bemühte mich, ihn anzulächeln. Der Versuch war nicht besonders erfolgreich, doch er hatte schließlich recht. Ich hatte gerade ein Gespenst gesehen.
Major John André war der britische Offizier, mit dem sich Benedict Arnold – der Held von Saratoga, derzeit noch ein legendärer Patriot – später verschwören würde. Und der Mann, der irgendwann im Lauf der nächsten drei Jahre für seine Rolle bei dieser Verschwörung am Galgen baumeln würde.
»Solltest du dich vielleicht ein wenig hinsetzen?« Willie hatte die Stirn besorgt gerunzelt, und ich versuchte, das kalte Grauen abzuschütteln. Ich wollte nicht, dass er mir anbot, den Ball zu verlassen, um mich nach Hause zu begleiten; offenbar amüsierte er sich ja prächtig. Ich lächelte ihn an, obwohl ich meine Lippen kaum spürte.