So kam es, dass er einige Zeit zwischen Schweineställen, ärmlichen Hütten und übel riechenden Anlegestegen umherirrte, bevor er in den richtigen Stadtteil, also zum Ausgangspunkt, zurückfand. Hier überraschte er seinen Vetter Adam, der die Straße auf und ab lief, gegen die Türen hämmerte und laut nach ihm rief.
»Da nicht!«, warnte er alarmiert, als er sah, dass Adam im Begriff war, die Tür des knüppelschwingenden Deutschen zu attackieren. Adam fuhr ebenso verblüfft wie erleichtert herum.
»Da bist du ja! Alles in Ordnung, alter Knabe?«
»O ja. Mir geht’s gut.« Trotz der brütenden Hitze der Sommernacht fühlte er sich blass und klamm, doch seine akute Übelkeit war verflogen, und als heilsame Nebenwirkung war er dabei nüchtern geworden.
»Ich dachte schon, du wärst in irgendeiner Seitengasse ausgeraubt oder umgebracht worden. Ich könnte Onkel John niemals mehr gegenübertreten, wenn ich ihm sagen müsste, dass ich an deinem Ableben schuld bin.«
Einträchtig gingen sie nun die Gasse entlang und steuerten erneut auf die roten Laternen zu. Die jungen Männer waren samt und sonders in den verschiedenen Etablissements verschwunden, obwohl das Grölen und Hämmern, das von dort nach außen drang, darauf schließen ließ, dass ihre Hochstimmung nicht verflogen war, sondern sich nur anderweitig austobte.
»Hast du etwas Gutes gefunden?«, fragte Adam. Er wies mit dem Kinn in die Richtung, aus der William gekommen war.
»Oh, bestens. Und du?«
»Nun, mehr als einen Absatz würde sie Harris wohl nicht wert sein, aber für eine Absteige wie New York war es nicht schlecht«, fasste Adam zusammen. Die Halsbinde hing ihm lose um den Hals, und als sie an einem schwach leuchtenden Fenster vorüberkamen, entdeckte William, dass einer der Silberknöpfe an seinem Rock fehlte. »Allerdings könnte ich schwören, dass ich ein paar von diesen Huren schon im Feldlager gesehen habe.«
»Wohin dich bestimmt Sir Henry geschickt hat, um eine Volkszählung zu veranstalten, wie? Oder verbringst du zum Vergnügen so viel Zeit mit den Schlachtenbummlern, dass du schon ihre Gesichter –«
Er wurde unterbrochen, weil sich der Lärm, der aus einem der Häuser drang, veränderte. Es ging laut zu, aber es war nicht das launige Gebrüll der Trunkenbolde, das bis jetzt zu hören gewesen war. Dies hier war böse, eine aufgebrachte Männerstimme und die Schreie einer Frau.
Die beiden Vettern wechselten einen Blick und rannten dann wie ein Mann auf den Tumult zu.
Dieser hatte inzwischen zugenommen, und als sie das am weitesten entfernte Haus erreichten, strömte eine Anzahl halb entkleideter Soldaten auf die Straße hinaus, gefolgt von einem untersetzten Leutnant, den man William während der Festivitäten in Adams Zimmer zwar vorgestellt hatte, an dessen Namen er sich aber nicht erinnern konnte. Er zerrte eine halb nackte Hure am Arm hinter sich her.
Der Leutnant hatte seinen Rock und seine Perücke verloren; sein dunkles Haar war kurz geschnitten und wuchs ihm tief in die Stirn, was ihm zusammen mit seinem breitschultrigen Körperbau das Aussehen eines angriffsbereiten Bullen gab. Genauso verhielt er sich jetzt auch – er wandte sich um und rammte die Frau, die er ins Freie gezerrt hatte, so heftig mit der Schulter, dass sie gegen die Hauswand prallte. Er war stockbesoffen und brüllte zusammenhanglose Unflätigkeiten.
»Brander.«
William wusste nicht, wer das Wort ausgesprochen hatte, doch es verbreitete sich unter den aufgeregt murmelnden Stimmen, und etwas Niederträchtiges durchlief die Männer in der Gasse.
»Brander! Sie ist ein Brander!«
Mehrere Frauen hatten sich im Eingang versammelt. Das Licht hinter ihnen reichte nicht aus, um ihre Gesichter zu erkennen, doch es war klar, dass sie Angst hatten, und sie hielten sich dicht beieinander. Eine erhob zögernd die Stimme und streckte den Arm aus, doch die anderen zogen sie zurück. Der schwarzhaarige Leutnant nahm keine Notiz davon; er prügelte auf die Hure ein und boxte sie wiederholt in den Bauch und vor die Brüste.
»Heh, Kamerad!«
William setzte sich in Bewegung, doch mehrere Hände packten seine Arme und hielten ihn auf.
»Brander!« Die Männer begannen, jeden Fausthieb des Leutnants mit einem Singsang zu begleiten.
Ein Brander war ein Schiff, auf dem man Feuer legte, um damit eine gegnerische Flotte in Brand zu setzen – oder eine ansteckende Hure. Als der Leutnant jetzt aufhörte, auf die Frau einzuprügeln, und sie ins Licht der roten Laterne zerrte, konnte William sehen, dass sie in der Tat krank war; der Ausschlag in ihrem Gesicht war deutlich zu sehen.
»Rodham! Rodham!«, rief Adam den Leutnant beim Namen und versuchte, das Gedränge der Männer zu durchbrechen, doch sie schoben sich noch dichter zusammen, sodass er zurückfiel, und der »Brander!«-Singsang wurde lauter.
Schreie kamen von den Huren in der Tür, und sie fuhren zurück, als Rodham die Frau auf die Schwelle schleuderte. William machte einen Satz, und es gelang ihm, das Gedränge zu durchbrechen, doch bevor er den Leutnant erreichen konnte, hatte Rodham den Arm gehoben und die Laterne ergriffen. Er schleuderte sie gegen die Hausfront, und flammendes Öl ergoss sich über die Hure.
Dann wich er keuchend zurück und starrte mit weit aufgerissenen Augen beinahe ungläubig auf die Frau, die jetzt aufsprang und panisch mit den Armen um sich schlug wie mit Windmühlenflügeln, während ihre Haare und ihr dünnes Hemd Feuer fingen. In Sekundenschnelle war sie in Flammen gehüllt und schrie mit einer schrillen, hohen Stimme, die das laute Durcheinander auf der Straße durchschnitt und sich direkt in Williams Hirn bohrte.
Die Männer wichen zurück, als die Frau auf sie zutaumelte, die Arme ausgestreckt – ob im vergeblichen Flehen um Hilfe oder in der Absicht, die Männer mit anzustecken, konnte er nicht sagen. Er stand wie angewurzelt da, jede Muskelfaser angespannt in dem Bedürfnis, etwas zu tun, in völliger Ohnmacht und dem überwältigenden Gefühl des Schreckens. Ein beharrlicher Schmerz in seinem Arm ließ ihn mechanisch zur Seite blicken, wo Adam stand und ihm die Finger fest in den Unterarmmuskel bohrte.
»Gehen wir«, flüsterte Adam mit weißem, verschwitztem Gesicht. »Um Himmels willen, gehen wir!«
Die Tür des Bordells hatte sich mit einem Knall geschlossen. Die brennende Frau fiel dagegen und presste die Hände gegen das Holz. Der appetitliche Geruch gebratenen Fleisches stieg in der heißen, beengten Gasse auf, und wieder spürte William, wie es ihm hochkam.
»Gott verfluche euch! Mögen euch die gottverdammten Schwänze verrotten und abfallen!« Der Schrei kam aus einem Fenster über ihnen; Williams Kopf fuhr auf, und er sah eine Frau, die den Männern die Faust entgegenreckte. Gemurmel erhob sich unter den Männern, und einer rief eine unflätige Antwort; ein anderer bückte sich und ergriff einen Pflasterstein, richtete sich auf und warf ihn mit Schwung nach der Frau. Er prallte unter dem Fenster an der Hauswand ab, fiel herunter und traf dabei einen der Soldaten, der einen Fluch ausstieß und dem Mann, der ihn geworfen hatte, einen Schubs versetzte.
Die brennende Frau war an der Tür zusammengesunken, an der die Flammen einen verkohlten Fleck hinterlassen hatten. Sie stieß immer noch leise Jammerlaute aus, bewegte sich aber nicht mehr.
Plötzlich verlor William die Beherrschung. Er packte den Mann, der den Stein geworfen hatte, fasste ihn am Hals und stieß ihn mit dem Kopf gegen den Türpfosten des Hauses. Der Mann erstarrte und sackte dann zusammen, weil ihm die Knie versagten. Dann saß er auf der Straße und stöhnte.
»Fort mit euch!«, brüllte William. »Alle! Ab!« Mit geballten Fäusten wandte er sich zu dem schwarzhaarigen Leutnant um, dessen Wut vollständig verflogen war. Er stand reglos da und starrte die Frau auf der Schwelle an. Ihre Röcke waren verschwunden; ein geschwärztes Beinpaar zuckte schwach in der Dunkelheit.
William war mit einem Schritt bei dem Mann, packte ihn an der Vorderseite seines Hemdes und zerrte ihn zu sich herum.
»Geht«, sagte er in drohendem Ton. »Fort. Los. Auf der Stelle!«