»Blut von meinem Blut«, sagte ich.
Ich hatte ebenfalls keinerlei Hang zu romantischen Gesten.
Kapitel 10
Brander
New York
August 1776
Am Ende nahm man Williams Kunde von der Flucht der Amerikaner weitaus besser auf, als er erwartet hatte. Berauscht von dem Gefühl, den Feind in die Enge getrieben zu haben, bewegte sich Howes Armee mit bemerkenswerter Geschwindigkeit. Die Flotte des Admirals lag nach wie vor in der Gravesend-Bucht; innerhalb eines Tages marschierten Tausende von Männern im Eiltempo ans Ufer und gingen wieder an Bord, um nach Manhattan überzusetzen; als am nächsten Tag die Sonne unterging, begannen bewaffnete Kompanien mit dem Angriff auf New York – nur um festzustellen, dass die Gräben leer und die Befestigungsanlagen verlassen waren.
So enttäuschend dies für William war, der auf die Chance gehofft hatte, sich direkt und von Mann zu Mann zu rächen, so außerordentlich erfreut war General Howe über diese Entwicklung. Er zog mit seinem Stab in eine große Villa namens Beekman House, um von dort die Kolonie fest unter seine Kontrolle zu bringen. Zwar sprachen sich die ranghohen Offiziere unablässig dafür aus, den Amerikanern nachzusetzen – ein Vorschlag, dem William von Herzen zustimmte –, doch General Howe war der Meinung, dass das Gefühl der Unterlegenheit und die Zermürbung Washingtons verbleibende Truppen aufreiben würden und der Winter ihnen den Rest geben würde.
»Bis dahin«, sagte Leutnant Anthony Fortnum und sah sich in dem stickigen Speicherzimmer um, das man den drei rangniedrigsten Stabsoffizieren zugeteilt hatte, »sind wir eine Besatzungsarmee. Was bedeutet, dass wir das Recht darauf haben, die Vergnügungen unseres Dienstortes auszukosten.«
»Als da wären?«, erkundigte sich William, während er sich vergeblich nach einem Aufbewahrungsort für den wettergegerbten Handkoffer umsah, der gegenwärtig den Großteil seiner weltlichen Besitztümer enthielt.
»Nun ja, Frauen«, sagte Fortnum und überlegte. »Außerdem muss New York doch seine Fleischtöpfe haben?«
»Ich habe auf dem Hinweg keine gesehen«, erwiderte Ralph Jocelyn skeptisch. »Und ich habe gründlich Ausschau danach gehalten.«
»Nicht gründlich genug«, sagte Fortnum bestimmt. »Ich bin mir sicher, dass es Fleischtöpfe geben muss.«
»Es gibt Bier«, meinte William. »Ein anständiges Wirtshaus namens Fraunces in der Nähe der Water Street. Dort habe ich unterwegs einen guten Schluck getrunken.«
»Es muss etwas in der Nähe geben«, warf Jocelyn ein. »Ich spaziere doch in dieser Hitze nicht meilenweit durch die Gegend!« Das Beekman House war zwar hübsch gelegen; das Grundstück war riesig, und die Luft war sauber – doch es befand sich ein gutes Stück außerhalb der Stadt.
»Sucht, und ihr werdet finden, meine Brüder.« Fortnum schob sich eine Seitenlocke zurecht und warf sich den Rock über die Schulter. »Kommst du mit, Ellesmere?«
»Nein, jetzt nicht. Ich muss ein paar Briefe schreiben. Solltet ihr Fleischtöpfe finden, erwarte ich einen schriftlichen Bericht. In dreifacher Ausfertigung natürlich.«
Vorerst sich selbst überlassen, stellte er seine Tasche auf den Boden und holte das kleine Briefbündel heraus, das ihm Hauptmann Griswold überreicht hatte.
Es waren fünf Briefe; drei mit dem lächelnden Halbmondsiegel seines Stiefvaters – Lord John schrieb ihm pünktlich am Fünfzehnten eines jeden Monats, aber zusätzlich zu anderen Zeiten –, einer von seinem Onkel Hal – bei diesem Anblick grinste er; Onkel Hals Briefe waren zwar hin und wieder verwirrend, aber stets unterhaltsam – und einer in einer unbekannten, aber weiblichen Handschrift mit einem einfachen Siegel.
Neugierig brach er das Siegel auf, und als er den Brief öffnete, fand er zwei dicht beschriebene Seiten von seiner Cousine Dottie. Er zog die Augenbrauen hoch; Dottie hatte ihm noch nie geschrieben.
Seine Augenbrauen blieben, wo sie waren, während er den Brief las.
»Das ist ja nicht zu fassen«, sagte er laut.
»Was denn?«, fragte Fortnum, der zurückgekommen war, um seinen Hut zu holen. »Schlechte Nachrichten von zu Hause?«
»Was? Oh. Nein. Nein«, wiederholte er und las die erste Seite des Briefes noch einmal. »Nur … interessant.«
Er faltete den Brief zusammen, steckte ihn in seinen Rock, wo er vor Fortnums neugierigen Blicken sicher war, und ergriff Onkel Hals Brief mit dem herzoglichen Siegel. Bei diesem Anblick bekam Fortnum große Augen, doch er schwieg.
William hustete und brach das Siegel auf. Wie üblich war die Note weniger als eine Seite lang und enthielt weder Begrüßung noch Unterschrift – Onkel Hal war der Meinung, dass der Adressat schließlich klar war, da der Brief mit einer Anschrift versehen war, dass das Siegel deutlich sagte, wer ihn geschrieben hatte, und dass er seine Zeit nicht damit verschwendete, an Dummköpfe zu schreiben.
Adam ist unter Sir Henry Clinton in New York stationiert, besagte der Brief. Minnie hat ihm ein paar Dinge für Dich mitgegeben, die ihm fürchterliche Umstände machen. Dottie lässt Dich herzlich grüßen, was sehr viel weniger Platz wegnimmt.
John sagt, Du arbeitest für Hauptmann Richardson. Ich kenne Richardson, und ich finde, das solltest Du nicht.
Grüße Oberst Spencer von mir, und hüte Dich davor, mit ihm Karten zu spielen.
Onkel Hal, dachte William, konnte mehr Informationen in weniger Worte stopfen als irgendjemand sonst. Er fragte sich, ob Oberst Spencer wohl beim Kartenspiel betrog oder ob er lediglich ein sehr guter Spieler oder ein großer Glückspilz war. Das verschwieg ihm Onkel Hal gewiss mit Absicht, denn wenn es eine der beiden letzteren Alternativen war, wäre William versucht gewesen, sein Können auf die Probe zu stellen – obwohl er wusste, wie gefährlich es war, regelmäßig gegen einen ranghöheren Offizier zu gewinnen. Ein- oder zweimal jedoch … Nein, Onkel Hal war selbst ein sehr guter Kartenspieler, und wenn er William warnte, so war es ein Gebot der Klugheit, sich an die Warnung zu halten. Vielleicht war Oberst Spencer ja sowohl ehrlich als auch kein besonderer Spieler, aber ein Mensch, der sich beleidigt fühlte – und sich rächte –, wenn er zu oft geschlagen wurde.
Onkel Hal war ein hinterlistiger alter Teufel, dachte William nicht ohne Bewunderung.
Weshalb ihm dieser zweite Absatz große Sorgen bereitete. Ich kenne Richardson … In diesem Fall verstand er sehr gut, warum Onkel Hal die Details ausgelassen hatte; man wusste nie, von wem die Post gelesen wurde, und es war gut möglich, dass ein Brief mit dem Siegel des Herzogs von Pardloe Aufmerksamkeit erregte. Es sah zwar nicht so aus, als sei das Siegel manipuliert worden, doch er hatte bereits seinem eigenen Vater dabei zugesehen, wie dieser mit großem Geschick und einem heißen Messer Briefsiegel entfernte und wieder anbrachte, und hegte diesbezüglich keine Illusionen.
Das hinderte ihn aber nicht daran, sich zu fragen, was Onkel Hal über Hauptmann Richardson wusste und warum er wollte, dass William seine Kundschafterdienste beendete – denn offensichtlich hatte Papa Onkel Hal davon erzählt.
Was ihn noch nachdenklicher machte – wenn Papa seinem Bruder erzählt hatte, womit William beschäftigt war, musste Onkel Hal Papa erzählt haben, was er über Hauptmann Richardson wusste, falls dieser irgendwie in Verruf stand. Und wenn er das getan hatte –
Er legte Onkel Hals Note beiseite und riss den ersten Brief seines Vaters auf. Nein, kein Wort über Richardson … Der zweite? Wieder nichts. Im dritten eine vage Anspielung auf Spionage, aber in Form eines Wunsches, er möge nicht in Gefahr geraten, und einer indirekten Anspielung auf seine Körperhaltung.
Ein hochgewachsener Mann fällt in Gesellschaft stets auf, und zwar umso mehr, wenn sein Blick direkt ist und seine Kleidung ordentlich.