John öffnete den Mund, doch es war Jamie, der antwortete.
»Du bist ein stinkiger Papist«, erklärte er überdeutlich, »und dein Taufname ist James.« Ein Hauch von Bedauern huschte über sein Gesicht, dann war es fort. »Es war der einzige Name, den ich dir geben durfte«, sagte er leise, die Augen auf seinen Sohn gerichtet. »Es tut mir leid.«
William fuhr sich mit der linken Hand an die Hüfte und suchte instinktiv nach einem Schwert. Da er keines fand, schlug er sich vor die Brust. Seine Hände zitterten so heftig, dass er mit den Knöpfen überfordert war. Also packte er den Stoff und riss sich das Hemd auf, griff hinein und suchte nach etwas. Er zog es sich über den Kopf und schleuderte es Jamie im selben Zug entgegen.
Jamie hob instinktiv die Hand, und der hölzerne Rosenkranz landete klatschend in seinen Fingern, die sich in der Perlenschnur verwickelten.
»Gott verdamme Euch, Sir«, sagte William mit bebender Stimme. »Möge er Euch zur Hölle schicken!« Er begann, blindlings kehrtzumachen, doch dann fuhr er wieder herum und richtete den Blick auf John. »Und du! Du hast es gewusst, nicht wahr? Gott verdamme dich auch!«
»William –« John streckte die Hand nach ihm aus, hilflos, doch bevor er noch etwas sagen konnte, erklangen unten Stimmen, und laute Schritte kamen die Treppe herauf.
»Sassenach – halt ihn auf!« Jamies Stimme drang klar und deutlich durch den Tumult zu mir. Instinktiv leistete ich ihr Folge und packte William am Arm. Vollkommen fassungslos sah er mich mit offenem Mund an.
»Was –« Seine Stimme ging im Donner der Schritte auf der Treppe und dem triumphierenden Ausruf des vorderen Rotrocks unter.
»Da ist er!«
Plötzlich wimmelte es von Menschen, die sich auf dem Treppenabsatz drängten und versuchten, sich an William und mir vorbei in den Flur zu schieben. Trotz des Gewimmels – und trotz Williams verspäteter Versuche, sich zu befreien – klammerte ich mich aus Leibeskräften fest.
Auf einmal verstummte das Geschrei, und das Gedränge ließ ein wenig nach. Meine Haube war mir im Lauf des Handgemenges in die Augen gerutscht, und ich ließ Willies Arm mit einer Hand los, um sie mir vom Kopf zu ziehen und sie zu Boden fallen zu lassen. Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass der Zustand der Respektabilität ohnehin bald jede Bedeutung für mich verlieren würde.
Nachdem ich mir mit dem Unterarm die zerzausten Haare aus der Stirn gestrichen hatte, klammerte ich mich erneut an Willie fest, obwohl dies mehr oder weniger unnötig war, da er dastand wie versteinert. Die Rotröcke wurden allmählich nervös. Sie waren eindeutig zum Angriff bereit, wurden jedoch durch irgendetwas daran gehindert. Ich wandte mich ein wenig um und sah, dass Jamie John Grey den Arm um den Hals gelegt hatte und ihm eine Pistole an die Schläfe drückte.
»Noch ein Schritt«, sagte er ruhig, aber so laut, dass man ihn gut hören konnte, »und ich jage ihm eine Kugel in den Kopf. Glaubt Ihr, ich hätte irgendetwas zu verlieren?«
Angesichts der Tatsache, dass Willie und ich unmittelbar vor ihm standen, fand ich zwar durchaus, dass dies der Fall war – doch die Soldaten wussten ja nichts davon, und seiner Miene nach hätte sich Willie eher die Zunge herausgerissen, als mit der Wahrheit herauszuplatzen. Gleichzeitig dachte ich, dass es ihn im Moment herzlich wenig gekümmert hätte, wenn Jamie John tatsächlich umgebracht hätte und danach im Kugelhagel gestorben wäre. Sein Arm war wie Eisen unter meiner Hand; wenn er gekonnt hätte, hätte er sie beide persönlich umgebracht.
Drohendes Gemurmel erhob sich unter den Männern, und sie machten sich zum Handeln bereit – doch niemand bewegte sich.
Jamie sah mich kurz mit unergründlicher Miene an, dann bewegte er sich auf die Hintertreppe zu und zerrte John hinter sich her. Sie verschwanden aus unserem Blickfeld, und der Korporal, der neben mir stand, wurde lebendig und wandte sich seinen Männern auf der Treppe zu.
»Zur Hintertür! Schnell!«
»Halt!« Willie war abrupt aus der Erstarrung erwacht. Nachdem er mir den Arm aus der mittlerweile erschlafften Hand gerissen hatte, wandte er sich an den Korporal. »Habt Ihr Männer an der Rückseite des Hauses postiert?«
Der Korporal, dem Williams Uniform jetzt erst auffiel, richtete sich auf und salutierte.
»Nein, Sir. Ich dachte nicht –«
»Idiot«, sagte Willie knapp.
»Ja, Sir. Aber wir können sie noch erwischen, wenn wir uns beeilen, Sir.« Er stand beim Sprechen zappelnd auf den Zehenspitzen, so sehr drängte es ihn loszuspurten.
Willie hatte die Hände zu Fäusten geballt und die Zähne zusammengebissen. Ich konnte seine Gedankengänge lesen, als hätte man sie ihm auf die Stirn geschrieben.
Er glaubte zwar nicht, dass Jamie Lord John erschießen würde, doch sicher war er sich nicht. Wenn er ihnen Männer hinterherschickte, war es gut möglich, dass die Soldaten sie einholen würden – was wiederum bedeutete, dass es gut möglich war, dass einer oder beide von ihnen ums Leben kamen. Und wenn keiner von ihnen starb, Jamie aber ergriffen wurde – konnte er nicht einschätzen, was dieser sagen würde und zu wem. Viel zu riskant.
Mit einem schwachen Déjà-vu-Gefühl beobachtete ich ihn bei diesen Überlegungen, dann wandte er sich an den Korporal.
»Kehrt zu Eurem Kommandeur zurück«, sagte er ruhig. »Teilt ihm mit, dass Oberst Grey von … von den Rebellen als Geisel genommen worden ist, und bittet ihn, alle Wachtposten davon zu benachrichtigen. Man soll mich unverzüglich in Kenntnis setzen, wenn es Neuigkeiten gibt.«
Unter den Soldaten auf dem Treppenabsatz erhob sich missmutiges Gemurmel, das man jedoch kaum als Befehlsverweigerung bezeichnen konnte, und unter Williams funkelndem Blick erstarb es schnell. Der Korporal bohrte sich zwar kurz die Zähne in die Oberlippe, salutierte dann aber.
»Ja, Sir.« Er machte zackig auf dem Absatz kehrt und schickte seine Soldaten mit einer schroffen Geste wieder die Treppe hinunter.
William sah zu, wie sie gingen. Als ob sie ihm plötzlich ins Auge gefallen wäre, bückte er sich dann und hob meine Haube vom Boden auf. Er knetete sie mit den Fingern und warf mir einen langen, berechnenden Blick zu. Ich konnte sehen, dass die nächsten Minuten sehr interessant werden würden.
Es kümmerte mich nicht. Ich war mir zwar vollkommen sicher, dass Jamie John unter keinen Umständen erschießen würde, gab mich jedoch keinen Illusionen hin, was die Gefahr betraf, in der sie beide schwebten. Der Geruch von Schweiß und Schießpulver hing in einer dichten Wolke auf dem Treppenabsatz, und in meinen Fußsohlen hallte der Knall wider, mit dem sich die schwere Tür unter uns geschlossen hatte. Nichts davon spielte eine Rolle.
Er lebte noch.
Genau wie ich.
Grey war immer noch in Hemdsärmeln; der Regen war ihm durch den Stoff bis auf die Haut gedrungen.
Jamie trat an die Wand des Schuppens und hielt sein Auge an einen Spalt zwischen den Brettern. Er hob die Hand, um sich Schweigen auszubitten, und John stand zitternd da und wartete, bis das Hufgetrappel und die Stimmen vorübergezogen waren. Die Geräusche wurden leiser, und Jamie kam zurück. Er runzelte die Stirn, denn erst jetzt fiel ihm auf, dass Grey völlig durchnässt war. Er nahm sich den Umhang von den Schultern und legte ihn Grey um.
Der Umhang war ebenfalls feucht, doch er bestand aus Wolle, die Jamies Körperwärme festgehalten hatte. Grey schloss einen Moment die Augen und fühlte sich umarmt.
»Darf ich erfahren, was du angestellt hast?«, erkundigte sich Grey und schlug die Augen wieder auf.
»Wann denn?«, fragte Jamie mit einem angedeuteten Lächeln. »Jetzt gerade, oder seit wir uns das letzte Mal begegnet sind?«
»Jetzt gerade.«
»Ah.« Jamie ließ sich auf einem Fass nieder und lehnte sich – vorsichtig – an die Wand.
Grey stellte mit Interesse fest, dass es fast wie »ach« klang, und schloss daraus, dass Fraser unlängst viel Zeit in der Gegenwart von Schotten verbracht hatte. Außerdem bemerkte er, dass Fraser die Lippen nachdenklich gespitzt hatte. Dann fiel der Blick der blauen Schlitzaugen in seine Richtung.