»Gut, gut«, sagte Bell jovial. »Gewiss werden auf dem Marsch Hunderte von Loyalisten zu Euch stoßen.«
»Ohne Zweifel, Sir«, murmelte William und aß noch einen Löffel Suppe. Er bezweifelte, dass Mr Bell zu ihnen zählen würde. Er sah nicht aus wie ein Mann, der viel marschierte. Außerdem würde den Soldaten der Beistand unzähliger unausgebildeter, mit Schaufeln bewaffneter Provinzler ohnehin keine Hilfe sein, doch das konnte er ja kaum laut aussprechen.
Während William versuchte, Miriam zu beobachten, ohne sie direkt zu fixieren, fing er stattdessen einen Blick auf, der zwischen seinem Vater und Hauptmann Richardson hin und her huschte, und erst jetzt begann er, sich zu wundern. Sein Vater hatte ausdrücklich gesagt, dass sie mit Hauptmann Richardson dinieren würden – also war die Begegnung mit dem Hauptmann der eigentliche Zweck des Abends. Warum?
Dann fiel ihm Ms Lillian Bell auf, die ihm gegenübersaß, neben seinem Vater, und er dachte nicht länger an Hauptmann Richardson. Dunkeläugig, hochgewachsener und schlanker als ihre Schwester – jedoch wirklich eine sehr hübsche junge Frau, wie ihm plötzlich klar wurde.
Als sich die Männer nach dem Essen auf die Veranda zurückzogen, überraschte es William nicht, sich am einen Ende neben Hauptmann Richardson wiederzufinden, während sein Vater am anderen Ende Mr Bell in ein angeregtes Gespräch über die Teerpreise verwickelte. Papa konnte sich mit jedem Menschen über alles Mögliche unterhalten.
»Ich möchte Euch einen Vorschlag unterbreiten, Leutnant«, sagte Richardson, nachdem sie die üblichen Höflichkeiten ausgetauscht hatten.
»Ja, Sir«, sagte William respektvoll. Er wurde zunehmend neugierig. Richardson war Dragonerhauptmann, befand sich jedoch im Moment nicht bei seinem Regiment; so viel hatte er bereits während des Essens preisgegeben und beiläufig fallen gelassen, er sei in einem Sonderauftrag unterwegs. Doch was für ein Sonderauftrag?
»Ich weiß nicht, wie viel Euch Euer Vater über meine Mission erzählt hat.«
»Gar nichts, Sir.«
»Ah. Ich bin damit beauftragt, im Südlichen Department Nachrichten zu sammeln. Nicht dass ich das Kommando über derartige Operationen hätte, versteht Ihr –« Der Hauptmann lächelte bescheiden. »Ich bin nur ein kleiner Teil davon.«
»Ich … bin mir des großen Wertes solcher Operationen bewusst, Sir«, sagte William, um Diplomatie bemüht, »doch ich – das heißt, was mich selbst angeht –«
»Ihr habt kein Interesse an der Spionage. Nein, natürlich nicht.« Es war dunkel auf der Veranda, aber der trockene Ton des Hauptmanns war nicht zu überhören. »Das haben nur wenige Männer, die sich als Soldaten betrachten.«
»Es war nicht als Beleidigung gemeint, Sir.«
»So habe ich es auch nicht aufgefasst. Ich habe nicht vor, Euch als Spion zu rekrutieren – das ist ein delikates Amt, das einiges an Gefahr mit sich bringt –, sondern als Boten. Solltet Ihr dabei allerdings die Gelegenheit bekommen, Euch als Spitzel zu betätigen – nun, das wäre ein zusätzlicher Beitrag, der großen Beifall finden würde.«
William spürte, wie ihm bei der Andeutung, er könne weder mit delikaten noch mit gefährlichen Situationen umgehen, das Blut ins Gesicht stieg, doch er beherrschte sich und sagte nur: »Oh?«
Allem Anschein nach hatte der Hauptmann wichtige Informationen über die Zustände in Carolina zusammengetragen, die er nun dem Kommandeur des Nördlichen Departments zukommen lassen musste – General Howe, der sich gegenwärtig in Halifax befand.
»Natürlich werde ich mehr als einen Boten schicken«, sagte Richardson. »Und ebenso natürlich geht es auf dem Seeweg schneller – aber ich hätte gern mindestens einen Boten, der über Land reist, einerseits aus Sicherheitsgründen und andererseits, um en route weitere Beobachtungen anzustellen. Euer Vater ist voll des Lobes über Eure Fähigkeiten, Leutnant.« Hörte er da einen Hauch von Belustigung in der staubtrockenen Stimme? »Und ich habe gehört, dass Ihr North Carolina und Virginia ausgiebig bereist habt. Das ist sehr viel wert. Ihr könnt sicher nachvollziehen, dass ich nicht wünsche, dass mein Bote auf Nimmerwiedersehen im Dismal-Sumpf verschwindet.«
»Haha«, machte William höflich, da er dies für einen Scherz hielt. Hauptmann Richardson war mit Sicherheit noch nie in der Nähe des Great-Dismal-Sumpfes gewesen; William hingegen schon, obwohl er sich nicht vorstellen konnte, dass irgendein vernünftiger Mensch diesen Weg absichtlich wählen würde, es sei denn, um zu jagen.
Auch erfüllte ihn Richardsons Vorschlag mit großer Skepsis – doch noch während er sich einredete, dass er gar nicht erst daran denken sollte, seine Männer zu verlassen, sein Regiment … hatte er bereits eine romantische Vision seiner selbst vor Augen, allein in der endlosen Wildnis, in Sturm und Gefahr mit wichtigen Neuigkeiten unterwegs.
Wichtiger jedoch war, was ihn am anderen Ende der Reise erwartete.
Richardson ahnte, dass diese Frage kommen würde, und antwortete, bevor er sie aussprechen konnte.
»Dort im Norden könntet Ihr Euch dann – falls es beliebt – General Howes Stab anschließen.«
Soso, dachte er. Das war also der Apfel, und wie schön rot und saftig er war. Ihm war zwar bewusst, dass Richardson meinte, falls es General Howe beliebte, nicht William – doch er vertraute durchaus auf seine Fähigkeiten und glaubte fest, dass er sich als nützlich erweisen konnte.
Er hatte sich nur einige Tage in North Carolina aufgehalten, aber das reichte aus, um die Situation des Nördlichen mit der des Südlichen Departments vergleichen zu können. Die gesamte Kontinentalarmee befand sich mit Washington im Norden; im Süden schien die Rebellion aus Nestern widerspenstiger Hinterwäldler und improvisierter Milizen zu bestehen – kaum eine Bedrohung. Und was den Vergleich zwischen Sir Peter und General Howe und ihrer Bedeutung als Kommandeure betraf …
»Ich würde gern über Euer Angebot nachdenken, wenn ich darf, Hauptmann«, sagte er und hoffte, dass man ihm den Eifer nicht anhören konnte. »Darf ich Euch meine Antwort morgen geben?«
»Gewiss. Ich denke, dass Ihr die Perspektiven mit Eurem Vater besprechen möchtet – das dürft Ihr gern tun.«
Dann wechselte der Hauptmann betont das Thema, und kurz darauf gesellten sich Lord John und Mr Bell zu ihnen, und das Gespräch widmete sich allgemeineren Dingen.
William hörte kaum zu, denn seine Aufmerksamkeit wurde von zwei schlanken weißen Gestalten abgelenkt, die wie Gespenster vor den Büschen am Rand des Gartens weilten. Zwei weiße Spitzenhauben näherten sich einander, dann trennten sie sich wieder. Hin und wieder wandte sich einer der Köpfe offenbar spekulierend der Veranda zu.
»Und um seine Kleider losten sie«, murmelte sein Vater kopfschüttelnd.
»Wie?«
»Oh, nichts.« Sein Vater lächelte und wandte sich Hauptmann Richardson zu, der gerade etwas über das Wetter gesagt hatte.
Glühwürmchen erleuchteten den Garten und schwebten wie grüne Funken über die feuchte, üppige Vegetation hinweg. Es war schön, wieder Glühwürmchen zu sehen; in England hatten sie ihm gefehlt – genau wie diese ganz besondere Sanftheit der Luft des Südens, die ihm das Leinen an den Körper schmiegte und das Blut in seinen Fingerspitzen pulsieren ließ. Ringsum zirpten die Grillen, und einen Moment lang schien ihr Lied alles außer dem Geräusch seines Pulsschlags zu übertönen.
»Kaffee ist fertig, die Herr’n.« Die leise Stimme der bellschen Sklavin durchdrang dann doch sein fermentierendes Blut, und er folgte den anderen Männern. Für den Garten hatte er nur einen flüchtigen Blick übrig. Die weißen Gestalten waren verschwunden, doch ein verheißungsvoller Hauch lag in der sanften, warmen Luft.
Eine Stunde später befand er sich auf dem Rückweg zu seinem Quartier. Seine Gedanken waren angenehm verworren; sein Vater schlenderte schweigend neben ihm her.
»Hauptmann Richardson hat mir von dem Angebot erzählt, das er dir gemacht hat«, sagte Lord John beiläufig. »Reizt es dich?«