»Und was, wenn wir von analphabetischen Banditen überfallen werden?«, hatte Jamie belustigt gefragt.
»Auch daran habe ich gedacht«, teilte ich ihm mit und zeigte ihm eine kleine verkorkte Flasche mit einer milchigen Flüssigkeit. »Eau de Sauerkraut. Beim ersten Auftauchen eines Verdächtigen schütte ich es über das Fässchen.«
»Dann wollen wir hoffen, dass es keine deutschen Banditen sind.«
»Bist du denn schon einmal einem deutschen Banditen begegnet?«, fragte ich. Mit Ausnahme gelegentlicher Trunkenbolde oder gewalttätiger Ehemänner waren fast alle Deutschen in unserer Bekanntschaft aufrechte, fleißige und tugendhafte Menschen. Keine große Überraschung angesichts der Tatsache, dass so viele von ihnen als Mitglieder einer religiösen Bewegung in die Kolonie gekommen waren.
»Nicht direkt«, räumte er ein. »Aber vergiss die Muellers nicht, aye? Und das, was sie deinen Freunden angetan haben. Sie hätten sich zwar niemals als Banditen bezeichnet, aber ich glaube nicht, dass die Tuscarora das ebenso gesehen hätten.«
Das war schlicht und ergreifend die Wahrheit, und es lief mir kalt über den Rücken. Den Muellers, unseren deutschen Nachbarn, waren eine geliebte Tochter und ihr neugeborenes Kind an den Masern gestorben, und sie hatten die Indianer in ihrer Nähe für die Ansteckung verantwortlich gemacht. Außer sich vor Schmerz, war der alte Mueller mit einem Trupp seiner Söhne und Schwiegersöhne ausgezogen, um Rache zu nehmen – in Form von Skalps. Es verdrehte mir immer noch den Magen, wenn ich an den grauenvollen Anblick der weiß gesträhnten Haare meiner Freundin Nayawenne dachte, die mir aus einem Bündel in den Schoß fielen.
»Meinst du eigentlich, meine Haare werden weiß?«, fragte ich abrupt. Er zog die Augenbrauen hoch, beugte sich aber vor und betrachtete meinen Scheitel, während mir seine Finger sanft durch das Haar fuhren.
»Eines von fünfzig Haaren ist vielleicht weiß geworden. Eines von fünfundzwanzig ist silbern. Warum?«
»Dann habe ich wohl noch etwas Zeit. Nayawenne …« Ich hatte ihren Namen seit Jahren nicht mehr ausgesprochen und empfand es jetzt als seltsam beruhigend, als hätte ich sie damit selbst herbeigerufen. »Sie hat mir gesagt, ich würde meine volle Macht erlangen, wenn mein Haar weiß wird.«
»Was für ein angsteinflößender Gedanke«, sagte er grinsend.
»Zweifellos. Da es jedoch noch nicht so weit ist, werde ich mein Fässchen wohl mit dem Skalpell verteidigen müssen, wenn wir unterwegs einer Bande von Sauerkrautdieben begegnen.«
Bei diesen Worten warf er mir einen seltsamen Blick zu, doch dann lachte er und schüttelte den Kopf.
Für ihn war das Packen schon komplizierter. Er und Ian hatten am Abend nach Mrs Bugs Begräbnis das Gold aus dem Fundament des Hauses geholt – ein gefährliches Unterfangen, in dessen Vorfeld ich zunächst eine große Schüssel in Kornschnaps getränktes, altes Brot an das Ende des Gartenpfades stellte und dann aus voller Kehle »Sau-ieee« rief.
Ein Moment der Stille, und dann tauchte die weiße Sau aus ihrer Höhle auf, ein heller Fleck, der sich von den rauchgeschwärzten Steinen des Fundaments abhob. Ich wusste genau, was es war, doch der Anblick dieses weißen Umrisses, der sich rasch bewegte, ließ mir die Nackenhaare zu Berge stehen. Es hatte zu schneien begonnen – einer der Gründe, warum Jamie beschlossen hatte, sofort zu handeln –, und sie kam in solchem Tempo durch das Schneegestöber gefegt, dass es schien, als sei sie der Geist des Sturms, der dem Wind vorauseilte.
Zuerst dachte ich, sie würde mich angreifen; ich sah, wie sie mir den Kopf zuwandte, und hörte das laute Schnüffeln, als sie meine Witterung aufnahm – doch das Fressen roch wohl besser, und sie wandte sich ab. In der nächsten Sekunde klangen die schaurigen Geräusche eines Schweins in Ekstase durch den flüsternden Schnee, und Jamie und Ian kamen aus dem Wald geeilt, um sich ans Werk zu machen.
Sie brauchten mehr als zwei Wochen, um das Gold abzutransportieren; sie arbeiteten nur bei Nacht und nur dann, wenn es entweder schneite oder wenn Schneefall bevorstand, um ihre Spuren zu verdecken. In der Zwischenzeit bewachten sie abwechselnd die Ruine des Hauses, unablässig immer auf der Ausschau nach einem Lebenszeichen von Arch Bug.
»Meinst du, er interessiert sich überhaupt noch für das Gold?«, hatte ich Jamie inmitten diesen Unterfangens gefragt, während ich ihm die Hände rieb, um sie so weit aufzutauen, dass er zumindest seinen Löffel halten konnte. Durchgefroren und erschöpft war er zum Frühstück in die Hütte gekommen, nachdem er die ganze Nacht um das abgebrannte Haus gewandert war, um sein Blut in Fluss zu halten.
»Er hat doch sonst nichts mehr, was ihn interessieren könnte, oder?« Er sprach leise, um die Higgins nicht zu wecken. »Abgesehen von Ian.«
Der Gedanke an den alten Arch, der wie ein Geist im Wald hauste und von der Hitze seines Hasses lebte, ließ mich ebenso erschauern wie die Kälte, die Jamie mit nach innen gebracht hatte. Er hatte sich einen Bart wachsen lassen, um es wärmer zu haben – wie alle Männer auf dem Berg im Winter –, und Eis glimmerte auf seinem Backenbart und bestäubte seine Augenbrauen.
»Du siehst aus wie Väterchen Frost persönlich«, flüsterte ich und brachte ihm ein Schüsselchen heißen Porridge.
»So komme ich mir auch vor«, erwiderte er heiser. Er hielt sich das Schüsselchen unter die Nase, atmete den Dampf ein und schloss selig die Augen. »Gib mir den Whisky, aye?«
»Hast du etwa vor, ihn dir über den Porridge zu schütten? Es ist schon Butter und Salz darauf.« Trotzdem reichte ich ihm die Flasche vom Wandbord über der Feuerstelle.
»Nein, ich will mir nur den Bauch anwärmen, damit ich ihn essen kann. Ich bin vom Kinn abwärts zu Eis gefroren.«
Niemand hatte irgendetwas von Arch Bug gesehen – nicht einmal eine verirrte Spur im Schnee –, seit er bei der Beerdigung aufgetaucht war. Möglich, dass er sich für den Rest des Winters irgendwo in einer Zuflucht eingeigelt hatte. Möglich, dass er in die Indianerdörfer gegangen war. Möglich, dass er tot war – was ich sehr hoffte, selbst wenn das kein sehr freundlicher Gedanke war.
Ich sprach ihn aus, und Jamie schüttelte den Kopf. Das Eis in seinem Haar war jetzt geschmolzen, und der Feuerschein spiegelte sich glitzernd in den Wassertropfen in seinem Bart.
»Wenn er tot ist und wir es nicht herausfinden, wird Ian nie wieder für eine Sekunde Frieden haben. Möchtest du, dass er sich bei seiner Hochzeit nervös umschauen muss, weil er Angst hat, dass seine Frau eine Kugel ins Herz bekommt, während sie ihr Gelübde spricht? Oder dass er als Familienvater täglich Angst haben muss, sein Haus und seine Kinder zu verlassen, weil er nicht weiß, was ihn bei seiner Rückkehr erwartet?«
»Ich bin beeindruckt, wie weit deine Fantasie reicht und wie krank sie ist – aber du hast recht. Also gut, ich hoffe nicht, dass er tot ist – es sei denn, wir finden seine Leiche.«
Doch seine Leiche fand sich nicht, und das Gold wanderte portionsweise in sein neues Versteck.
Dieses hatte Jamie und Ian einiges Kopfzerbrechen bereitet, und sie hatten sich ausgiebig darüber unterhalten. Nicht die Whiskyhöhle. Es wussten zwar nur sehr wenige Personen davon – aber einige schon. Joseph Wemyss, seine Tochter Lizzie und ihre beiden Ehemänner – ich staunte doch sehr, dass es so weit gekommen war, dass ich an Lizzie und die Beardsleys denken konnte, ohne dass dies meine Vorstellungskraft sprengte – wussten alle notwendigerweise darüber Bescheid. Vor unserem Aufbruch würden wir sie zusätzlich Bobby und Amy Higgins zeigen müssen, weil sie in unserer Abwesenheit Whisky herstellen würden. Arch Bug hatten wir nicht erzählt, wo die Höhle war – es war jedoch sehr wahrscheinlich, dass er es wusste.
Jamie beharrte mit Nachdruck darauf, dass niemand in Fraser’s Ridge von der Existenz des Goldes erfuhr, von seinem Versteck ganz zu schweigen.